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Visionen für ein Museum der Migration

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von Lia Kastiyo-Spinósa und Mariama Nzinga Diallo
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MUSMIG ©nc-sa
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Die folgende Stellungnahme ist aus einer historischen Debatte hervorgegangen, die im Zusammenhang mit der Beteiligung der europäischen Museen und Kunstzentren am Kolonialismus geführt wurde. Debatten wie diese aus einer antikolonialen und dekolonialen Perspektive haben einige Momente praktischer interner Infragestellung der Art und Weise, wie zeitgenössische Kunst produziert wird, bewirkt und die Revision problematischer Sammlungen in europäischen Zentren motiviert.

Wir glauben jedoch, dass diese Frage, insbesondere für große Museen in Österreich, in denen nur wenige Schritte auf struktureller und epistemologischer Ebene unternommen wurden, immer noch relevant ist. Veränderungen, die zum Beispiel mit der Beteiligung von BIPOC-Personen in Entscheidungs- oder Managementteams zu tun haben, oder mit der öffentlichen Erklärung der kolonialen und rassistischen Geschichte, die diese Institutionen reproduziert haben. Es gibt noch viel zu tun.

Dieser Text wurde während der Veranstaltung “MUSMIG - Das Plenum” am 16.09.2023 im Rahmen der WIENWOCHE Festival als gemeinsame Lecto-performance vorgelesen.

Lia

Museum als Wort. Sollen wir noch dieses Wort nutzen?

Sollen wir das Konzept des Museums noch akzeptieren oder beibehalten?

Museen sind mit einem imperialen Recht zu sehen, verbunden. Das imperiale Recht, alles zu wissen. Museen, Archive, Bücher, die Kamera sind alle Teil der imperialen eurozentrischen Wissensproduktionsmaschine. Sie definieren, was existiert und was nicht existiert.

Museen sind "epistemologische Waffen". Das Museum setzt sich selbst als Autorität der Wahrheit ein. Sie üben ihre Macht aus, indem sie Kunst- und Kulturgegenstände von ihrem ursprünglichen Sinn und Zweck trennen. Museen und ihre Expert*innen haben sich das physische, intellektuelle, spirituelle und symbolische Wissen der von den Europäern kolonisierten Völker angeeignet. 

Sollen wir dann das Konzept des Museums noch akzeptieren oder beibehalten? Ist es möglich, ein Museum zu schaffen, das sich selbst widerspricht? Können wir Museen wirklich dekolonisieren? Oder werden die Museen auch die Dekolonialität kooptieren?

Mariama

Museum als Wort. Sollen wir dieses Wort noch nutzen?

Nach einer Geschichte von Gewalt gegen unsere Kulturen: Wo Objekte ohne Geschichte und Bedeutung dargestellt werden sollen?

Was ist ein Museum? Gab es vor dem Kolonialismus bereits Museen? Zu welchem Zweck wurden Museen geschaffen? Wie hat sich das Museum von der Zeit der Sklaverei über die Kolonialzeit bis heute entwickelt? Wie stellt sich das Museum im Kontext von gestohlenen Objekten dar? Gibt es inhaltliche Grenzen für Museen? Wissen die Museen, dass Objekte Wissen in sich tragen? Geben die Ausstellungsstücke an die Nachkommen der jeweiligen Kulturen koloniale Trauma weiter?

Die Artefakte unserer Vorfahren schaffen eine lebendige Verbindung zwischen uns und unseren Vorfahren und unseren Kindern. Die ausgestellten Objekte spiegeln unsere gesamte Vergangenheit wider, aber auch unsere Gegenwart. 

Jedes Objekt, das ihr in Museen seht, drückt den Schmerz der Afrikaner*innen aus. 

Jedes Objekt drückt auch den Kampf aus, den wir gegen die Plagen der Natur führen, aber auch gegen die Feinde, die gekommen sind, um uns zu beherrschen. Jedes Objekt in Museen beinhaltet Energiequellen aus, welche wir im Kampf verwenden können.

Im Museum gefangene Objekte verlieren die spirituelle Verbindung zu ihren Kulturen der Gegenwart. Und dies beeinflusst die Gesundheit der jungen Generationen.

Wien Woche/ Olesya Kleymenova

Lia

These ancestral artworks were brought illegally to Europe. The same category under which many migrants come to Europe, those who survive the pushbacks on the borders.

These people are being illegalized, whereas the artworks that belong to their cultures are visa-free, because they have gained great economic “value” under the rules of the capitalist art market. And so, the possession of these objects is another form of the accumulation of wealth, including labor, knowledge, and resources from the Global South. Ancestral objects are still the cultural assets of high-class Europeans who study and classify them inside and outside their academies.

Mariama

Was stellen wir uns denn unter einem Museum der Migration vor?

Lia

Sista, ich stelle mir einen Raum der Zusammenkunft, der Diskussion und der praktischen Arbeit vor. Ein wandernder, ambivalenter, dynamischer, intervenierender Raum.

Was sollte eigentlich in Museen dargestellt werden? Können wir uns ein Museum ohne Objekte vorstellen? Was für andere immaterielle Werte, die nicht mit dem Auge konsumiert werden sollen, können wir in diesem Museum darstellen ? 

Was ist mit dem kulturellen Erbe, das in vielen Kulturen eher in Menschen als in materiellen Dingen verkörpert ist?

Mariama

Zum Beispiel ein Museum, wo Lyrik, Lieder, Sprichwörter, Esskultur, Musik, Technik, Haartechnik, Geschichten der Revolutionen, Erzählungen, Zeremonien, Feierlichkeiten unter anderem zu finden sind.

Ein Ort, wo wir selber mehr über unsere Kulturen, Kunst, Sprache, und alles, was uns hilft, unsere Identitäten zu bestätigen, forschen können.

Lia

Wie können wir das Museum von einer Erfahrung der Vergangenheit zu einer Erfahrung of an interconnected past/present/future verändern? Ein Ort, an dem der Prozess and means of production im Mittelpunkt seines gesellschaftspolitischen Standpunkts stehen. Es gibt noch so viele offene Fragen über die Produktion, den Konsum und die Entsorgung von Kunst!

Es ist wichtig, dass wir als Kurator*innen, Redakteur*innen und Kunstproduzent*innen nicht isoliert arbeiten, sondern zusammen mit Communities. Sie selbst müssen bestimmen, wer das Recht hat, ihre ancestral Geschichte zu recherchieren, zu sehen und zu weiter zeigen.

Mariama

Welche anderen Möglichkeiten eines Museums können wir uns vorstellen, welches keine Struktur des individuellen Eigentums reproduziert? 

Museen, die politische Organisationen, Aktivistinnen, Künstler*innen in Not durch Erlöse aus dem Ausstellen von Objekten unterstützen.

 

..............................................Gemeinsam beschreiben wir die Visionen eines Migrationsmuseums............................

 

Literatur
Ariella Aïsha Azoulay, 2020. “It is not possible to decolonize the museum without decolonizing the world.” Online: https://www.guernicamag.com/miscellaneous-files-ariella-aisha-azoulay/

Suelen Calonga-Obará, 2022. “De_colonial? Archives, Memory and Power” in Racialized Faces in (white) Creative Spaces.

Sumaya Kassim, 2017. Media Diversified. Online: https://mediadiversified.org/2017/11/15/the-museum-will-not-be-decolonised/

Françoise Vergès, 2014. A museum without objects in The Postcolonial Museum.

Mariama Nzinga Diallogeboren 1989 in Kamsar, Guinea. Mariama ist Aktivistin und Panafrikanistin, Künstlerin, Fotografin und Performerin. Sie studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien Kontextuelle Malerei in Österreich. Ein Schwerpunkt in ihrer künstlerischen Praxis bildet die Analyse rassistischer Körperpolitiken, denen sie ermächtigende Gegenentwürfe entgegensetzt. Sie beschäftige sich vertieft mit Geschichtsschreibung und der Diaspora. Ihre Arbeiten haben aktivistischen Charakter und zielen darauf ab, Gegenwart zu reflektieren und danach zu handeln. Sie ist Teil des Kollektivs des Schwabinggrad Ballet und Arrivati  in Hamburg.
Lia Kastiyo-SpinósaLia Kastiyo-Spinósa is an editor, writer and artist. Caribbean. Migrant since a young age, firstly to the South of the Abya Yala continent where she encountered the reality of being an "other." In 2016, she graduated in Publishing from the University of Buenos Aires. Lia has been living in Vienna since 2018 and completing her studies at the Academy of Fine Arts. Since 2011, member of the editorial team of migrazine- Online Magazine by Migrant Women to Everyone. Since 2019, cultural worker for verein maiz- autonomous center for and by migrant womxn. As independent editor she has worked for Hypatia, GLEFAS, PLAN International, delhospital ediciones, kültüř gemma!, University of Vienna Student Union, among others.