Ausgabe 2010/1

Ja, ich will!

Nach dem "Wonnemonat Mai" werfen wir einen kritischen Blick auf den "schönsten Tag im Leben": über die Auswirkungen der Fremdenpolitik auf binationale Partnerschaften, die Bedeutung von Heirat und Staatsbürgerschaft auf die Entschädigungszahlungen von NS-Opfern, Scheinehen im Kino, den Medien-Hype der Zwangsehe und vieles mehr.

Fokus ^

Im Häfen der Ehe

Interview mit Angela Magenheimer

Die Initiative "Ehe ohne Grenzen" fordert die Wahrung der Menschenrechte in der Fremden- und Ehepolitik in Österreich.

migrazine: Seit wann gibt es "Ehe ohne Grenzen", und was war der Anlass, den Verein zu gründen?

Den Falschen geheiratet

von Karin Tertinegg

Damit Frauen, die vom nationalsozialistischen Regime verfolgt wurden, Entschädigungszahlungen erhalten, sind Eheschließung und Staatsbürgerschaft von zentraler Bedeutung. Mit dieser Politik werden jedoch historische geschlechtsspezifische Ungleichheiten bis in die Gegenwart fortgesetzt.

Sagen wir, es wäre ein Roman. Die Hauptfigur: eine Frau, 1916 in Wien geboren, eingetragen im Matrikenamt der Israelischen Kultusgemeinde. Die Mutter aus Ungarn, der Vater aus Wien. Kindheit und Schule im zweiten Wiener Gemeindebezirk, die Sommerferien bei der Oma in Ungarn. Eine wissbegierige junge Frau, auf deren Bildung die liebevollen Eltern immer Wert gelegt haben. Mit 18 Jahren verlobt sie sich mit einem jungen Mann aus dem Bekanntenkreis, in den sie sich verliebt hat.

We are Family?

von Sushila Mesquita

Queer-feministische Lebensformenpolitiken zielen nicht nur auf die Anerkennung alternativer Familienkonstellationen ab: Sie fordern auch eine gesellschaftliche Umverteilung, die ein Mehr an individuellen Rechten und Zugang zu öffentlichen Ressourcen ermöglicht.

Die Frage, wer bzw. was eine Familie ist, hat derzeit Konjunktur. Viel steht auf dem Spiel, gerät doch die traditionelle Vorstellung von Familie als verheiratetem Paar mit Kind(ern) angesichts der zunehmenden Pluralisierung von Lebensformen immer mehr ins Wanken. Einen wichtigen Anteil an der Brisanz der Debatten haben gegenwärtige Entwicklungen rund um die rechtliche Anerkennung lesbischer und schwuler Paarbeziehungen. Denn: Welche Rechte und Pflichten diesen zugestanden werden können und sollen, hängt nicht zuletzt von der Definition des Familienbegriffs ab.

Das Leben, (k)ein Liebesfilm

von Irene Messinger

Das Kino weiß es schon längst: Nicht nur die Liebe, auch ein fremdenrechtlicher Vorteil wie Aufenthaltstitel, Arbeitserlaubnis oder die Staatsbürgerschaft kann ein Grund zum Heiraten sein. Doch welche Anregungen und Strategien für den Umgang mit den Fremdenbehörden können Filme zum Thema Scheinehe bieten?

Liebesfilme erzählen üblicherweise von großer, unbeherrschbarer Anziehung zwischen zwei gegengeschlechtlichen Protagonist_innen, die, allen Widrigkeiten zum Trotz, zur wahren Liebe und Beziehung führt. In vielen dieser Filme folgt der Liebe die Ehe – oder zumindest der Heiratsantrag, gestellt unter dramatischen oder rührenden Bedingungen. Es handelt sich dabei um ein universales Motiv, global wirksam und in allen Dekaden beliebt.

Zuschreiben oder ernsthaftes Bekämpfen

von Gamze Ongan

Zwangsverheiratung aus der Perspektive der Bildungs-, Beratungs- und Therapieeinrichtung Peregrina

Seit 2005 vergeht kein Tag, an dem Peregrina nicht von den Medien befragt, von den öffentlichen Einrichtungen konsultiert, für Studien interviewt und von der Politik zur Mitarbeit eingeladen wird. Das Objekt der Begierde ist allerdings nicht der Verein und seine Zielsetzungen, sondern die Zwangsehe. Aber wie ist es dazu gekommen, dass dieses Thema den öffentlichen Diskurs über Zuwanderung auf einmal so massiv dominiert? Und warum spüren wir von Peregrina so großes Unbehagen?

Alltäglich, aber geheim

Interview mit Sudabeh Mortezai

In ihrem jüngsten Doku-Film "Im Bazar der Geschlechter" geht Sudabeh Mortezai dem Phänomen der schiitischen Zeitehe nach. Im Interview spricht die iranisch-österreichische Regisseurin über die aktuellen Geschlechter- und Sexualpolitiken im Iran.

migrazine: Warum haben dich die Zeitehen interessiert? Hast du dieses Phänomen schon vor der Arbeit am Film gekannt?

Crossover ^

Prekarität und die bezahlte sexuelle Dienstleistung

von Luzenir Caixeta

Über die Rolle und Situation von Migrantinnen in der Sexindustrie.

Die Rolle und Anzahl von Migrantinnen im prekarisierten Bereich nehmen rasant zu. Bestehende Arbeitsverhältnisse sind dabei überwiegend im Kontinuum „Sex – Fürsorge – Pflegearbeit“ angesiedelt. Die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen ist ein Produkt sowohl diskursiver als auch rechtlicher und wirtschaftlicher Faktoren. De-Industrialisierung, immaterielle Produktion, Feminisierung der Arbeit, transnationale Migration und die Mobilität von Kapitalinvestitionen spielen in den Produktionsprozessen in den postfordistischen Gesellschaften eine prägende Rolle.

The Filipina au-pair experience (english)

Interview with Filomenita Mongaya Høgsholm

In the last few years, Northern Europe has seen a boost of au-pairs from the Philippines. Babaylan, an initiative of Philippine women’s groups in Europe, offers support and counselling services while forming alliances with labour unions and criticizing the prevailing media discourse.

migrazine: Statistics from the last years reveal that between 50% and 75% of all au-pairs in Denmark are from the Philippines. [1] Other countries like The Netherlands and Norway also show a boost of numbers of Filipina au-pairs. [2] Why and when did this shift take place?

24h sans nous

von Katharina Ludwig

Beim ersten "Tag ohne ZuwanderInnen" gingen migrantische ArbeiterInnen auf die Straße, um auf ihren Beitrag zum Funktionieren der Wirtschaft hinzuweisen. Der Streik "von unten" will sich aber nicht auf den ökonomischen Faktor beschränken lassen.

Es war alles andere als ein Rückzug. Am 1. März 2010 wurde in Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland der erste Tag ohne MigrantInnen ausgerufen: "24h ohne uns". Die Idee: Einen Tag lang sollten MigrantInnen sowie solidarische MitbürgerInnen ihre Arbeit niederlegen und nichts konsumieren, um so ihre Rolle in den nationalen Volkswirtschaften klarzumachen. Oder wie es eine Aktivistin in ihrer Rede in Orléans formulierte: "Die Frage ist nicht, ob MigrantInnen ein weiteres Mal stigmatisiert werden.

Lohn ohne Zettel

von Katharina Ludwig

Undokumentierte Arbeit von MigrantInnen dokumentieren und deren Rechte einfordern – die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat sich für illegalisierte Arbeitende geöffnet.

Illegalisierter Aufenthalt heißt isoliert arbeiten im Graubereich. So lautet lange der Schluss, wenn es um die Arbeitssituation von MigrantInnen ging. Doch auch Menschen ohne Papiere haben klare Rechte, was ihre Arbeit betrifft – und sie können diese auch einklagen. In Deutschland wurden während der letzten zwei Jahre in Hamburg, Berlin und zuletzt auch in München in Kooperation zwischen der Dienstleistungsgesellschaft ver.di und migrantischen sowie antirassistischen Organisationen Beratungsstellen für Arbeitende ohne Papiere gegründet.

Verniedlicht, vermonstert

Interview mit Claudia Brunner

Mit den jüngsten Selbstmordanschlägen in der Moskauer U-Bahn, die Ende März Russland erschütterten, sind Frauen als "Terroristinnen" wieder verstärkt ins Licht der Medien gerückt. Auf der Suche nach Erklärungen wird das Privatleben der Täterinnen durchleuchtet, während der politische Konflikt im Kaukasus dekontextualisiert wird, erklärt die Politikwissenschaftlerin Claudia Brunner.

migrazine: Das Auftauchen von Selbstmordattentäterinnen wird meist als historische Neuheit diskutiert. Ist "weiblicher Terrorismus" tatsächlich ein neues Phänomen oder hat sich die Wahrnehmung und Definition von "Terror" verschoben?