Ausgabe 2011/1

Literatur in Bewegung

"Fremdsein ist eine Kunst", sagte einmal die japanisch-deutsche Schriftstellerin Yoko Tawada. Tatsächlich haben während des letzten Jahrzehnts die Werke von Autor_innen "migrantischer Herkunft" im deutschsprachigen Raum einen regelrechten Rezeptionsboom erlebt. Doch welche Zuschreibungen werden unter Labels wie "Migrationsliteratur" oder "interkulturelle Literatur" eigentlich verhandelt? Und: Wie könnte eine selbstbestimmte Neuverortung literarischer Identitäten – jenseits herkömmlicher Repräsentationspolitiken – aussehen?

Fokus ^

Im Dazwischen schreiben?

von Meri Disoski

Literatur von AutorInnen mit "Migrationshintergrund" hat während des letzten Jahrzehnts einen regelrechten Rezeptionsboom erfahren. Doch was wird eigentlich mit dem Begriff "Migrationsliteratur" behauptet?

AusländerInnenliteratur, Literatur ausländischer AutorInnen, Literatur von außen, Literatur der Betroffenheit, Gast- bzw. GastarbeiterInnenliteratur, Migrations- bzw. MigrantInnenliteratur, Minderheitenliteratur, Emigrations- bzw. ImmigrantInnenliteratur, Literatur der Fremde, Literatur mit dem Motiv der Migration, multikulturelles Schreiben, interkulturelle bzw. transnationale Literatur, Schreiben im Dazwischen …

"Der Markt braucht Labels"

Interview mit Julya Rabinowich

Das Dilemma der "Migrationsliteratur" – zwischen strategischer Aufwertung und breitenwirksamer Verniedlichung.

Das Label "Migrationsliteratur" oder "MigrantInnen-Literatur" stellt einerseits Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit her, für Autor_innen, die sonst selten im Mittelpunkt stehen. Andererseits nivelliert das Etikett die unterschiedlichen literarischen Herangehensweisen, indem die scheinbare Gemeinsamkeit der "Migrationserfahrung" in den Vordergrund gerückt wird. Wie gehen Sie mit diesem Dilemma um?

Mittendrin und unterwegs

von Karin E. Yeşilada

Trends der jungen türkisch-deutschen Literatur – und ein Blick auf die neue "Chick-Lit alla turca", die den Minirock nicht mit dem Kopftuch, dafür mit der Küchenschürze verbindet.

Heuer begehen TürkInnen in Deutschland ein besonderes Jubiläum: 1961 wurde der sogenannte Anwerbevertrag zwischen Deutschland und der Türkei geschlossen. Türkische MigrantInnen in der Bundesrepublik feiern also ein halbes Jahrhundert Einwanderung. Entgegen rechtsnationalistischer Polemiken ist die türkische Einwanderung insgesamt eine Erfolgsgeschichte, gerade auch im kulturellen Bereich. Grund genug, sich der Literatur zuzuwenden: Welche neuen Trends und Tendenzen gibt es hier?

Jenseits der Leitkultur

von Nina Scholz

Güner Yasemin Balci, Sila Sönmez und Melda Akbaş – das Porträt dreier türkischstämmiger Autorinnen aus Berlin.

"Integration" ist mal wieder das große Thema. Alle Jahre wieder kommt jemand daher und provoziert mit billigen Thesen eine sogenannte Debatte. Dann kocht die Diskussion in Zeitungen, Meinungsblättern und Talkrunden hoch, bis irgendwann wieder Ruhe einkehrt. Die Stichworte haben sich seit über 20 Jahren kaum geändert: Von "Leitkultur" ist da die Rede und von "Parallelgesellschaften". Seit dem 11. September 2001 geht es außerdem vermehrt um Islamisierung, Muslime und die Werte des Westens. Die Grenzen scheinen abgesteckt, es bewegt sich kaum noch etwas.

Crossover ^

Die Normalität bestreiken

Interview mit Can Gülcü und Petja Dimitrova und Radostina Patulova und Zoraida Nieto

Am 1. März 2011 fand – nach ähnlichen Aktionen in den USA, Frankreich oder Italien – erstmals auch in Österreich ein "Transnationaler Migrant_innenstreik" für gleiche Rechte und gegen Rassismus statt. Eine Gesprächsrunde mit Aktivist_innen, die an den Vorbereitungen beteiligt waren, über erste Einschätzungen des Aktionstags und den ihm vorangegangenen Prozess.

Grundlegend für die Organisierung des ersten "Transnationalen Migrant_innenstreiks" in Österreich war die Überzeugung, die derzeitige gesellschaftliche Debatte neu zu definieren: Weg von der Inszenierung von Migration als Problem hin zur Denunzierung des politischen Systems als Feld rassistischer Praxen, das Ausschlüsse produziert. Unter dem Motto: "Wir sind hier. Ausschluss Basta!" fanden dezentrale Aktionen wie etwa Betriebsversammlungen statt, am Wiener Viktor-Adler-Markt wurde gemeinsam Präsenz gezeigt und der Tag gefeiert.

"Frauenpolitik kann erzkonservativ sein"

Interview mit María do Mar Castro Varela

Während der letzten Jahrzehnte haben insbesondere die Interventionen feministischer Migrant_innen und Women of Color den Blick auf Machtverhältnisse unter Frauen freigelegt. Doch wo stehen die Debatten um die Verknüpfung feministischer und antirassistischer Kämpfe heute?

migrazine.at: Der 8. März ist ein Datum, das unterschiedliche Geschichtsschreibungen und Bedeutungen in sich vereint: In den 1970er Jahren wurde er von den Vereinten Nationen als Tag für die Rechte der Frauen und den Weltfrieden ausgerufen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts gingen sozialistische und liberale Frauen im März gemeinsam auf die Straße, um für das Frauenwahlrecht zu kämpfen. Welche aktuellen politischen Kämpfe verleihen dem 8. März heute seine Bedeutung?

"Nach meinem Studium möchte ich Au-pair werden"

von Caterina Rohde

Zur Bedeutung des Au-pair-Aufenthalts in der Biografie junger Russinnen.

Au-pair-Programme richten sich in Westeuropa an junge Frauen, die nach dem Ende ihrer Schulzeit einige Monate in ein anderes Land reisen wollen, um die Kultur kennen zu lernen, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern oder sich eine Auszeit zu nehmen, bevor sie ein Studium oder eine Ausbildung beginnen. Blickt man aber auf Au-pairs aus Russland, ist auffällig, dass ihr Au-pair-Aufenthalt oft in eine ganz andere Phase des Lebenslaufs fällt. Viele studieren oder haben ihr Studium sogar abgeschlossen und erste Berufserfahrungen gesammelt.

Bascha & Brigitte

von Lea Susemichel

Bunte "Migrantinnen-Models" statt partizipativer Politik, individuelle Karriereplanung statt Gesellschaftskritik: Feminismus als ganz persönlicher Lifestyle.

2011 begeht der Internationale Frauentag sein 100-jähriges Jubiläum. Die deutsche Frauenzeitschrift "Brigitte" feiert mit einer Jubiläumsausgabe ihre Initiative "Ein Jahr ohne Models". Und die ehemalige "taz"-Chefredakteurin Bascha Mika bringt ein Buch heraus, das den programmatischen Titel "Die Feigheit der Frauen" trägt.

Den heterosexuellen Geschmack abschaffen?

Interview mit Amargi Women's Solidarity Cooperative und bok o bok und f.a.q. und Institut Pelangi Perempuan und La Barbe und Lambda Istanbul und Les Panthères Roses und QueerBeograd

Auf der Suche nach der queerfeministischen Bewegung – eine transnationale Collage.

Anfang 2010 hat sich bei der Berliner Initiative FelS die AG Queerfeminismus gegründet. Statt eines Rückzugs queerer und feministischer Ansätze in Nischen, anstelle des braven Verharrens in akademischen Zirkeln oder des professionalisierten Verendens im Gender Mainstreaming nehmen wir Anlauf für eine lebendige, breite, antikapitalistische queerfeministische Bewegung.

Frühlingsfest – Arbeitstest

von Alexandra Siebenhofer

Das Neujahrsfest geht in China auch immer mit Arbeitsknappheit in städtischen Fabriken einher, weil die WanderarbeiterInnen in ihre Dörfer zurückkehren. Heuer sind viele von ihnen früher als gewohnt aufgebrochen. Der Grund: steigende Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen.

Von 30. Dezember bis 3. Februar brechen rund 260 Millionen ChinesInnen auf. Zugtickets werden immer schwerer zu bekommen, Flugtickets restlos ausverkauft sein, und chinesische Konsulate auf der ganzen Welt werden mit tumultartigen Szenen rechnen müssen, wenn ihre Visa-Abteilungen endgültig für die Feiertage schließen. "Chunyun" heißt die Reisezeit von etwa acht Wochen rund um das chinesische Neujahrsfest, die offiziell am 19. Jänner begonnen hat.

Getting Rid of the Straight Taste (english, long version)

Interview with bok o bok and f.a.q. and FNO and Institut Pelangi Perempuan and La Barbe and Lambda Istanbul and Les Panthères Roses and QueerBeograd and Amargi Women's Solidarity Cooperative

In Search of the Queer Feminist Movement. A Transnational Collage.

In early 2010, a queer feminist work group formed within the Berlin-based action group FelS (Für eine linke Strömung, "For a Leftwing Current"). No retreat of queer and feminist approaches to niches, no uninspired lingering in academia, no professional perishing in gender mainstreaming. Instead, we are preparing ourselves for a vibrant, broad, anti-capitalist queer feminist movement.

Filmischer feministischer Aktivismus

von Claudia Dal-Bianco

Die Dokumentationen über türkische Freihandelszonen von Güliz Sağlam

Güliz Sağlam, eine Filmemacherin, die in Istanbul lebt, versucht durch ihre Filme die Situation von Frauen, die in Fabriken innerhalb türkischer Freihandelszonen arbeiten, sichtbarer zu machen. Sie hat Politikwissenschaften in Istanbul studiert. In ihren Filmen beschäftigt sie sich mit den Arbeitsverhältnissen von Frauen und deren Widerstand in großen Fabriken in den türkischen Freihandelszonen.

Decolonizing Postcolonial Rhetoric (english)

von Encarnación Gutiérrez Rodríguez

The epistemological contributions of decolonial voices, subjugated knowledge, represented by Black, Chicana, South Asian and Third World feminist and queer theorists of the 1980s in the United States and the absence of their theory production from the curricula in Sociology departments in Western Europe.

The title of this essay appears to be a tautology. How can the “postcolonial” be decolonized, if it already indicates a posterior stage to colonialism? And we might need to ask what do we mean by “rhetoric”? I will discuss here “rhetoric” in relation to “critique”. Critique becomes rhetoric when it detaches ideas from practices, finding its ultimate goal in rewording concepts, rather than in the transformation of institutional practice

Embodied Knowledge

Feminist Birthday Club

von Vina Yun

Der Internationale Frauentag feiert Geburtstag: Ein Rundgang durch die Jubiläumsausstellung "Feste.Kämpfe. 100 Jahre Frauentag" im Österreichischen Volkskundemuseum.

19. März 1911. Rund 20.000 Menschen – mehrheitlich Frauen – marschieren über die Wiener Ringstraße und fordern: "Den Frauen gleiches Recht!" Es ist der erste Internationale Frauentag, der zeitgleich in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und in den USA begangen wird. An den Protesten beteiligen sich mehr als eine Million Frauen, die u.a. für das allgemeine Frauenwahlrecht sowie für das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung (Stichwort: legaler Schwangerschaftsabbruch) demonstrieren.