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We are Family?

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von Sushila Mesquita

Die Frage, wer bzw. was eine Familie ist, hat derzeit Konjunktur. Viel steht auf dem Spiel, gerät doch die traditionelle Vorstellung von Familie als verheiratetem Paar mit Kind(ern) angesichts der zunehmenden Pluralisierung von Lebensformen immer mehr ins Wanken. Einen wichtigen Anteil an der Brisanz der Debatten haben gegenwärtige Entwicklungen rund um die rechtliche Anerkennung lesbischer und schwuler Paarbeziehungen. Denn: Welche Rechte und Pflichten diesen zugestanden werden können und sollen, hängt nicht zuletzt von der Definition des Familienbegriffs ab.

Das Bemühen um einen Ausschluss lesbischer und schwuler Beziehungen aus der rechtlichen Familiendefinition tritt besonders deutlich in den absurd anmutenden Bestimmungen des Namensrechts des Partnerschaftsgesetzes, das am 1.1.2010 in Österreich in Kraft getreten ist, zu Tage. Im Gegensatz zu Ehepaaren dürfen eingetragene Partner_innen nämlich keinen gemeinsamen Familiennamen tragen – dieser wird mit der Begründung der Eingetragenen Partnerschaft automatisch zum "Nachnamen". Will das lesbische oder schwule Paar einen gemeinsamen Familien- oder Doppelnamen, so muss dieser bei der Eintragung beantragt werden. Der Doppelname darf aber, und hierin liegt ein weiteres pikantes Detail, keinen Bindestrich beinhalten: Die beiden Namen sind – anders als bei Doppel-/Familiennamen bei verheirateten heterosexuellen Paaren – vielmehr durch ein Leerzeichen zu trennen.

Diese umstrittene Regelung, die mit sich bringt, dass diverse Formulare um den Eintrag "Nachname" erweitert werden müssen – was, so die Kritik der Grünen, einerseits gehörige Verwaltungskosten verursache und andererseits zu einem "Zwangsouting" führe –, wird von Seiten der ÖVP damit begründet, einen Unterschied zur bürgerlichen Ehe machen zu müssen. Dieser Unterschied beschränkt sich nicht einfach auf den symbolischen Ausschluss vom Familienbegriff. Letzterer dient vielmehr als Begründung für die mangelnde Anerkennung lesbischwuler Elternschaft. [1]

So ist es denn auch um die Rechte von "Regenbogenfamilien" schlecht bestellt: Das Partnerschaftsgesetz verbietet ausdrücklich die gemeinsame Adoption sowie die Stiefkindadoption durch Co-Vater oder Co-Mutter als auch den Zugang zu fortpflanzungsmedizinischen Technologien. [2]
Die Ansprüche auf Schutz und Förderung von Familien, die sich quer durch alle Parteiprogramme ziehen, bleiben damit in Österreich nach wie vor weitgehend auf traditionelle heterosexualisierte Vorstellungen bzw. Formen von Elternschaft – und damit: Familie – beschränkt.

Queering Familie und Verwandtschaft

Die vermeintliche Natürlichkeit bestimmter Familienformen als gesellschafts- und bevölkerungspolitisches Konstrukt zu entlarven – immerhin erweist sich die Kernfamilie bei näherer Betrachtung als historisch relativ junges und keineswegs globales Gebilde – und die rechtliche Anerkennung von Familienformen jenseits von (Hetero- und Homo-)Ehe voranzutreiben, gehört zu den wichtigsten Aufgaben queer-feministischer Lebensformenpolitiken. [3]
Diese beschränken sich allerdings nicht auf die Ausdehnung des Familienbegriffs auf alle Formen des verantwortlichen Zusammenlebens mit Kindern: Familie wird vielmehr weiter gefasst und ist, mit den Worten des ehemaligen deutschen PDS-Abgeordneten Christian Schenk, "da, wo Nähe ist, wo Sorge füreinander und Verantwortlichkeit das tragende Moment des Geflechts der Beziehungen zwischen den Beteiligten bildet. 'Familie' ist dann nicht mehr die Bezeichnung biologischer Verwandtschaftsbeziehungen oder die Realisierung einer tradierten Norm, der sich Menschen unabhängig von ihren Bedürfnissen und ihren realen Verhältnissen zueinander anzupassen haben, sondern in zunehmendem Maße Ausdruck eben dieser Bedürfnisse." [4]

Als "Wahlverwandtschaft" bzw. "Wahlfamilie" bezeichnet Schenk diese selbst gewählten Beziehungszusammenhänge, denen je nach Bedarf und Absprache bestimmte Rechte und Pflichten – wie zum Beispiel mit wem das Sorgerecht geteilt wird, wer im Krankheits- oder Todesfall mitbestimmen soll, wer was erbt usw. – übertragen werden können. [5]
Die freie Wahl der rechtlichen Ausgestaltung der eigenen Beziehungen ist dabei vom Grundgedanken einer Gleichstellung aller Lebensweisen getragen, die keine bestimmte Beziehungsform gegenüber anderen finanziell und/oder rechtlich bevorzugt oder benachteiligt. Wie könnte nun aber eine solche bedürfnisorientierte radikale Reform des Familienrechts aussehen? Auch wenn es bislang an rechtlichen Umsetzungen mangelt, so liegen doch bereits konkrete Beispiele bzw. Empfehlungen vor.

Kanada: Die freie Wahl?

Einen in dieser Hinsicht bemerkenswerten Vorstoß stellt der im Dezember 2001 von der Law Commission of Canada vorgelegte Bericht "Beyond Conjugality. Recognizing and supporting close personal adult relationships" dar. [6] Vorausgegangen ist der Veröffentlichung die beinahe völlige rechtliche Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Lebensgemeinschaften mit Ehen in Kanada im Jahr 2000. Obwohl die Kommission diesen Schritt begrüßt, kritisiert sie die unverändert gebliebene Fokussierung auf die Anerkennung sexueller (Zweier-)Beziehungen und die Vernachlässigung aller anderen Beziehungsformen, in denen füreinander Sorge getragen wird. Im Gegenzug schlägt sie vor, den Maßstab für die rechtliche Behandlung nach den in unterschiedlichen Beziehungen jeweils erfüllten Funktionen und Bedürfnissen auszurichten – wie etwa Pflege im Krankheitsfall, finanzielle und emotionale Unterstützung, Erziehung von Kindern, Haushaltsführung etc.

Dieser Paradigmenwechsel machte eine gründliche Evaluierung der bestehenden Gesetzeslage notwendig. Mit Hilfe eines vierstufigen Modells überprüfte die Kommission zunächst Ziele und Zweck jeder gesetzlichen Bestimmung des Familienrechts auf ihre Legitimität und Aktualität, etwa hinsichtlich des ihr zugrunde liegenden Geschlechterrollenverständnisses. In einem zweiten Schritt wurde danach gefragt, ob Beziehungen bezüglich bestimmter Regelungen überhaupt Relevanz besitzen sollen, oder ob – beispielsweise im Steuerrecht – eine individuelle Behandlung nicht weitaus sinnvoller und gerechter wäre. In einem dritten und vierten Schritt wurde schließlich ausgelotet, ob und wo Selbstbestimmung bzw. eine sensiblere Handhabung von Seiten des Staates in Bezug auf die Relevanz unterschiedlicher Beziehungen für bestimmte Rechtsbereiche möglich wäre.

Die Empfehlungen, die die Kommission im Anschluss an ihre Evaluation für die Reform einer Vielzahl von Rechtsbereichen abgegeben hat – vom Steuerrecht über das Pensions-, Versicherungs- und Erbrecht bis hin zum Fremdenrecht –, zielen insgesamt auf mehr Autonomie bei der Entscheidung, welche Beziehungen in welchem Fall zählen sollen sowie auf die Gleichstellung von Beziehungen, die ähnliche Funktionen erfüllen.
Dies hat letztendlich zur Folge, dass es bezüglich der Vergabe bestimmter Rechte und Pflichten keine Rolle mehr spielt, ob es sich um ein Ehepaar, eine Lebensgemeinschaft oder um eine andere Beziehungsform handelt – was zählt ist einzig und allein, ob Menschen in einer Beziehung gegenseitiger emotionaler und ökonomischer Abhängigkeit leben. Im Sinne der Rechtssicherheit schlägt die Kommission flexible Eintragungsformen vor, in denen je nach Bedarf festgelegt werden kann, wer bestimmte Rechte und Pflichten gegenüber anderen Personen übertragen bekommen soll. Die Ehe wäre nach diesem Modell damit nicht mehr und nicht weniger als eine unter vielen frei wählbaren Möglichkeiten, die eigenen Beziehungen rechtlich auszugestalten.

Ambivalenzen der Anerkennung

Es ist nicht gerade verwunderlich, dass die beinahe revolutionär anmutenden Empfehlungen der Law Commission of Canada bislang nicht umgesetzt wurden. Doch so wünschenswert eine solch radikale Reform des Familienrechts auch wäre, so notwendig ist ihre Einbettung in eine Reihe weiterer flankierender Maßnahmen.

Mit Blick auf den breiteren sozio-politischen Kontext der Reformvorschläge eröffnet sich nämlich ein durchaus ambivalentes Szenario: Die Ausweitung des Familienbegriffs auf Beziehungen gegenseitiger emotionaler und ökonomischer Abhängigkeit erfolgt historisch zu einem Zeitpunkt, an dem massive Kürzungen im Sozialbereich vorgenommen und Familien (wieder) verstärkt als Orte der Absicherung und der privatisierten Verantwortung angerufen werden – und dies nicht zuletzt auch im Entwurf der Kommission. Die gegenwärtig stattfindende "Umcodierung von Ein- und Ausschluss aus dem Familienbegriff unter neoliberalen Vorzeichen" [7] bringt daher mit sich, dass sich auch queere Lebensformenpolitiken zwangsläufig "in einem ambivalenten Spannungsverhältnis zwischen der Kritik an der Privatisierung sozialer Sicherheit und dem Nutzen von Spielräumen, die sich durch den neoliberalen Diskurs der Verantwortung eröffnen" [8], bewegen.

In diesem Sinne reicht es also aus queer-feministischer Perspektive noch nicht, für die rechtliche (und gesellschaftliche) Anerkennung unterschiedlichster Lebens- bzw. Familienformen einzutreten. Vielmehr ist es notwendig, die Forderung nach Anerkennung konsequent mit der Forderung nach dem Ausbau individueller Rechte und der Bereitstellung öffentlicher Ressourcen – wie ausreichend finanzierter Kinderbetreuungseinrichtungen, Zugang zu leistbarem Wohnraum und guter Ausbildung, Anspruch auf ein bedingungsloses Grundeinkommen etc. –, also mit einer Forderung nach Umverteilung zu verknüpfen.


Fußnoten:

[1] Vgl. Mesquita, Sushila: Homo.Ehe.Norm. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (OeZG) 3/2009: Ehe.Norm, Innsbruck, 133–143

[2] Ein Überblick über die wichtigsten Regelungen der Eingetragenen Partnerschaft findet sich auf www.partnerschaftsgesetz.at.

[3] Allerdings ist der Versuch der Aneignung und Umdeutung des Familienbegriffs nicht unumstritten. So fragt Antke Engel etwa, ob nicht die Erarbeitung eines neuen "begrifflich-konzeptionellen Rahmens" weitaus sinnvoller wäre, "um die geschlechterhierarchische und heteronormative Organisation von Familie und Verwandtschaft aufzubrechen". Engel, Antke : Sandkastenträume. Queer/feministische Überlegungen zu Verwandtschaft und Familie. In: femina politica, 12 (1) 2003, 36–45, hier: 40

[4] Schenk, Chris: Vom Ende der Eindeutigkeit und neuen Anstrengungen. Zu den politischen Folgen der Entgrenzung von Geschlecht, Sexualität und Beziehungsform. In: Degele, Nina/Penkwitt, Meike (Hg.): Queering Gender – Queering Society. Freiburger Frauenstudien, Ausgabe 17, 2005, Freiburg, 141–169, hier: 159

[5] Eine äußerst "delikate" Angelegenheit stellen binationale Wahlverwandtschaften dar. Schenk stellt diesbezüglich ernüchternd fest: "In der Logik des hier vorgestellten Konzepts hat jeder Mensch mit gesichertem Aufenthaltsstatus in Deutschland das Recht, mit einer unbegrenzten Zahl von Menschen aus Nicht-EU-Staaten zusammenzuleben, was ein ohne Einschränkung gewährtes Aufenthaltsrecht für diese voraussetzen würde. Dies ist zurzeit in der Öffentlichkeit kaum vermittelbar, geschweige denn politisch umsetzbar." (Schenk 2005, wie Anm. 4: 165 Fußnote 44)

[6] www.samesexmarriage.ca/docs/beyond_conjugality.pdf

[7] Ganz, Kathrin: Neoliberale Refamiliarisierung und queer-feministische Lebensformenpolitik. In: Groß, Melanie/Winker, Gabriele (Hg.): Queer-Feministische Kritiken neoliberaler Verhältnisse, Münster 2007, 51–77, hier: 65

[8] Ganz 2007, wie Anm. 7: 54

Sushila Mesquita ist derzeit Lektorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet an ihrer Dissertation über Ambivalenzen der Normalisierung in Zusammenhang mit rechtlichen Anerkennungspolitiken. Zudem ist sie verstrickt in diverse queer-feministische, anti-rassistische und popkulturelle Zusammenhänge und Projekte.