Dialog mit dem Ich
2004 verlässt Parsua Bashi ihre Heimat, um "eine weitere Iranerin in Zürich" zu werden. Mit 37 Jahren will sie im Westen ein neues, von den Schatten der Vergangenheit losgelöstes Leben beginnen. Nach der ersten Phase der vermeintlichen Eingewöhnung an die neue Lebenswelt will sie alles richtig machen: Deutsch lernen, Job und FreundInnen finden und dabei natürlich die Verbindung zur alten Heimat aufrechterhalten. Doch der anfänglichen Euphorie folgen bald Ernüchterung und eine tiefe Depression: Von Heimweh, Selbstzweifeln und Ängsten geplagt, beginnt Bashi einen Dialog mit dem eigenen Ich: "Ich konnte meine Vergangenheit einfach nicht verleugnen. Ich musste mich an die Tage und Nächte erinnern, die ich mit ihnen – mit mir – verbracht habe."
History lessons
Parsua Bashis Aufarbeitung der eigenen Biografie wird gleichzeitig zu einer eindrucksvollen Schilderung der jüngeren iranischen Geschichte: die frühe Jugend im postrevolutionären Iran, die Teenager-Jahre während des Iran-Irak-Krieges, das Studentinnen-Leben unter dem strengen Mullah-Regime. Die mit schonungsloser Ehrlichkeit und jeder Menge Witz geschilderten autobiografischen Stationen sind eng an die politischen Entwicklungen des Landes geknüpft und liefern einen ebenso einmaligen wie kritischen Blick auf den Alltag in Teheran seit den späten 1970er Jahren.
Bashis Bruder, zahlreiche FreundInnen und Verwandte haben den Iran bereits während des Iran-Irak-Krieges in den frühen 1980ern verlassen. Doch trotz der ständigen Überwachung durch die Revolutionspolizei und Moralwächter ist sie fest entschlossen zu bleiben. Parsua Bashi studiert Grafik, macht ihren Uni-Abschluss und stürzt sich übereilt in die Ehe mit einem Künstler und "Schönredner". Nach der Scheidung verliert sie, nach dem im Iran geltenden religiösen Recht, das Sorgerecht für ihre kleine Tochter und führt das geächtete Leben einer geschiedenen Frau.
Migrantin, Feministin, Weltbürgerin
Fernab jeglicher Romantisierung nimmt Bashi auch die vermeintliche Freiheit im Westen nicht von ihrer Kritik aus: Sexismus, Rassismus und Konsumrausch finden sich selbst in der "aufgeklärten" Schweiz. Bashi gelingt eine kluge und humorvolle Gesellschaftsanalyse, die sie mit Anekdoten aus ihrem neuen Leben in Zürich spickt. Die gelernte Grafikerin und Designerin Bashi bringt mit ihren Zeichnungen auf den Punkt, was sich mit Worten nur schwer beschreiben lässt: Die Verletzlichkeit und "Nacktheit", die sie Tag für Tag aufgrund der Sprachbarrieren fühlt, oder die Verwirrung, die sich beim Anblick der ebenso spärlich wie uniform bekleideten Zürcherinnen einstellt ("Haben diese Bourgeois nichts anderes zu tun, als gegenseitig ihr Outfit zu kopieren?").
Besonders eindrucksvoll fallen die Verhandlungen der eigenen Positionen als Frau, Feministin, Migrantin, Gelegenheits-Patriotin, Weltbürgerin, Mutter usw. aus. Im kontinuierlichen Zwiegespräch mit dem Ich aus der Vergangenheit reflektiert Bashi die eigenen Entscheidungen und Handlungen und gelangt zu einer differenzierten Analyse ihrer persönlichen Entwicklung.
Lebensgeschichte in Bildern
Im Genre der Graphic Novel (grafische Novelle, Comic-Roman) vermischen sich die typischen Stilmittel des Comics mit Elementen des autobiografischen und literarischen Erzählens. Bashi setzt das in "Nylon Road" nicht nur meisterhaft um, sondern geht sogar einen Schritt weiter. Abseits des bloßen Narrativs bebildert sie auch einige Grundsatzdebatten der modernen Gesellschaft: Wie weit darf Meinungsfreiheit gehen? Ist Islamkritik manchmal nicht auch kontraproduktiv? Und inwieweit führen die Frauen im Westen tatsächlich ein selbstbestimmtes Leben?
Neben "Nylon Road" sind in den letzten Jahren einige Lebensgeschichten in Bildern erschienen. Die bekannteste und erfolgreichste unter ihnen ist "Persepolis", ebenfalls eine Graphic Novel, in der sich die im Iran geborene Autorin Marjane Satrapi mit ihrer Kindheit und Jugend beschäftigt. Es scheint, als würde sich das Genre der grafischen Novelle besonders dafür eignen, die komplexe Thematik der Migration, der Identitätssuche und des Lebens "zwischen" den Welten zu verhandeln. Parsua Bashi zeichnet die Verhältnisse neu – und schafft es, mit "Nylon Road" auch LeserInnen zu erreichen, die wohl sonst nicht zu einem Comic greifen würden.
Parsua Bashi: Nylon Road. Eine graphische Novelle.
Kein & Aber 2006, 20,50 Euro