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Flüchtlinge in Bewegung – Bewegung in den Flüchtlingen

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von Ramin Siawash
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Yarden Daher, Alexander Martos, Negin Rezaie, Ramin Siawash, Niko Wahl, Sama Yasseen und Reza Zobeid
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Die Küsten Österreichs
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Die Küsten Österreichs
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Die Küsten Österreichs Eröffnung Wienwoche 2018
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Luiz Lima @ Wienwoche 2018
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Es fällt mir immer schwer, mich dazu zu bewegen, von meinen Bewegungen zu erzählen. Davon, wie ich mich bewegt habe, wie ich unbewegte Dinge in Bewegung gebracht habe … hoppla, das war nicht nur ich, sondern wir: Yarden Daher, Alexander Martos, Negin Rezaie, Ramin Siawash, Niko Wahl, Sama Yasseen und Reza Zobeidi von Die Küsten Österreichs.

Um das Obenstehende besser zu erklären, versuche ich genauer zu sagen, warum es uns schwerfällt, von den Bewegungen zu erzählen.

Ich habe mich im Jahr 2017 auf einen Open Call hin für das Projekt „Museum auf der Flucht“ beworben. Dieses Projekt war für hochqualifizierte in Österreich lebende Asylwerber gedacht. Folgendes hatte man für diese Bewerbung vorzulegen: Einen Projektvorschlag plus Lebenslauf und ein Motivationsschreiben. Ich habe alles vorbereitet und - wusch - mit einer E-Mail an die zuständige Stelle geschickt. Ich muss nicht lange warten. Nach einer Woche schon bekomme ich eine Antwort in meinen elektronischen Briefkasten mit der Nachricht, dass ich in die Shortlist gekommen und zu einem Gespräch eingeladen bin, bei dem ich meine Projektidee präsentieren sollte. Mit klopfendem Herzen stehe ich am genannten Tag vor dem Volkskundemuseum, dem einstigen k. u. k. Gartenpalais Schönborn. Man holt mich in den Blauen Salon, dem einzigen erhaltenen Prunkraum des Hauses. Ich war beeindruckt. Das Gespräch mit mir führen Niko Wahl und Alexander Martos. Es war gut. Wir melden uns, sagen sie beim Abschied. Ihr Anruf kommt schon am nächsten Tag. Extrem viel schneller als jeder Asylbescheid in Österreich! Ich bin im Museum auf der Flucht aufgenommen. Zusammen mit Yarden, Negin, Sama und Reza. Hurra!  

So hat Eva Konzett für die Zeitschrift Datum unser Projekt beschrieben:

„Das ›Museum auf der Flucht‹ nimmt seinen Anfang im Herbst 2016, als zwei freie Kuratoren unabhängig voneinander mit einem Projektvorschlag zum Flüchtlingsthema beim Volkskundemuseum anklopfen. Alexander Martos, theoriefester Kommunikator, und Niko Wahl, versierter Ausstellungsgestalter mit Erfahrung im Haus, beschließen, ihre Ideen und Kräfte in einem gemeinsamen Projekt zu bündeln. Die Kuratoren wollen ein Stipendium schaffen, mithilfe dessen einzelne Asylwerber sich professionell dem Thema Flucht widmen und eine Sammlung dazu aufbauen können.“ (Konzett, Datum, 05.10.2018)

Unser Projekt hat ein Jahr lang gedauert. Das Ergebnis dieser ersten Etappe haben wir in einer Vitrine im Büro des Museumsdirektors, Matthias Beitl, ausgestellt. In einer zweiten Etappe haben wir, im Rahmen der Wienwoche 2018, die Dauerausstellung des Museums unter dem Titel Die Küsten Österreichs um das Thema Flucht erweitert.

Aber zurück zum Anfang, warum es uns schwerfällt, von unseren Bewegungen zu erzählen:

Da ist Reza Zobeidi, der iranische Journalist in unserer Gruppe, der sich Ahwazer nennt. Ahwaz ist eine Provinz im Iran. Reza ist hier geboren und aufgewaschen. Irgendwann musste er sein Land verlassen. Nach einer langen, beschwerlichen Reise ist Reza nach Österreich gekommen.

Weiters: Negin Rezaie. Sie stammt wie Reza aus dem Iran, aus der Stadt Schiraz. Negin ist Künstlerin und Kickboxerin. Das hat ihr vielleicht dabei geholfen, den gefährlichen Weg aus dem Iran nach Europa besser zu bewältigen. Wer weiß, wo sich die Reise der beiden gekreuzt haben mag, ohne dass sie sich begegnet sind? Als Negin in Griechenland die rettende Küste erreicht, steht sie nackt und weint.

Und da ist auch Sama Yaseen. Sie war im Irak Menschenrechtsaktivistin. Auch sie weiß, wie lange man auf der Flucht sein kann, vor allem, wenn man den größten Teil des Weges zu Fuß gehen muss. Sama war mit ihrem Bruder unterwegs. Ihr Schlauchboot ist im Mittelmeer kaputt gegangen. Beide haben das schwarze Wasser der Ägäis kosten müssen.

Yarden Daher ist der einzige in unserer Gruppe, der sein ganzes Leben in Syrien in Angst verbracht hat, weil er eine Transperson ist. Yarden weiß auch, was Flucht bedeutet. Er ist Künstler.

Last but not least: Ich, Ramin Siawash, der seine erste Nacht in Griechenland, im Grenzort Mitilini, im Friedhof verbringen musste. Zuhause, in Afghanistan, war ich Lehrer, Gründer einer Schule, Journalist, Sprachtrainer beim Menschenrechtsbüro und im administrativen Bereich tätig.  

 

Nun: Warum fällt es uns schwer, uns dazu zu bewegen, von unseren Bewegungen zu erzählen?

Das Wort Flucht ruft mir zuerst immer Bilder in Erinnerung, die in die Zeit vor meiner Flucht gehören. Erinnerungen, die gut sind. An meine Familie, an ihre Wärme, an meine Freunde, an die Menschen in Afghanistan, zu denen ich gehört habe. An sie zu denken fällt mir leichter als an meine Flucht zu denken. „Erinnerung ist Macht“ ist einer der Kommentare in Die Küsten Österreichs.

Die Fluchtobjekte, die unsere Ausstellung bilden, symbolisieren auch die Dinge, die wir auf unserer Flucht zurückgelassen haben: eine Rettungsweste, ein wasserdichter Schutz für Handy und Geld, ein Notizbuch, eine verlorene Bankomatkarte und vieles mehr. Die Küsten Österreichs redet mit uns. Nicht nur mit uns. Mit allen, die die Ausstellung besuchen und die Sprache der Objekte verstehen.

Negin ist diejenige von uns, der jedes Mal, wenn sie eine Führung durch die Ausstellung macht, die Tränen kommen. Sie macht trotzdem weiter, damit die Welt erfährt, wie schwer es für uns ist, hier zu leben: ohne Status, ohne Aufenthaltstitel und damit ohne öffentlichen Wert als Mensch. Auf ihrem Weg nach Österreich, hat es tagelang geregnet und sie hatte keine warme Kleidung und keine Schuhe. Im Boot war kein Gepäck erlaubt. In Belgrad hat ihr eine Frau einen Pelzmantel geschenkt. Sie hat ihn in Wien unserer Ausstellung geschenkt. Das ist eine „Fluchterinnerung“, die im Herbst vor drei Jahren Negin berührt hat.

Wir haben gemeinsam an der Ausstellung gearbeitet. Wir wissen alle fünf, was Flucht bedeutet. Und wir wissen auch, was anderen flüchtenden Menschen widerfahren ist, oft viel Schlimmeres als uns. Sie haben es uns erzählt. Und wir haben es unseren beiden Kuratoren, Niko und Alexander, erzählt. Zwei Jahre lang haben uns unsere Objekte dabei geholfen, ihnen nahe zu bringen, was zu erzählen schwer fällt. Emotional auch für sie eine große Herausforderung.

Im Raum Nummer 23 findet man Negins Mantel. Wir haben an den Strand gespülten Müll dazugelegt. Unser Kommentar dazu ist eine Nachricht an alle, und besonders an die, für die nicht alle Menschen gleich sind: „Wir sind der Müll dieser Zeit. Wir müssen daraus etwas machen. Sagt ihnen, der Müll kämpft!“.  Und dann ist da auch zu lesen: „Ich bin ein Teil des Mülls unserer Zeit.“

Drei Zimmer weiter, gleich neben der Rezeption, findet man ein iPhone. Dieses Handy gehört Sama, unserer Irakerin. Sie hat ihr Handy für die Ausstellung hergegeben. Das iPhone ist unterwegs kaputt gegangen. Sogar der Bildschirm ist zerbrochen, als Sama in Seenot samt ihrem Handy ins Wasser springen musste. Zu mir hat sie einmal gesagt: „Weißt du, das war nicht irgendein Handy. Es war mein Handy. Ich habe es sehr liebgehabt.“

Wir haben für die Ausstellung auch ein Video gedreht. Eine Video-Performance. In der originalen Bauernstube des Museums, aus dem frühen 19. Jahrhundert. Von der Wand blickt streng ein Bauern-Ehepaar. Welch ein Kontrast zu uns Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Wir hatten die Idee, Fragen an die beiden zu stellen.

Im zweiten Raum nach der Rezeption sind Kochgeräte aus früheren Jahrhunderten ausgestellt. Ich habe dort die Pfanne meines ehemaligen Zimmerkameraden aus meinem dritten Flüchtlingsheim ausgestellt. Diese Pfanne ist ein ganz normales Kücheninstrument. Aber sie hat auch eine Geschichte. Wie andere Pfannen aus Flüchtlingsheimen auch: in solchen Pfannen haben Flüchtlinge sich in den Zimmern verbotenerweise Essen gekocht. Alles in einer einzigen wertvollen Pfanne. „Essen ist Teil meiner Erinnerung“ steht hier als Kommentar.

Im Volkskundemuseum sind auch Wohnungen ausgestellt. Reiche Wohnungen und arme Wohnungen, historische Wohnungen. Und jetzt auch Flüchtlingswohnungen. Noch einmal hoppla – nicht Flüchtlingswohnungen, sondern Heime und Zimmer. Zimmer, zwölf Quadratmeter groß, für vier und oft sogar mehr Personen. Yarden hat diese Heime und Zimmer als Skizzen auf Papier gezeichnet. Ich habe ihm aus meinem Heim die Maße gebracht. Er hat wirklich gut gearbeitet. Man sieht, wie eng die Räume sind. Aber sie sehen auf Yardens Skizzen immer noch größer aus, als sie in Wirklichkeit sind.  

Am Abend des 18. September 2018 haben wir die Ausstellung eröffnet. Es sind viele Leute gekommen. Der Museumsgarten war voll. Ich war sehr stolz an diesem Abend. Er ist in Österreichs Geschichte eingegangen. Es endet aber nicht mit jenem Abend. Dem Wort Dauerausstellung entsprechend, dauert er weiter an. Im Volkskundemusem in Wien in der Laudongasse, täglich besuchbar. Unser Team ist, wie unsere Dauerausstellung, auch dauerhaft geblieben, wir sind noch oft gemeinsam unterwegs.

 

Ramin Siawashist 1993 in Kabul, Afghanistan geboren und hatte bereits mehrere Jahre als Lehrer, Journalist, Moderator von politischen Sendungen und als Medienmanager sowie als Sprachtrainer für Menschenrechte bei der Menschenrechtskommission in Afghanistan gearbeitet. Er ist Gründer und Leiter des KARA Bildungszentrums für Frauen in Afghanistan sowie Ko-Kurator von der Ausstellung „Die Küsten Österreichs“ im Volkskundemuseum Wien, Botschafter für das Rote Kreuz bei „projektXchange“, er gestaltet Radiosendungen bei ORANGE 94.0 und studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.