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Das pädagogische Verhältnis emanzipieren

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Interview mit Elisabeth Cepek

migrazine.at: maiz-Bildung hat in der Konferenz "Paternalismus in der (sprachbezogenen) Erwachsenenbildung" mit dem Forschungsprojekt "Deutsch als Zweitsprache im Rahmen kritischer Bildungsarbeit" zur Diskussion beigetragen. Worum geht es in diesem Projekt?

maiz-Bildung: "Deutsch als Zweitsprache im Rahmen kritischer Bildungsarbeit" ist ein einjähriges Projekt. Ziel des Projekts ist es, Grundlagen für ein neues Curriculum für Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung auszuarbeiten. Das Projekt wird gemeinsam mit dem Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck und mit dem Fachbereich DaZ des Instituts für Germanistik der Universität Wien durchgeführt. Unser Zugang zum Thema ist sowohl theoretisch als auch empirisch. Wir haben uns mit Theorien, Konzepten, Curricula und Angeboten im Feld DaZ beschäftigt. Danach haben wir unter anderem qualitative Interviews mit Unterrichtenden und pädagogischen Leiter_innen im Feld durchgeführt.

Wir haben uns mit einer Reihe von Fragen beschäftigt, beispielsweise: Was gilt als Ermächtigung/Selbstermächtigung im Feld DaZ? Wo liegen Widersprüche und Hindernisse, die der Umsetzung einer emanzipatorischen und ermächtigenden Bildungspraxis im Wege stehen? Wie gestaltet sich das pädagogische Verhältnis zwischen Erwachsenenbildner_innen und den lernenden Migrant_innen in der Migrationsgesellschaft? Was sind Voraussetzungen und notwendige Rahmenbedingungen für die Realisierung von DaZ-Kursen als kritische Bildungsarbeit?

Es ging uns dabei vor allem auch um einen kritischen Blick auf die - natürlich auch eigene - Praxis im Feld DaZ. Wie setzen wir uns mit eurozentristischen Haltungen und Inhalten, mit vorhandenen Wertvorstellungen und Positionen in Bezug auf hegemonial legitimiertes Wissen und mit sprachlichen Handlungen im Kontext der Migrationsgesellschaft auseinander? Aktuell sind wir mit der Verschriftlichung der Analyse beschäftigt. Wir sehen das Projekt quasi als Vorprojekt für ein breit angelegtes Entwicklungsprojekt, in dem wir mit Partnerorganisationen ein neues DaZ-Curriculum ausarbeiten möchten.

Welche Prozesse haben dazu geführt, die Frage des Paternalismus in Zusammenhang mit Deutschkursen für Migrant_innen in Angriff zu nehmen?

Das Projekt war kein Zufall. maiz bietet immerhin seit über 17 Jahren in Österreich Deutschkurse für Migrant_innen an. Konkreten Anstoß zur Entwicklung und Durchführung dieses Projekts gaben daher Fragen, Bedürfnisse und Herausforderungen, die unmittelbar der eigenen Bildungspraxis in maiz entspringen: Wie z.B. die Frage danach, wo Ambivalenzen und Widersprüche einer emanzipatorischen Bildungspraxis im Feld DaZ liegen und welche Rolle Pädagoginnen und didaktisch-methodische Konzepte darin einnehmen. Welches Konzept von Sprache liegt DaZ-Angeboten zugrunde? Es gibt einen großen Bedarf an Konzepten und Materialien in der Erwachsenenbildung, die Herausforderungen und Bedürfnisse von Migrant_innen in Österreich berücksichtigen. Das verlangt Konzepte, die Ziele wie Emanzipation, Antirassismus und Ermächtigung verfolgen.
Dabei drängt sich die Frage danach auf, wie Ermächtigung passieren kann. Was heißt Ermächtigung überhaupt, wenn DaZ-Angebote und Deutsch-Sprachlernziele durch diskriminierende und rassistische Gesetze definiert werden? Wenn Sprachbildung zum Muss wird und nicht mehr Angebot oder Option zur Förderung von Partizipation ist? Wenn Deutsch-Sprachbildung mit aufenthaltsrechtlichen Aspekten verknüpft und zur Voraussetzung für den Erhalt von Sozialleistungen werden?

In wessen Interesse stehen die Deutsch-Kursangebote, wenn deren Ziele nach europäischen Bildungsstandards definiert werden und Migrant_innnen mit Sanktionen zu rechnen haben, wenn sie diese nicht erreichen? Um wessen Bedürfnisse geht es, wenn DaZ-Kurse im Rahmen von Integrationskursen angeboten werden und DaZ-Prüfungen zur Erlangung von Aufenthaltstiteln abgenommen werden? Auf Ebene der Unterrichtenden gilt es zu fragen, wie diese Prozesse zur Stabilisierung der eigenen Position beitragen. Und vor allem auf welchem vermeintlichen Wissen über die Bedürfnisse und das Wissen von Migrant_innen basieren Inhalte der Maßnahmen und das pädagogische Handeln seitens der DaZ-Lehrer_innen?

Die Frage des Paternalismus ist da immanent und stellt sich auf unterschiedlichen Ebenen: auf der Ebene der Institutionen, die DaZ anbieten, auf der Ebene der Unterrichtenden im Feld und natürlich auf der gesellschaftlich und politischen Ebene.

Wie wird Paternalismus definiert in dem Projekt bzw. wie wird er verhandelt? Oder: Woran erkennt man Paternalismus?

In unserem Projekt (und auch im Call für die Tagung) haben wir uns mit den Projektpartner_innen auf einen Paternalismusbegriff geeinigt, der Paternalismus als eine gesellschaftliche Figuration beschreibt, die das Sprechen und Handeln in der Migrationsgesellschaft prägt. Die zwischen jenen unterscheidet, denen Hilfe, Zuwendung, Unterricht und Unterstützung zukommen soll, die als "bedürftig" gelten, und denen, die Hilfe und Unterstützung zu geben in der Lage sind. Paternalismus kann als Mechanismus verstanden werden, der die sozial wirksame Differenz zwischen "mit und ohne Migrationshintergrund" im Rahmen des allgemeinen Integrationsverständnisses hervorbringt.
Vermeintlich auf das Wohl "der Migrant_innen" zielend, wirkt Paternalismus als Einschränkung von Selbstbestimmung und -verfügung. Die Orientierung am Wohl "der Migrant_innen" wird damit zum Medium, in dem der Unselbstständigkeit und der Entmündigung Vorschub geleistet wird, oft verschränkt mit Ansätzen der Emanzipation, des Empowerment bzw. der Ermächtigung. Da, wo dieses Handlungsmuster sich institutionell verfestigt, wird die paternalistische Figuration zu einem Herrschaftsverhältnis, das Bevormundungen, Weisungen, Belehrungen wie auch Ermöglichungen ohne Alternativen, Hilfestellungen und unidirektionale Unterstützung umfasst.
DaZ-Kurse sowie Bildungsarbeit für Migrant_innen allgemein bekommen somit einen starken Auftrag zur Stabilisierung von hegemonialen gesellschaftlichen Verhältnissen. Daher gilt es, pädagogische Prozesse dahingehend zu reflektieren, dass Lern- oder Wissensproduktionsprozesse, die Paternalismus herausfordern, erkannt werden können.
Es geht hier auch um die Erkennung und Entwicklung von Widerstandsstrategien, wobei Widersprüche nicht geleugnet, sondern reflektiert werden.

Welche Kooperationen mit Institutionen und anderen Organisationen sind angedacht? In welchen Feldern soll interveniert werden?

Die Zusammenarbeit und Vernetzung mit DaZ-Anbieter_innen und Lehrer_innen ist uns in diesem Zusammenhang ganz wichtig. Wir möchten die kritische Auseinandersetzung gemeinsam weiterführen und reflexive Prozesse fördern, die zur Weiterentwicklung der Angebote und unserer pädagogischen Praxis beitragen. Einen ersten Schritt haben wir im Rahmen der Erhebung gesetzt, in der wir Gespräche mit 14 sehr unterschiedlichen Einrichtungen aus Innsbruck, Graz, Wien und Linz geführt haben, in denen auch von vielen Seiten der Wunsch nach einem weiteren Austausch geäußert wurde. Die Idee zur Organisation der Tagung "Paternalismus in der (sprachbezogenen) Erwachsenenbildung" ist in der Zusammenarbeit mit den wissenschaftlichen Partner_innen entstanden und war die logische Konsequenz der gemeinsamen Projektarbeit und der intensiven Diskussionen. Dass das Interesse an Auseinandersetzung mit Widersprüchen und Herausforderungen der Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft sehr groß ist, hat die Anzahl der Teilnehmer_innen bei der Tagung verdeutlicht an der über 140 Personen – nicht nur aus Österreich – teilnahmen.

Die Verbindung von Theorie und Praxis ist ein zentrales Anliegen der Arbeit von maiz, in der die migrantische Perspektive - als politische und ethnische Kategorie - den zentralen Blickwinkel darstellt. Das spiegelt sich auch in unseren Kooperationen und in der verstärkten Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft (Universitäten) und Selbstorganisationen von Migrant_innen wider. Als feministische Migrant_innenorganisation sind wir aber ganz besonders um die Zusammenarbeit mit und gegenseitige Stärkung von migrantischen Selbstorganisationen sowie um die Allianz mit Fraueneinrichtungen und mit Organisationen im Feld der Antirassismusarbeit bemüht.
Vielleicht geht es hier weniger um Intervention als um den Dialog. Es geht um das Bemühen, durch systematisches Aufzeigen von Herausforderungen, Widersprüchen und Möglichkeiten einen gemeinsamen reflexiven Prozess in der pädagogischen Praxis mit Migrant_innen in Österreich zu forcieren. Wir wollen Anstöße zur Weiterentwicklung von Zugängen und Konzepten geben, die auch postkoloniale und feministische Aspekte berücksichtigen.

Welche Rolle kommt einer migrantischen Selbstorganisation wie maiz im Diskurs um Paternalismus zu? Welche erweiternden Handlungsmöglichkeiten oder Perspektiven eröffnet die Positionierung als Selbstorganisation?

Wir in maiz verstehen die Bezeichnung "Migrant_in" nicht als essentialistische Identität. Vielmehr geht es um eine Konstruktion der eigenen politischen Identität. maiz versteht sich als ein Ort, wo kollektiver Austausch jenseits hegemonial strukturierten Hörens möglich ist. Im Wissen um die "Unreinheit" und die Problematik der Repräsentation versuchen wir hier einen Raum für Kritik, für Scheitern und für Veränderung zu öffnen.
Es geht uns um das Markieren von widerständigen Positionen und kritischen Fragen zum Feld DaZ in der Erwachsenenbildung aus der Perspektive einer Migranti_nnenorganisation. Damit steigen wir aus der Rolle derer, über die politisch und gesellschaftlich stark verhandelt wird, heraus, positionieren uns und suchen den Dialog.

In dem konkreten Arbeitsfeld geht es um die politischen Inhalte des Deutschunterrichts. Welche Strategien habt ihr entwickelt, um Paternalismus nicht nur zu vermeiden, sondern aktiv zu begegnen?

Es geht nicht nur um die politischen Inhalte des Deutschunterrichts. Es geht vielmehr um Haltungen. Wir fragen nach gesellschaftlich und politisch geprägten Kontexten, um die Einbeziehung von kritischen wie auch postkolonialen Perspektiven. Es geht um die Reflexion über die gesellschaftliche Position der beteiligten Personen sowie um die Thematisierung des Machtgefälles zwischen hegemonialen und ausgegrenzten Gruppen.
Es geht auch darum, Bildung als politischen Prozess zu verstehen, der entweder dazu beitragen kann, einen Status quo zu bestätigen oder ihn in Frage zu stellen. Bildungsprozesse verändern die Realität. Wir lehnen unsere Arbeit stark an die Pädagogik des brasilianischen Pädagogen Paulo Freire an, wenn wir davon ausgehen, dass Sprache nicht nur als Kommunikationsmittel verstanden werden darf, sondern auch als Prozess der Konstruktion von Bedeutungen.
Daher befinden wir uns - wie Rubia Salgado in einem Interview festgehalten hat - im Rahmen der pädagogischen Praxis in einem Spannungsfeld. Denn einerseits sollen Migrant_innen ihren Lernprozess ausgehend von ihrem Wissen, ihren Bedürfnissen und gesellschaftlichen Prozessen her gestalten, andererseits sollen sie, oder vielleicht besser haben sie das Recht, sich Normen, Einstellungen und auch die Sprachen der Mehrheitsgesellschaft anzueignen, um in hegemoniale Verhältnisse einzugreifen und diese zu verschieben. In einem kritischen Bildungsprozess geht es eben nicht um die Bevorzugung einer dieser Dimensionen, sondern um die Spannung zwischen beiden. [1]



Interview: Assimina Gouma


Fußnote:

[1] Rubia Salgado: Deutsch als Zweitsprache im Kontext hegemonialer Verhältnisse. Oder: Das Einzige, was wir wollen, ist, die Welt zu verändern" von Rubia Salgado. In: ÖDaF- Mitteilungen, Heft 2/2010, S. 38-44, Wien, 2010

Elisabeth CepekStudium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften sowie Fächern aus Vergleichender Politikwissenschaft und Italienisch. Sie arbeitet seit 2002 im Verein maiz v.a. in den Bereichen Projektkoordination und Projektentwicklung zu den Themenschwerpunkten Frauenmigration, Arbeit und Bildung. Seit 2010 auch Mitarbeiterin im Projekt „Deutsch als Zweitsprache im Rahmen kritischer Bildungsarbeit.“