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Gefragt: Mehrfachdiskriminierung

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von Katharina Ludwig

Bezieht sich das Mobbing meiner MitschülerInnen auf meine Hautfarbe oder auf meine Sexualität? Ignoriert die Polizei meine Beschwerde aufgrund meines Geschlechts, wegen meiner (vermeintlichen) Religion oder wegen meines Alters? Gewalt lässt sich oft nicht an einer einzigen Identitätszuschreibung oder Kategorie von Diskriminierung festmachen – umgekehrt bleiben gerade solche verketteten Gewalterfahrungen häufig unsichtbar, weil z.B. eine Schwarze Frau wegen rassistischer Diskriminierung gar nicht dazu kommt, sich als Lesbe zu outen oder weil einer Trans*Frau abgesprochen wird zu wissen, was Gewalt gegen gleichgeschlechtliche Lebensformen heißt. LesMigraS, der Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich der Berliner Lesbenberatung für lesbische/bisexuelle Migrant_innen, Schwarze Lesben und Trans*Menschen, hat deshalb in diesem Sommer eine Kampagne gestartet, um Mehrfachdiskriminierungen sichtbar zu machen. Damit verknüpft ist für das fünfköpfige Team auch der politische Auftrag und die "Aufforderung, Gewalt und Diskriminierung nicht zu hierarchisieren bzw. die von Gewalt betroffenen Gruppen, wie Migrant_innen, People of Color und LSBT*, nicht voneinander isoliert zu betrachten und nicht gegeneinander auszuspielen."

Im Mittelpunkt der Kampagne steht eine quantitative und qualitative Studie zu Dimensionen von Homophobie, Rassismus und Transphobie, aber auch zur Diskriminierung aufgrund von Religionszugehörigkeit, Behinderungen und Alter. Noch bis Ende November 2010 kann jede_r in diesem Online-Formular anonym und vertraulich Fragen zu Gewalterfahrungen am Arbeits-/Ausbildungsplatz, in der Schule, bei Ämtern und Behörden, in der Freizeit oder bei der Gesundheitsversorgung beantworten. Der Fragebogen steht in sechs Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Polnisch und Türkisch) zur Verfügung. Die Ergebnisse werden für September 2011 erwartet.

Mehr als ein Kästchen

In Deutschland fehlen Studien, die mehrere Diskriminierungsgründe gleichzeitig in den Blick nehmen, so das Kampagnen-Team rund um Saideh Saadat-Lendle. Es gebe kaum Daten über Formen, Ausmaß, Folgen und Ursachen der erlebten Diskriminierung und Gewalt. Die wenigen vorhandenen Studien zum Thema hätten eine qualitative Ausrichtung und enthielten oft nur die Antworten von ein paar Hundert Respondent_innen. LesMigraS konnte bereits innerhalb der ersten drei Wochen mehr als 1.000 vollständig ausgefüllte Fragebögen zählen, 3.000-mal wurde dieser teilweise beantwortet.
Der Studie liegt ein weitgefasster Gewaltbegriff zugrunde, der Witze, Beschimpfungen, zudringliche Fragen, körperliche Angriffe, erzwungene sexuelle Handlungen und Zwangs-Outing gleichermaßen thematisiert. Saadat-Lendle: "All das beschränkt unsere Selbstständigkeit, unsere Leben zu entwickeln, und beeinträchtigt unser positives Lebensgefühl."

Die Studie untersucht aber nicht nur Gewalt auf personeller, institutioneller und struktureller Ebene, sondern fragt auch, wie diese verarbeitet wird und welche Handlungsstrategien nötig sind, um auf allen drei Ebenen gegen Gewalt auftreten zu können. Der sozialstatistische Teil, wo u.a. nach Alter, Einkommen und Bildungsgrad gefragt wird, erfasst auch die Hintergründe der Zuwanderung – etwa, ob mensch sich vor der Migration als Frau, als lesbisch oder bisexuell oder als Trans*Mensch bedroht gefühlt oder aus diesem Grund einen Asylantrag gestellt hat. Sehr oft ist es bei Fragen möglich, das Kästchen "Keine der genannten Bezeichnungen, sondern …" oder "Ich lehne für mich persönlich eine Einordnung ab" anzukreuzen. "Wir arbeiten mit offenen Kategorien. Für eine quantitative Studie haben wir relativ viele offene Fragen, um auch die Möglichkeit zu geben, eine eigene Position zu beziehen und Selbstbeschreibungen miteinzubringen", erklärt Rayma Cadeau, die die Studie wissenschaftlich begleitet.

Beratung ohne Aufklärungsbedarf

Neben Gewalterfahrungen in der Gesamtgesellschaft will man auch mehr über Gewalt innerhalb lesbisch-bisexueller-trans*-Communitys (LBT) erfahren. Trans*Personen werde in lesbisch-schwulen-bisexuellen Kontexten häufig ihre sexuelle Identität abgesprochen, sagt Jannik Franzen vom Berliner Verein TransInterQueer. "Sehr oft steht LGBT als Label über einem Raum oder über einer Veranstaltung, aber die spezifischen Erfahrungen von Trans*Menschen sind oft sehr wenig mitgedacht." Es sei daher wichtig, dass Trans*Menschen Antigewalt-Angebote nützen und über Gewalterfahrungen sprechen könnten, ohne "erst eine Aufklärungsveranstaltung machen zu müssen".

Den Bedarf an verbesserten Unterstützungsangeboten für mehrfach-zugehörige Menschen zeigt auch die breite Rückmeldung auf die Studie. Schon in den ersten Wochen sind die Anfragen nach individueller Beratung, nach Schulungen und Kooperationen bei LesMigraS rasant und über die vorhandenen Ressourcen hinweg gestiegen.

Katharina Ludwigschreibt als freie Journalistin in Berlin, aktuell zu den Schwerpunkten Arbeit/Soziales.