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Prekariat und Unsicherheit für die 24-Stunden-Betreuer*innen

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von Simona Durisova
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© Initiative24
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Das System der Altenbetreuung- und pflege ist ohne die Tätigkeit der 24-Stunden-Betreuer*innen nicht wegzudenken. In diesen turbulenten Zeiten hat die Gesellschaft intensiver denn je die (System)Relevanz dieses Berufs wahrgenommen. Die Corona-Krise hat die 24-Stunden-Betreuung, ebenso wie andere Bereiche, an die Wand gedrückt und alle Betroffenen verspürten eine gewisse Einengung. Trotz aller Sondermaßnahmen („Bleib da Bonus“, Charterflüge, Sonderzüge, Härtefallfonds) sind die Arbeitsbedingungen der Personenbetreuer*innen jedoch nach wie vor prekär und unsicher. All diese Maßnahmen waren das Resultat einer gewissen kurzfristigen Anerkennung der Relevanz der Betreuungskräfte, die aus der Angst vor dem Zusammenbruch der 24-Stunden-Betreuung hervorgegangen ist. Der politische Wille, die soziale und arbeitsrechtliche Benachteiligung der Betreuer*innen strukturell anzugehen, ist nicht gegeben.

Etwa 62.000 meist weibliche und migrantische Personenbetreuer*innen betreuen und pflegen alte und kranken Menschen in ihrem Zuhause in Österreich. Sie kommen aus der Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Slowenien und Ungarn. Die meisten Betreuungskräfte pendeln nach Österreich, weil sie einfach dazu gezwungen sind. In ihren Herkunftsländern können sie keine oder nur eine schlecht bezahlte Arbeit finden. In Österreich verdienen die Betreuer*innen im Durchschnitt zwei oder drei Euro pro Stunde1, wobei sie zwei Wochen oder einen Monat lang in 24-stündiger Rufbereitschaft eingesetzt werden. Was ein Hungerlohn für die Einheimischen ist, soll eine tolle Verdienstmöglichkeit für Betreuer*innen darstellen. Bei den steigenden Lebensunterhaltskosten und der immer geringeren Einkommenskluft2 zwischen der Slowakei und Österreich, ist dies nicht mehr das plausible Argument. 

Die Werklöhne der Betreuer*innen sind de facto seit der Legalisierung der Hausbetreuung im Jahr 2008 nicht gestiegen, sondern haben eine sinkende Tendenz. Obwohl sie als Selbständige tätig sind, bestimmen nämlich die Vermittlungsagenturen ihre Tagessätze und betreiben im Konkurrenzkampf Lohndumping. Grundsätzlich greift die Tätigkeit der Vermittler*innen in die Rechte und Pflichten der Betreuer*innen ein und geht meistens zu ihren Lasten. Da die Tätigkeit der Agenturen nicht genügend reguliert und kontrolliert ist, sind sittenwidrige Vertragsklauseln, (Inkasso)Vollmachten, intransparente Agenturbedingungen, Drohungen und Erpressungen der Betreuer*innen in dieser Branche weit verbreitet. 

Zum anderen ergibt sich die Scheinselbständigkeit der Betreuungskräfte aus dem Live-In-Verhältnis, im Rahmen dessen die Betreuer*innen mit der zu betreuenden oder zu pflegenden Person in einem Haushalt leben. Dies impliziert, dass die Betreuer*innen aufgrund der 24-stündigen Rufbereitschaft an einen Arbeitsort (der Haushalt der betreuten Personen) gebunden sind. Sie können über ihre Arbeits- und Freizeit sowie die Art und Weise, wie sie die Tätigkeiten ausüben, ebenso nicht selbständig entscheiden. Sie müssen sich nämlich an den Bedürfnissen ihrer Klient*innen orientieren.

Formal zwar selbständig, sind die Betreuer*innen praktisch jedoch von Betreuungsfamilien und Agenturen vollkommen abhängig. Diese Abhängigkeit ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass nur ein Anstellungsverhältnis dem geschilderten Setting gerecht werden kann. Als Scheinselbständige sind die Betreuer*innen vom arbeitsrechtlichen Schutz ausgenommen. Für sie gelten kein Arbeitszeitgesetz und keine Arbeitnehmer*innenschutzbestimmungen, was angesichts der hohen physischen und psychischen Belastung höchst problematisch ist. In das Sozialsystem wurden sie nur teilweise integriert: Sie haben keinen Anspruch auf einen kollektivvertraglichen Lohn, Arbeitslosengeld, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsgeld oder das 13. und 14. Monatsgehalt. Die Kinderbeihilfe der Betreuer*innen wurde ebenso indexiert, obwohl sie genauso wie alle andere einheimische Gewerbetreibende Steuer und SVS-Abgaben abführen. Zudem droht in der Zukunft den Betreuer*innen Altersarmut. Aufgrund der Einschränkung der persönlichen Unabhängigkeit können sie als Gewerbetreibende keinen großen Gewinn erwirtschaften, indem sie mehrere Klient*innen im Monat betreuen. Aus geringen Einkünften können nur geringe Beiträge in die Pensionsversicherung entrichtet werden. Daher kriegen die Betreuer*innen nach 15 Jahren der Betreuungstätigkeit in Österreich im Durchschnitt eine Pension in Höhe von € 100 pro Monat3.

24-Stunden-Betreuung in Zeiten der Corona-Krise 

Um die 24-Stunden-Betreuung aufrechtzuerhalten, wurden in der ersten Corona-Welle Schutzmaßnahmen4 umgangen, Flüge für rumänische und bulgarische Betreuungskräfte organisiert und finanzielle Prämien gewährt. Auf einmal entblößte die Corona-Krise systemische Fehler in der gesamten Altenpflege, die seit langem zu Lasten des Gesundheitspersonals und aller Betreuungs- und Pflegekräfte gehen.

Auch in der zweiten Corona-Welle riskieren die Betreuer*innen eine Ansteckung mit dem Covid-19 Virus. Transporte nach Österreich verlaufen wie im Normalfall, fünf oder sechs Personen sitzen in einem Auto. Der empfohlene Abstand ist dabei schwer einzuhalten. Es liegt keine Testungspflicht für Betreuungskräfte und ihre Klient*innen vor. Falls ein*e Betreuer*in in einer Betreuungsfamilie an Corona erkrankt, gibt es keinen Notfallplan, auf den die Betroffenen zugreifen können. Fragen wie etwa – wie wird der Aufenthalt der*des kranken Betreuer*in in einem Krankenhaus oder ihre Quarantäne organisiert, wer kümmert in einer solchen Situation um die*den Betreuer*in – sind gar nicht geklärt.

Trotzdem können es sich die Betreuer*innen nicht leisten, in ihren Herkunftsländern zu Hause zu bleiben und sich so zu schützen. Es sind die existenziellen Probleme, die sie zwingen, weiter nach Österreich einzupendeln. Vom Härtefallfonds, der zum Zweck der Hilfe für die akute finanzielle Notlage für Selbständige errichtet wurde, bleiben viele Betreuer*innen ausgeschlossen. Die Voraussetzungen, an welchen die finanzielle Unterstützung geknüpft ist, sind unflexibel und diskriminierend. Beim Entwerfen dieser Kriterien wurde das transnationale Leben der Pflegekräfte offensichtlich nicht mitberücksichtigt. Dies betrifft Betreuer*innen ohne eine Steuernummer, mit einem nicht-österreichischen Bankkonto oder diejenigen, die zurzeit keine Klient*innen betreuen und pflegen. Betreuer*innen ohne Klient*innen – also Selbständige in einer akuten finanziellen Notlage – können keine Adresse ihrer Betriebsstätte in den Online-Antrag angeben, weil diese der Adresse ihrer (nicht vorhandenen) Betreuungsfamilie entsprechen würde. Beschämenderweise reichen eine Kammermitgliedschaft und die Entrichtung der SVS-Abgaben für eine Unterstützung aus dem Härtefallfonds nicht aus. Zudem berichten sogar manche Betreuer*innen (die wenigen, die ein (teureres) österreichisches Bankkonto, eine Steuernummer und eine Betriebsstätte in Österreich angeben können), dass die Agenturen für die Hilfe beim Ausfüllen des Online-Antrags eine Gebühr in der Höhe bis zu 20% der Entschädigung verlangen. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass der ungeregelte Zustand in der Vermittlungsbranche die prekäre Situation der Betreuer*innen in Zeiten der Corona-Krise weiter verschärfen wird. 

Weitere Maßnahmen, wie etwa die „Bleib da Prämie“ sowie die Refundierung der PCR-Tests weisen ebenso bürokratische Hindernisse auf. Eine „Bleib da Prämie“ in Höhe von 500 Euro wird den Betreuer*innen gewährt, die noch während der ersten Corona-Welle ihren regulären Turnus um vier Wochen verlängert haben. Die Kosten für die PCR-Tests werden vom Bund rückwirkend übernommen. Allerdings sind die Betreuer*innen auch hier von der Antragsstellung und der direkten Gewährung der finanziellen Unterstützung ausgeschlossen. Denn die Anträge laufen meistens im Namen ihrer Klient*innen und für die Überweisung dieser Förderungen ist ein österreichisches Bankkonto notwendig. 

Die Corona-Krise zeigte deutlich, dass auch 24-Stunden-Betreuer*innen zu den systemrelevanten Berufsgruppen zahlen. Finanzielle Anreize und ergriffene Maßnahmen sorgten jedoch nur dafür, das ganze System der 24-Stunden-Betreuung vor ihrem Zusammenbruch zu retten. Ihre Adressat*innen, 24-Stunden-Betreuer*innen, haben viele bürokratischen Hürden überwinden müssen, um an irgendeine Förderung überhaupt gelangen zu können. Es ist ein Paradox: Man versucht die Betreuer*innen in gewisser Weise „wertzuschätzen“ und zugleich wird diese Wertschätzung durch einen unüberwindlichen Bürokratismus sabotiert. Das ist ebenso ein Zeichen für den politischen Unmut, die Arbeitsbedingungen in der 24-Stunden-Betreuung zu verbessern. 

Die 62.000 Betreuer*innen betreuen und pflegen in Österreich nur deswegen, damit sie im Sinne materieller Absicherung ein besseres Leben führen können. Dafür opfern sie ihr eigenes Familienleben. In Österreich sind sie Arbeiter*innen zweiter Klasse geworden, in ihren Herkunftsländern werden sie als Ballast für den Arbeitsmarkt und das Sozialsystem wahrgenommen. 
 

Fußnoten

1Interview mit der Betreuerin Adriana, am 10.05.2017.
2In der Slowakei macht das Mindesteinkommen € 580 pro Monat aus. Wenn ein*e Betreuer*in im Durchschnitt € 700 netto im Monat verdient, ist der   Unterschied nicht mehr so groß, wie es oft behauptet wird. 
3Interview mit der Betreuerin Adriana, am 10.05.2017.
4Für slowakische 24-Stunden-Betreuer*innen galten in der ersten Corona-Welle für gewisse Zeit keine Schutzmaßnahmen wie etwa ein Gesundheitsattest oder die Einhaltung der Quarantäne. In Österreich hatten sie als Berufspendler*innen eine Ausnahme.

Simona Durisovaist Absolventin des Masterstudiums Global Studies an der Karl-Franzens-Universität Graz und Mitbegründerin des Vereins „Initiative24“: Interessenvertretung der slowakische 24-Stunden-Betreuer*innen.