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Lohn ohne Zettel

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von Katharina Ludwig

Illegalisierter Aufenthalt heißt isoliert arbeiten im Graubereich. So lautet lange der Schluss, wenn es um die Arbeitssituation von MigrantInnen ging. Doch auch Menschen ohne Papiere haben klare Rechte, was ihre Arbeit betrifft – und sie können diese auch einklagen. In Deutschland wurden während der letzten zwei Jahre in Hamburg, Berlin und zuletzt auch in München in Kooperation zwischen der Dienstleistungsgesellschaft ver.di und migrantischen sowie antirassistischen Organisationen Beratungsstellen für Arbeitende ohne Papiere gegründet. Wer zum Beispiel für geleistete Arbeit nicht den vereinbarten Lohn bekommt, bei Überstunden leer ausgeht oder nach einem Unfall keine ärztliche Versorgung erhält, kann sich bei diesen Stellen zweimal im Monat Unterstützung holen.

Mit Stundenliste und SMS vor's Gericht

Die Erstberatung bei Problemen mit ArbeitgeberInnen ist kostenlos, auch für Nicht-GewerkschafterInnen. Als erstes gehe es darum, überhaupt zu wissen, dass man Rechte besitzt, erzählt Conny Roth vom "Arbeitskreis undokumentierte Arbeit" bei ver.di, der die Beratung in Berlin organisiert. Dann werde erklärt, wie man Belege über das Arbeitsverhältnis sammeln kann, um diese Rechte auch wahrzunehmen: Das können selbst geschriebene Stundenzettel sein, Fotos vom Arbeitsplatz, Aufträge in Form von SMS oder Klebezettel, wie sie Haushaltskräfte häufig bekommen. Das Dokumentieren der undokumentierten Arbeit ist also Programm. Weiters empfiehlt das Beratungsteam, zu Einstellungsgesprächen eine/n ZeugIn mitzunehmen und dem Chef bzw. der Chefin generell möglichst wenig Persönliches zu erzählen. Dadurch mache man sich bei Problemen weniger angreifbar.

Stellt sich im Zuge der Beratung heraus, dass Ansprüche wie Lohnnachzahlungen geltend gemacht werden können, kann der/die Betroffene ver.di beitreten und mit gewerkschaftlicher Rückendeckung aktiv werden. Das Neue daran: Es geht auch ohne Aufenthaltsberechtigung, ohne Meldeschein und ohne Bankkonto, denn den monatlichen Mindestbeitrag von 2,50 Euro kann man auch bar bezahlen.

Die erste ver.di-Gewerkschafterin ohne Papiere war Ana S. Die Kolumbianerin hatte nach abgelaufener Au-Pair-Beschäftigung bei einer Hamburger Familie weiter Hausarbeit geleistet, für einen Euro pro Stunde bei 24-Stunden-Bereitschaft. Die Dokumentation "Mit einem Lächeln auf den Lippen. Eine Hausarbeiterin ohne Papiere zieht vors Arbeitsgericht" von Anne Frisius erzählt von Ana S.' Arbeitskampf. Mit dem kostenlosen Rechtsbeistand von ver.di erlangte die Frau schließlich in einem Vergleich die Nachzahlung von Löhnen.

Signalwirkung und Meldepflicht

"Die Kosten sind keine Hürde", meint Roth. "Die eigentliche Hürde ist, den rechtlichen Weg überhaupt zu beschreiten – aus Angst, den Arbeitsplatz ganz zu verlieren oder dass der illegale Aufenthalt aufgedeckt werden könnte." Denn die ArbeitsrichterInnen agieren selbst in einem Graubereich. Nach deutschem Aufenthaltsgesetz müssen öffentliche Stellen die Ausländerbehörden informieren, wenn sie von einem "illegalen" Aufenthalt erfahren. RichterInnen steht es aber frei, den Aufenthaltsstatus im Verfahren überhaupt zu prüfen. So leitete die Richterin im Fall Ana S. die Akten weiter. Den Aufenthalt in Deutschland während des Lohnstreits nicht zu gefährden, hat für ver.di Priorität. Garantie gibt es aber keine. In den meisten bekannten Gerichtsfällen war der illegale Aufenthalt laut Roth aber nicht Thema. "Da ging es darum herauszufinden, ob es ein Arbeitsverhältnis gab, welcher Lohn vereinbart wurde und ob es Lohnrückstände gibt." Meistens einigt man sich beim ersten Gerichtstermin, der sogenannten Güteverhandlung, einvernehmlich mit einem Vergleich. KlägerInnen müssen dabei nicht selbst anwesend sein und riskieren damit nicht, während des Gerichtstermins von der Polizei aufgegriffen zu werden. Kontrollen direkt bei der Beratungsstelle sind in Berlin bislang nicht vorgekommen. "Letztendliche Sicherheit gibt es nicht", meint Roth. "Aber es gäbe ein ziemlich großes Medienecho, wenn Leute von ver.di abgefangen würden. Ich halte das für sehr unwahrscheinlich."

Die Gerichtsverhandlungen haben für die hauptberufliche Mediatorin vor allem "Signalwirkung für Arbeitgeber, dass illegal Beschäftigte nicht grenzenlos ausbeutbar sind. Die Arbeitgeber bekommen Grenzen gesteckt und merken, dass sie mit ihren Beschäftigten ohne Papiere nicht machen können, was sie wollen." In vielen Fällen muss es dafür gar nicht bis zum Gericht gehen, es reicht eine offizielle Lohnforderung, verfasst vom ver.di-Rechtssekretär, mit offiziellem Briefpapier. Wenn ArbeitgeberInnen merken, dass das Gegenüber seine/ihre Rechte kennt und eine Gewerkschaft mit rund 2,1 Millionen Mitgliedern hinter sich hat, hinterlässt das oft schon wirksamen Eindruck.

Fünf Minuten und fünf Jahre

Ein Stück Papier für mehr Arbeitssicherheit – obwohl es so einfach, hat die Öffnung einer der größten internationalen Gewerkschaften für undokumentierte Arbeitsformen lange auf sich warten lassen. Ihr gingen Jahre von Bündnisarbeit zwischen Flüchtlings- und MigrantInnenorganisationen, antirassistischen und feministischen Gruppen, einzelnen Gewerkschaftsmitgliedern und Beratungsstellen voraus. Jahre, in denen sich Gewerkschaften mehr um den "Schutz" des nationalen Arbeitsmarktes vor "Schwarzarbeit" als um die Rechte von undokumentierten ArbeiterInnen kümmerten, in denen es "Schwarzarbeiter-Telefone" gab, um illegale Beschäftigung und damit illegal Beschäftigte zu melden, und in denen GewerkschafterInnen teilweise Polizeirazzien begleiteten.

Auch heute noch argumentieren andere Gewerkschaften, illegale Beschäftigung mache die Löhne kaputt und würde inländische Arbeitsplätze besetzen. Die Gewerkschaft "Nahrung-Genuss-Gaststätten" hat noch vor drei Jahren unter anderem mit dem Bundesministerium für Finanzen ein "Bündnis gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung in der Fleischwirtschaft" geschlossen. Die Industriegewerkschaft "Bauen-Agrar-Umwelt" forderte diesen April zusätzliches Personal für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, um Mindestlöhne zu kontrollieren – und illegale Beschäftigung zu bekämpfen.

Für antirassistische Initiativen wie "respect" und "kanak attak berlin" steht dahinter eine nationalistische und rassistische Vorstellung "einer neuen Form der 'Schmutzkonkurrenz'", die "einer Gruppe von Menschen ein Vorrecht auf einen Arbeitsplatz gegenüber einer anderen einräumt." So formulierten es die Initiativen im Jahr 2003. Im selben Jahr, als sich eine der AktivistInnen beim ver.di-Bundeskongress fünf Minuten Rederecht erkämpfte und forderte, auch die Interessen von illegalisierten ArbeiterInnen zu vertreten. Ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske sprach sich daraufhin noch am Kongress für die Legalisierung von Arbeitskräften aus, die in Deutschland mit prekärem Status oder ohne Aufenthaltspapiere arbeiten. "Ich halte es für richtig, dass wir uns als Gewerkschaften dieses Themas annehmen. Ich kann mir eine Legalisierung vorstellen", erklärte er, betonte aber auch, dass zuerst eine intensive Diskussion dazu notwendig sei. Fünf Jahre später, 2008, nahm MigrAr, die erste Beratungsstelle in Hamburg, die Arbeit auf.

Besondere Branchen, beschränkte Ressourcen

Dass es auch bei ver.di noch Unsicherheiten im Umgang mit undokumentierter Arbeit gibt, zeigt die strukturelle Einbindung der Beratungsstellen. Diese sind angesiedelt im "Fachbereich 13 – Besondere Dienstleistungen", gemeinsam mit Zeitarbeit, Callcentern, Prostitution und allem, was nicht in andere Fachbereiche passt. Dabei kommen die Anfragen an den "Arbeitskreis undokumentierte Arbeit" aus ziemlich alltäglichen Branchen: von Hausarbeiterinnen und Zeitungslieferern, aus Gastronomie, Hotellerie und Reinigung oder aus Fitnessstudios.

Ver.di stellt die Räume und Bürotechnik und gegebenenfalls die AnwältInnen zur Verfügung. Die Beratung selbst ist – wie auch die anderen ver.di-Beratungen, etwa für Lohnsteuer oder SeniorInnen – ehrenamtlich organisiert. Der Pool aus rund zwanzig MitarbeiterInnen speist sich aus antirassistischen Initiativen wie "respect", der medizinischen Flüchtlingshilfe oder "FelS" ("Für eine linke Strömung").

Das öffentliche Interesse an ihrer Arbeit sei so groß, erzählt Roth, dass für viele Anfragen und zusätzliche politische Arbeit keine Ressourcen bleiben. "Es gibt zwar einen bezahlten Rechtssekretär, der für uns zuständig ist, aber der hat auch noch viele andere Aufgabengebiete. Darum ist ein Ziel von uns eine feste Stelle, die die Beratung gewährleistet."
Zu tun bleibt noch einiges – die Liste der möglichen Forderungen ist lang: etwa die bundesweite Aufhebung der Meldepflicht für Sozialämter, Krankenhäuser und Schulen, die Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen und nicht zuletzt der kostenlose und anonyme Zugang zum Krankensystem.


Dieser Beitrag erschien erstmals in: "an.schläge", Mai 2010.

Katharina Ludwigschreibt als freie Journalistin in Berlin, aktuell zu den Schwerpunkten Arbeit/Soziales.