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Prekarität und die bezahlte sexuelle Dienstleistung

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von Luzenir Caixeta

Die Rolle und Anzahl von Migrantinnen im prekarisierten Bereich nehmen rasant zu. Bestehende Arbeitsverhältnisse sind dabei überwiegend im Kontinuum „Sex – Fürsorge – Pflegearbeit“ angesiedelt. Die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen ist ein Produkt sowohl diskursiver als auch rechtlicher und wirtschaftlicher Faktoren. De-Industrialisierung, immaterielle Produktion, Feminisierung der Arbeit, transnationale Migration und die Mobilität von Kapitalinvestitionen spielen in den Produktionsprozessen in den postfordistischen Gesellschaften eine prägende Rolle. Die neoliberale Umgestaltung dieser Prozesse, die unter den Stichwörtern Flexibilisierung, Deregulierung usw. die gesellschaftspolitischen Debatten beherrschen, brachte eine Vielfalt prekärer Arbeits- und Lebensbedingungen mit sich.

Prekäre Dienstleistungssektoren wie die Sexindustrie oder der Reinigungsbereich, in denen Migrantinnen besonders stark vertreten sind, dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen im Zusammenhang mit einer Reihe weiterer prekarisierter Arbeitsbereiche im informellen Sektor gesehen werden, wie z.B. mit bezahlter Hausarbeit, Kranken- und Altenpflege, Kinderbetreuung, Mini-Jobs im Supermarkt oder in Hotels, Beschäftigung in Call Centern etc. So unterschiedlich diese neuen Arbeitswelt-Identitäten auch sein mögen, der Ausschluss aus dem System der Arbeitsrechte und damit aus deren Schutz ist allen gemeinsam.

In diesem Artikel geht es um eine Annäherung an die tabuisierte bezahlte sexuelle Dienstleistung. Um das Spezifikum dieses Sektors darzustellen, wird hier ein kurzer Überblick über die Strukturierung der Sexindustrie, die Hauptpositionen in der Debatte über Prostitution sowie die Situation der Sexarbeiterinnen skizziert.

Sexindustrie

Die Bezeichnung "Sexindustrie" signalisiert, welches Ausmaß der Sexmarkt im Allgemeinen angenommen hat, und markiert seine Kapazität, Einkommen zu generieren, als auch seine Wechselbeziehungen mit anderen großen Industrien und Infrastrukturen (wie z.B. dem Tourismussektor). Sie zeigt auch die starke Verbreitung bzw. Vielfältigkeit der mit der Sexindustrie assoziierten Geschäfte im Vergnügungssektor (Massagesalons, Sauna, Table-Dance, Peepshow, Striptease, Telefonsex, Cyberporno, Sex Shops, Pornovideos etc.) und im Prostitutionssektor (in Privatapartments, Clubs, am Straßenstrich etc.).

Das Wachstum der Sexindustrie ist einerseits verbunden mit Globalisierungsprozessen, in denen die Geschäfte vielfältiger sind und transnationale Märkte für das Wachstum gesucht werden, und hängt andererseits mit dem vermehrten Konsum und der damit einher gehenden Schaffung von Bedürfnissen zusammen. Durch den Lebensstil in den entwickelten Ländern entsteht das Bedürfnis nach "Freizeit" und Urlaub, das sich nach Orten der "Ablenkung" und des Exotischen ausrichtet, an denen Austauschbeziehungen auf affektiv-sexuellem Gebiet versprochen werden. In diesem Zusammenhang sind die Migrationsströme, die an die Nachfrage von sexuellen Dienstleistungen gebunden sind, von großer Wichtigkeit.

Sexarbeit

Sexarbeit ist heutzutage geprägt von Prozessen globaler Entgrenzung und neuer Grenzziehungen im Rahmen internationaler Mobilität. An dieser Stelle sollen nur die zwei Hauptpositionen der Debatte über Prostitution innerhalb von Frauen-NGOs, die in diesem Bereich tätig sind, skizziert werden: der neo-abolitionistische Ansatz, der sich für die Abschaffung von Prostitution einsetzt, und der Legalisierungsansatz, der sich für die Rechte der Sexarbeiterinnen einsetzt.

Der neo-abolitionistische Ansatz, wie er von der Coalition Against Trafficking in Women (CATW) vertreten wird, definiert Prostitution als sexuelle Ausbeutung, als Akt der Viktimisierung aller Frauen und als Menschenrechtsverletzung: Prostitution sei bezahlte Vergewaltigung und ein pathologischer Auswuchs des Patriarchats. Die Frauen in der Sexarbeit handelten demnach nicht freiwillig, deswegen müsse Prostitution abgeschafft werden. [1] Jede Form von Migration zum Zweck der Prostitution wird mit Frauenhandel gleichgesetzt und damit werden den Migrantinnen eigene Handlungsmöglichkeiten per se abgesprochen.

Die Gegenposition, auf internationaler Ebene repräsentiert durch die Global Alliance Against Trafficking in Women (GAATW), unterscheidet zwischen Frauenhandel und Zwangsprostitution auf der einen und freiwilliger Prostitution auf der anderen Seite und betont die Selbstbestimmung der Frauen in der Sexarbeit. Prostitution wird hier als eine Dienstleistung gesehen, die gleiche Anerkennung und Schutz verdient wie jeder andere Beruf und die grundsätzlich freiwillig aufgenommen werden kann. Es wird erkannt, dass die Unterwerfung unter die vielfältigen prekarisierenden Zwangsverhältnisse zugleich erweiterte Handlungsspielräume bieten kann. Bereits das Ausbrechen aus elenden ökonomischen Verhältnissen oder patriarchalen Strukturen im Herkunftsland und der Schritt in die Lohnarbeit im Ausland kann eine erste Erfahrung von Selbstermächtigung sein. In diesem Sinne liegt der Fokus auf der Schaffung von besseren, geregelten Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen durch gesellschaftliche und legale Anerkennung von Prostitution als Arbeit.

Sexarbeiterinnen

Ein Faktor, der die Prekarisierung von Sexarbeit im Besonderen fördert, ist ihr sozialer Status. Sexarbeit ist in den meisten Gesellschaften ein stigmatisierter Bereich. Migrantinnen (in Österreich ca. neunzig Prozent der Sexarbeiterinnen) werden mehrfach, als Ausländerinnen und als Prostituierte, ausgegrenzt und stigmatisiert. Darüber hinaus haben Sexarbeiterinnen in Österreich insgesamt viele Pflichten (Registrierung, Steuerpflicht, wöchentliche amtsärztliche Untersuchungspflicht, SVA-Kranken- und Unfallversicherung, Tätigkeit nur an genehmigten Arbeitsorten), aber unverhältnismäßig wenige Rechte (abgesehen von den vorgesehen Leistungen der SVA).

Obwohl sie z.B. Steuern zahlen müssen, gelten keinerlei Arbeitnehmerschutzbestimmungen, da Prostitution nicht als unselbstständige Erwerbstätigkeit gilt. Prostitution ist aber auch nicht als Gewerbe anerkannt. Sexarbeiterinnen können also als Scheinselbstständige betrachtet werden, da es an den Arbeitsorten sehr wohl fixe Arbeitszeiten und Regelungen gibt. Die Liste der Missstände und Nachteile ist lang: ein unregelmäßiges Einkommen; Arbeit oft sieben Tage die Woche, zwölf Stunden am Tag/Nacht, in verrauchten Räumen, bei hohem Lärmpegel, ohne Fenster, strenge Kontrollen, lästige Kunden, die Unsafe-Sex-Praktiken einfordern usw..

Nach den jüngsten Änderungen im Ausländergesetz können Sexarbeiterinnen kein eigenständiges Visum mehr beantragen (früher unter dem Titel "Aufenthalt ohne Niederlassung"), die Novelle 2006 hat durch fehlende Übergangsfristen dazu beigetragen, Frauen, die seit Jahrzehnten in der Sexindustrie mit diesem die Niederlassung nicht verfestigenden Titel gearbeitet haben, zu illegalisieren.

Die Arbeit bring aber auch gewisse Vorteile: Es ist der Arbeitssektor, in dem Migrantinnen das meiste Geld verdienen können. Je nach Sektor der Sexindustrie bietet der Job zudem Flexibilität, es ist möglich, Prostitution als Nebenjob auszuüben, es gibt keine vertragliche Bindung, eine Ausbildung ist meist nicht notwendig. Die Frauen haben die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, eine Fremdsprache zu üben etc.

Perspektiven

Dieser kurze Überblick macht klar, dass die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen im Zusammenhang mit dem Kampf in anderen prekären Dienstleistungssektoren erstritten werden kann und soll. Anti-Prostitutions- und Anti-Migrationspolitik haben erfahrungsgemäß eine negative Auswirkung auf die Rechte der in der Sexarbeit Tätigen und müssen eingestellt werden. Denn die Nichtanerkennung von Sexarbeit verringert nicht die Zahl der MigrantInnen in diesem Sektor.

Eine moralistische Sichtweise auf Sexarbeit ignoriert lediglich die Lebensrealität vieler Frauen (und Männer). Repressive Politik hinsichtlich Migration, öffentliche Ordnung und Moral haben zu einer vermehrten Verletzbarkeit der SexarbeiterInnen mit all ihren negativen Konsequenzen für ihre Gesundheit und Sicherheit geführt. Das Internationale Komitee der Rechte von SexabeiterInnen in Europa (ICRSE) schlägt daher vor, einen Prozess in Gang zu setzen, der die Rechte der SexarbeiterInnenbewegung in Europa stärkt. Organisationen, die sich für die Rechte von SexarbeiterInnen einsetzen, haben sich zudem entschieden, sich mit neuen Verbündeten in Menschenrechts-, Arbeits- und Migrationsrechtsorganisationen zusammenzutun.

Im Spannungsfeld aller vorhandenen Widersprüche bemüht sich auch maiz, einen Raum für eine kollektive Organisation verschiedener Migrantinnengruppen zu schaffen und deren Interessen und Forderungen zu bündeln, indem die Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen prekären Arbeits- und Lebensbedingungen ins Zentrum gerückt und gemeinsam nach außen getragen werden.

Die ultimative Zielsetzung ist es, die Diskussionen über Prostitution, Sexindustrie, Frauenhandel und Migration herauszufordern und neu zu definieren. Die Allianzenbildung im Rahmen der Prekaritätsdebatten könnte eine Möglichkeit sein. Conditio sine qua non ist: Nicht ohne die Betroffenen!


Gekürzte Fassung des Artikels "Precarius labor et stuprum corporis. Prekarität und die bezahlte sexuelle Dienstleistung", erschienen erstmals in der Zeitschrift "Kulturrisse", Ausgabe 2/2005 zum Schwerpunkt "EurMayDay005. mächtig prekär".


Fußnote:

[1] Vgl. Barry, Kathleen: The prostitution of sexuality. New York 1995

Luzenir Caixetaist Mitbegründerin von maiz - Autonomes Zentrum von & für Migrantinnen in Linz, wo sie für die Koordination der Beratungsstelle, Sex & Work und für den Forschungsbereich zuständig und als Beraterin tätig ist.