Ein Hoch auf die Zusammenarbeit!
Als ich als Teenager zum ersten Mal das ORF Magazin „Heimat fremde Heimat“ 1 sah, war mir nicht bewusst, warum mir die Beiträge so gut gefielen. Warum sie nicht nur mein Interesse weckten, sondern vor allem ein tief empfundenes Gefühl von Verbundenheit auslösten. In einer Zeit des Erwachsenwerdens, des zunehmenden Durchblickens des vordergründigen Nebels aus Humanismus und moralischen Werten, die uns zwar vorgepredigt werden, aber nach denen kaum jemand konsequent handelt, wie mir damals langsam dämmerte, war die Sendung ein kleiner Lichtblick. In den Interviews schilderten die Menschen zwar Lebensrealitäten die sich von meiner stark unterschieden, doch die geschilderten Diskriminierungserfahrungen kamen mir bekannt vor. Das zu einer Zeit, in der mir gar nicht bewusst war, dass ich diskriminiert werde. Erst später, im Studium in der Stadt, einer sozial diverseren Umgebung und in der Selbstbestimmt Leben Bewegung wurden mir die vielfältigen Mechanismen des Ausgrenzens, des Abwertens, des „Andersmachens“ bewusst. Die Erkenntnis, dass nicht meine körperlichen Einschränkungen der Grund für die überwiegende Mehrheit meiner Erfahrungen des Ausgegrenztwerdens verantwortlich sind, sondern soziale, gesellschaftlich tief verankerte Mechanismen und Strukturen, die menschengemacht sind und insofern geändert werden können. Dass ohne intersektionales Denken jegliche politische Arbeit gegen Diskriminierung zum Scheitern verurteilt ist, wurde mir schnell klar.
Für mich bedeutet das aber auch umso mehr, dass ich die in mich eingepflanzten „Ismen“ reflektieren muss. Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Ableismus, Antiromaismus, Homophobie etc. stecken in allen von uns und machen uns allen zu schaffen. Seit über zwanzig Jahren bin ich beschäftigt, mich damit auseinanderzusetzen und noch immer entdecke ich Wahrnehmungsmuster, Denkmuster und Sprache, die ich nicht wiedergeben möchte. Einerseits ärgere ich mich dann kurz, aber nur kurz, denn danach bin ich nicht mehr dazu verdammt, es zu reproduzieren. Aber gerade deshalb, weil ich diese „Ismen“ in mir selbst bemerke, kann mir keine Person erzählen, man hätte selbst damit nichts zu tun, wäre davor gefeit und würde selbstverständlich niemals irgendjemanden diskriminieren. Austausch untereinander, sich gegenseitig zuhören, sich erzählen ist dazu unerlässlich. Wir lernen nicht nur viel voneinander, wir geben uns gegenseitig Kraft, wir füllen uns gegenseitig einen Teil der Energie wieder auf, die uns die Erfahrungen des Alltags oft aussaugen.
Die Zusammenarbeit und der Austausch mit Gina Disobey, eine Künstlerin, Menschenrechtsaktivistin, Mitbegründerin von Initiative Schwarze Frauen* Innsbruck und Freundin, gehört für mich dazu. Kennengelernt haben wir uns beim Theaterstück „Aktion Mutante“ des leider bereits verstorbenen Tiroler Künstlers Philmarie. Eine schonungslose und provokante Satire über Privilegien, Macht, Machtlosigkeit und Diskriminierung stigmatisierter Menschen. Ein großer kultureller Beitrag. Das Stück und die Podiumsdiskussion boten eine seltene Gelegenheit für eine Behinderte Person, selbst im öffentlichen Kulturraum zu Wort zu kommen. Die eigenen Themen selbst zu präsentieren und den Rahmen selbst zu bestimmen. Die Darstellung von Behinderten Menschen in Kultur und Medien wird aus vielfältigen Gründen fast ausschließlich von nichtbehinderten Menschen bestimmt. Dass der Zugang zu Kultur für Behinderte Menschen sowohl als Rezipient:innen aber vor allem als Kulturschaffende zum Teil stark eingeschränkt ist, ist ein Grund dafür. Das seit kurzem zaghaft aufkeimende Bewusstsein zu diesem Thema in der Medien- und Kulturlandschaft war damals jedenfalls nicht existent. Die kleine Gruppe Menschen, die das Glück hatte, an diesem Theaterabend dabei sein zu dürfen, war und ist sich einer Vielzahl dieser Themen bereits bewusst und hat die Möglichkeit, sich zu vernetzen. Das ist umso wichtiger, weil die Zugänglichkeit zu Ressourcen und Kanälen öffentlicher Selbstrepräsentation gerade für Personen, die zu marginalisierten Gruppen gehören, viel schwieriger bzw. manchmal unmöglich ist. Die im letzten Herbst von Gina Disobey mitorganisierte Podiumsdiskussion zum Thema „critical correctness“, bei der es um diskriminierende Sprache und unseren Umgang damit ging, war für mich so eine Gelegenheit. Hätte Gina mich nicht persönlich angesprochen, wäre die Veranstaltung und auch die Ausstellung an mir spurlos vorbei gezogen. Das liegt großteils daran, dass der Veranstaltungsort nicht barrierefrei zugänglich ist. Solche Orte streiche ich als Behinderte Frau mit Elektrorollstuhl gleich von meiner mentalen Landkarte. Aber mit einem bisschen guten Willen und den Möglichkeiten, die uns das Internet bietet, konnte ich zumindest online dabei sein. Es wurde mir dadurch die Möglichkeit gegeben, in einem Rahmen und an einem Ort meinen Blickwinkel mit den Anwesenden zu teilen, der mir normalerweise verschlossen bleibt. Den anderen Teilnehmer:innen und dem Publikum wurde dadurch eine Perspektive angeboten, die sonst wahrscheinlich so nicht eingebracht hätte werden können. Ich konnte Erfahrungen schildern, die Behinderte Menschen mit unserer Sprache im Alltag machen. Nicht nur persönliche Abwertungen und deren emotionale Belastung, sondern auch strukturelle Diskriminierungen und Ausgrenzung auf gesellschaftlicher und staatlicher Ebene aufgrund von Selektionsprozessen, die sich wiederum nur daran orientieren, welches Etikett jemand aufgedrückt bekommt, zB. Invalidität oder Pflegefall. Wir konnten zwar bei der Diskussion keine Lösung für das Problem finden, aber wir gingen gestärkt und ermutigt nach Hause.
Das Papiertheater „Schwarz auf Blau“, das im Februar 2023 Premiere im Bogentheater Innsbruck feierte, war wieder so ein grandioses Projekt. Die realen Lebenserfahrungen von vier jungen Schwarzen Freundinnen auf einer öffentlichen FPÖ Wahlkampfveranstaltung wurden in ein einzigartiges Theaterstück verpackt. Ich bin sehr glücklich, dass ich als Teil von Gina Disobeys intersektionalem Netzwerk einen kleinen Teil zur Umsetzung beitragen durfte. Denn es passiert dabei eigentlich immer dasselbe. Es entsteht ein großartiges Projekt, ein kleiner Beitrag, der unsere Gesellschaft jedoch zum Besseren verändern wird, es entstehen neue Verbindungen zwischen Aktivist: innen, die sich ihre Batterien gegenseitig wieder aufladen können und am Ende das Netzwerk der Verbündeten vergrößert.
Mir ist durchaus klar, wie unglaublich langsam sich die Dinge verändern, manchmal sogar wieder zurück, wie groß die Widerstände sind und wieviel persönliche Energie wir verbrauchen, um diese sehr dicken Bretter zu bohren. An dieser Stelle möchte ich die online Bibliothek bidok empfehlen. Dort findet Mensch vieles über die Geschichte der österreichischen Behindertenbewegung und man bekommt eine vage Vorstellung über die zeitlichen Dimensionen und die Wut und Kraft die notwendig waren, den aktuellen Status quo zu erreichen. Gerade deshalb möchte ich eine Lanze für die intersektionale Zusammenarbeit brechen. Manchmal wird mir alles zuviel. Wenn ich von der x-ten Projektgruppe oder Demo erfahre, an der es so wichtig wäre mitzuarbeiten und ich eigentlich schon mit meinem Alltag ausgelastet bin, muss ich die Reißleine ziehen. Dann bin ich froh, dass ich weiß, dass es noch andere Mitstreitende innerhalb und außerhalb meiner Community gibt, die inzwischen weiterarbeiten. Vielleicht nicht immer alle an der selben Themenfront aber immerhin. Und wenn ich dann wieder erholt aus meiner Höhle krieche und mit neuer Energie wieder weitermachen kann, freue ich mich zu erfahren was alles, auch ohne mich, schon wieder erarbeitet wurde. Insofern möchte ich mit einem Plädoyer abschließen: wir sollten öfter aus unseren Bubbles ausbrechen und uns zu tragfähigem Schaum zusammenschließen.
Fußnoten