Die Sache mit dem Akzent
migrazine.at: Mich würde zunächst eure persönliche Arbeitsbiografie interessieren: Wie seid ihr da hingekommen, wo ihr jetzt seid? Und inwieweit spielt die migrantische Herkunft in eurer beruflichen Karriere eine Rolle?
Claudia Unterweger: Ich bin jetzt seit fast 15 Jahren bei FM4, ich moderiere hauptsächlich, bin aber auch hinter den Kulissen als Producerin tätig. Ich bin, so wie die meisten Leute bei FM4, über das Assessment-Center, das fast jedes Jahr stattfindet, reingekommen. Mein "Migrationshintergrund" war dabei offiziell kein Thema bzw. nicht, dass ich das mitbekommen hätte. Allerdings würde ich FM4 unterstellen, dass es nicht unbedingt ein Hindernis war, dass ich - um es ein bisschen böse zu formulieren - den Radiosender sozusagen "bunter" mache. Das ist dem FM4-Image von Hipness und Weltoffenheit sicher nicht abträglich. Zugleich spielt es eine Rolle, dass man meinen Migrationshintergrund nicht hört. Es ist beim österreichischen Rundfunk generell ein wichtiges Argument, dass die migrantische Herkunft nicht "zu hörbar" sein darf - im Gegensatz zu "heimischen" Dialektfärbungen in der Sprache.
Mein Einstieg in die Radioarbeit war "Radio Afrika", eine Sendung beim Freien Radiosender Orange 94.0. Dort war ich insgesamt eineinhalb Jahre aktiv und habe eine wöchentliche Sendung gestaltet, unentgeltlich. Dass ich Afro-Österreicherin bin, war natürlich sehr wohl Thema und einer der Gründe, warum ich dort mitarbeiten konnte. Vor FM4 war ich außerdem ein halbes Jahr lang als Reporterin bei Antenne Wien, einem Privatradiosender, tätig, da war das überhaupt kein Thema.
Clara Akinyosoye: Bei M-Media habe ich vor etwa sieben Jahren begonnen, als ich die Seite "Migranten schreiben" für "Die Presse", die bis 2012 jeden Mittwoch erschienen ist, mitgestaltet habe. Nach einiger Zeit habe ich die damalige Koordinatorin der Seite abgelöst, die jetzt bei diepresse.com tätig ist. Ich habe aber parallel dazu auch für andere Medien geschrieben. Außerdem war ich stellvertretende Chefredakteurin bei Afrikanet.info, der Informationsplattform für Schwarze Menschen im deutschsprachigen Raum. Aktuell bin ich Chefredakteurin bei "fresh", einem Magazin für Black Austrian Lifestyle und Online-Redakteurin bei religion.ORF.at.
Mein migrantischer Hintergrund war natürlich wichtig, weil es bei der Kooperation mit "Die Presse" darum ging, dass Menschen mit Migrationshintergrund schreiben, zu Wort kommen und endlich selbst Beiträge gestalten können.
Olivera Stajić: Ich habe 2005 mit der journalistischen Arbeit begonnen, mit einem schlecht bezahlten Praktikum bei einer Online-Plattform, die über Technologie und Internet berichtet. Zwei Jahre später war ich die Chefredakteurin der Printausgabe. Nebenbei habe ich schon für derStandard.at als freie Mitarbeiterin über Technologie-Themen geschrieben. Zu dieser Zeit habe ich mich in journalistischer Hinsicht überhaupt nicht damit auseinandergesetzt, dass ich einen Migrationshintergrund habe - bis ich begonnen habe, für die MigrantInnen-Zeitschrift "Kosmo" zu schreiben. So ist man bei derStandard.at darauf aufmerksam geworden, dass ich geeignet wäre, das neue Projekt rund um daStandard.at zu leiten. Hier ist und soll es auch Thema sein, dass ich und die RedakteurInnen einen Migrationshintergrund haben, weil wir uns darauf spezialisieren, JungjournalistInnen migrantischer Herkunft zu fördern. Seitdem lebe ich tatsächlich von diesem Job.
migrazine.at: Könntest du mehr zur Entstehungsgeschichte von daStandard.at erzählen? Warum wurde das Projekt überhaupt initiiert?
Stajić: Die Idee gab es schon, bevor ich zu derStandard.at kam: Dass man nicht nur über Migrationsthemen berichtet oder darüber, wie weit die "mediale Integration" voranschreitet, sondern dass man auch Leute mit Migrationshintergrund in ein Mainstream-Medium holt - und zwar ganz gezielt, indem man eine Anzeige schaltet und sagt, wir wollen nur MigrantInnen, also eine positive Diskriminierung. Für die Leitung wollte man ebenfalls jemanden mit Migrationshintergrund, was ich auch gut finde. Es gibt ja ähnliche Projekte, z.B. in Deutschland, aber immer mit einem bereits in der Redaktion etablierten Leiter, der der Mehrheit angehört.
migrazine.at: Auch bei FM4 gab es Bemühungen, neue RadioredakteurInnen mit Migrationshintergrund zu finden. Wo steht ihr gerade, und welche Überlegungen sind diesem Entschluss vorangegangen?
Unterweger: Die Idee, mehr Leute mit Migrationshintergrund im Team zu haben, ist heute bestimmender als früher. Es gibt mittlerweile sogar einen Diversity-Koordinator bei FM4. Begonnen hat alles vor einigen Jahren quasi von "unten". Da ist seitens verschiedener FM4-RedakteurInnen der Vorschlag gekommen, eine "Spezialwoche" zu Migrationsthemen zu gestalten, unter dem Titel "No Place Like Home", aus dem Gefühl heraus, dass die Perspektiven und Lebenswelten von MigrantInnen in der Berichterstattung auf FM4 zu kurz kommen. MigrantInnen selbst sind meistens nur als Betroffene rund um Asyl, Abschiebung, Rassismus zu hören. Schon damals gab's Zwischenrufe, dass es wichtig wäre, KollegInnen mit Migrationshintergrund ins Team zu holen. Natürlich ist sofort das Gegenargument gekommen: "Bei FM4 sind diverse Nationalitäten vertreten, England, USA, Australien ... wir sind doch schon total multikulti, was wollt ihr eigentlich?" Es war schwierig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es bestimmte Gruppen gibt, die gesellschaftlich ausgegrenzt sind, und sich diese Ausgrenzung zum Teil bei FM4 fortsetzt.
Infolge dieser "Spezialwoche" entstand eine Kooperation mit der Zeitschrift "biber", in deren Rahmen jeden Monat ein Artikel aus ihrem Magazin auf die FM4-Website online gestellt wurde. 2010 formierte sich dann eine interne Arbeitsgruppe, die verschiedene MedienexpertInnen mit Migrationshintergrund zwecks Input einlud und Schritte zur Öffnung von FM4 ausarbeitete. Als dauerhaftes Ergebnis gibt es seither die wöchentliche Kolumne von Todor Ovtcharov, einem "biber"-Redakteur, on air. Seine Kolumne "Mit Akzent" läuft im Nachmittagsprogramm von FM4. Drei weitere "biber"-RedakteurInnen haben Praktika bei FM4 durchlaufen. Einer von ihnen, Ali Cem Deniz, gestaltet mittlerweile als freier Mitarbeiter regelmäßig Beiträge auf FM4.
Im Hinblick auf die Frage, warum sich so wenige Interessierte mit Migrationshintergrund bei FM4 bewerben, hat man im Vorfeld des Assessment-Centers vor einigen Jahren in Inseraten versucht, gezielter Leute anzusprechen - allerdings etwas holprig formuliert: "FM4 sagt zu allen Österreichern (oder in Österreich lebenden Ausländern) mit Migrationshintergrund: Ihr seid mindestens genauso willkommen, diesbezügliche Hemmschwellen interessieren uns gar nicht." (Runde lacht) Nun lässt man das spezielle Wording bleiben und veröffentlicht Bewerbungsaufrufe nicht mehr nur in "Die Presse" und in "Der Standard", sondern auch in migrantischen Medien wie "biber", M-Media oder über die Medienservice-Stelle. FM4 bemüht sich nun stärker, auch auf junge interessierte MigrantInnen zuzugehen - auch aus einer Notwendigkeit heraus. Als Jugendkultursender kann FM4 diese wachsende Gruppe nicht länger ignorieren.
migrazine.at: Clara, könntest du erzählen, wie die Kooperation zwischen M-Media und "Die Presse" zustande gekommen ist? Und warum fiel die Wahl gerade auf eine konservative Tageszeitung?
Akinyosoye: Der Geschäftsführer von M-Media, Simon Inou, ist mit der Projektidee an mehrere Zeitungen herangetreten, "Die Presse" war die einzige Zeitung, die das Projekt angenommen hat - so ist die Kooperation entstanden. Die Seite "Migranten schreiben für die Tageszeitung ‚Die Presse‘" erschien zwischen 2008 und 2012 wöchentlich. Grundsätzlich lag die inhaltliche Gestaltung ganz bei M-Media. Wir recherchierten und bestimmten die Themen. Ich schickte dann dem zuständigen Kollegen bei "Die Presse" eine wöchentliche "Road Map". Wenn etwas anfiel, haben wir das gemeinsam besprochen. Finanziert wurde die Seite aus öffentlichen Mitteln, mitunter durch EU-Mittel, aber auch vom Innenministerium und vom Finanzministerium.
Ziel des Projekts war, dass immer mehr junge MigrantInnen eine Chance bekommen, das journalistische Handwerk zu lernen und einen Weg in die Redaktionen finden - nicht nur in "Die Presse". Durch das Projekt konnten sie journalistische Erfahrung sammeln und vorweisen. Das war Sinn der Sache, den Leuten einen Platz zu geben, wo sie Know-how sammeln können.
migrazine.at: Das Thema "Migration und Medien" hat in letzter Zeit einen starken Aufschwung erlebt. Immer häufiger stoße ich auf Berichte, in denen es um die "Integration in den Medien" geht. Was steckt eurer Meinung nach dahinter?
Stajić: Zunächst liegt das daran, dass das Thema Migration im Allgemeinen eine unfassbare Konjunktur erfahren hat. Und Medien reflektieren sich grundsätzlich gerne selbst. Dass sie auf diese Art und Weise in die eigenen Stuben schauen, finde ich gut. In der Woche, als wir mit daStandard.at gestartet sind, hatte ich nicht weniger als zehn Interview-Anfragen. Ich habe keine konkrete Erklärung dafür, außer, dass es einfach schon höchste Zeit war. Wenn wir nach Deutschland schauen, sieht man, dass man dort schon fünf, sechs Jahre weiter ist als hier. Aber egal, was der Grund ist - ich bin froh, dass es so ist.
migrazine.at: Sowohl daStandard.at als auch M-Media betonen, aus den für MigrantInnen reservierten Themen-Nischen (Migration, Rassismus etc.) rauskommen zu wollen. Dennoch sind die Inhalte, die ihr bearbeitet, auf Migration fokussiert. Wie geht ihr mit diesem Widerspruch um?
Akinyosoye: Für mich ist das nicht unbedingt ein Widerspruch. Denn das Ziel von M-Media ist, dass mediale Integration stattfindet. MigrantInnen sollen die Chance haben, überhaupt teilzunehmen. Der Weg der vergangenen Jahre ging über solche Themenschwerpunkte, Integrationsseiten etc., dafür waren die Mainstream-Medien offen. Dass über Migrationsthemen berichtet wird, würde ich gar nicht negativ sehen. Schließlich ist ja der Anspruch von M-Media auch der, dass MigrantInnen mitunter differenzierter und umfassender über Migration berichten können - was wir in Österreich sehr dringend brauchen -, weil sie sensibler sind für bestimmte Themen und mehr Einblicke in die Communitys haben.
Dass MigrantInnen natürlich auch in anderen Redaktionen über andere Themen schreiben können sollen, ist klar. Aber ich denke, wir müssen zuerst diesen ersten Schritt schaffen, nämlich dass MigrantInnen ihre Erfahrungen in den Medien machen können. Wenn es Migrationsthemen sind, dann ist das nicht schlecht. Wenn dann jemand in der Sportredaktion landet - umso besser.
Stajić: Dem stimme ich hundertprozentig zu. Wir versuchen zwar, auch andere Themen abzudecken, aber wir kommen immer wieder auf "Migration" zurück, einfach aus dem Grund, weil wir unzufrieden sind, wie sonst darüber berichtet wird. Ich finde es auch absolut notwendig, sich selbst in diese "Nische" zu stellen, weil man dort einfach etwas exponierter steht und auf etwas hinweisen kann. Wären wir verteilt in die diversen Ressorts, könnten wir nicht so geschlossen auftreten und eine Redaktion, die ausschließlich aus Leuten mit Migrationshintergrund besteht, als etwas Besonderes präsentieren, weil es eben sonst keine gibt. Ich finde diese Exponiertheit in diesem Moment, in diesem Prozess, in dem wir uns befinden, absolut notwendig. Anders kann ich es mir gar nicht vorstellen.
migrazine.at: Wie wird das bei FM4 diskutiert? Geht es da auch darum, dass RadioredakteurInnen mit Migrationshintergrund zunächst Migrationsthemen bearbeiten sollen?
Unterweger: Nein, es war schnell klar, dass migrantische KollegInnen über Migrationsthemen berichten können, wenn sie das wollen, aber nicht müssen. Allerdings kann ich mich an eine Phase in der Debatte erinnern, in der sehr oft von einer Art "'biber'-Radio auf FM4" die Rede war. Mehrheitsangehörige bei FM4 haben bewusst von einem "Ghetto" gesprochen und wollten auf FM4 eine Art ausgeschilderte "MigrantInnen-Schiene" einrichten. Es hat aber auch viele Gegenstimmen gegeben, die die Leute eben nicht in so ein Eck drängen wollten.
Seither sind einige RedakteurInnen mit Migrationshintergrund neu dazugestoßen, allerdings kaum Personen aus den großen Einwanderungs-Communitys wie Ex-Yu oder Türkei. Die Neuen berichten über alle Themen, quer durch die Bank - das ist die eine Schiene. Die andere Schiene sind u. a. diese speziellen Kolumnen wie "Mit Akzent", da geht es meist um Themen wie kulturelle Unterschiede, Migration etc. Man versucht jetzt, beide Schienen gleichzeitig zu fahren.
Akinyosoye: Was ich zum Teil selbst erlebt oder bei anderen Leuten mitbekommen habe, ist, dass man MigrantInnen oft die Fähigkeit abspricht, die Distanz zu wahren bzw. objektiv zu sein. Als ich einmal einen Artikel über Schwarze Menschen geschrieben habe, wurde hinterfragt, ob der Text nicht mehr ein "persönlicher Erfahrungsbericht" sei. Das war nicht in "Die Presse", by the way. Bei jedem anderen Journalisten hätte man so etwas nicht behauptet. In den Redaktionen herrscht noch immer Misstrauen und man meint, dass MigrantInnen das nicht hinkriegen würden.
migrazine.at: Wäre das nicht ein Grund, das Prinzip der "journalistischen Objektivität" überhaupt infrage zu stellen?
Akinyosoye: Für mich ist das einfach ein Vorurteil. Ich würde mir wünschen, dass man den Background als Expertise, als interkulturelle Kompetenz und damit als Pluspunkt sieht.
Stajić: Ich stelle die "journalistische Objektivität" allgemein sehr wohl infrage. In Wahrheit ist es doch so, dass in den österreichischen Mainstream-Medien Männer über fünfzig aus dem Bildungsbürgertum das Themensetting machen. Hier von "Objektivität" zu reden, ist schwierig. Wenn ein/e JournalistIn recherchiert, dann nimmt er/sie die Leute, die er/sie kennt, aus der eigenen Umgebung, dem eigenen sozialen Milieu, vor allem, wenn so viel Zeitdruck herrscht wie bei einer Tageszeitung. Wenn dann jemand kommt, der/ die von diesem Muster abweicht, ergibt sich automatisch eine andere "Objektivität" Ich bin immer wahnsinnig verärgert, wenn KollegInnen kommen und sagen: "Ich bin aber objektiv". Da fehlt es ihnen absolut an Reflexion.
migrazine.at: Einige von euch haben in sogenannten Freien Medien begonnen. Hat sich euer Blick auf migrantische, selbstorganisierte Medien verändert, seitdem ihr in etablierten Medien tätig seid?
Stajić: Das MigrantInnen-Medium, bei dem ich dabei war bzw. bin, ist ganz konventionell, auch wenn es gratis ist. Bei einem Freien oder selbstorganisierten Medium war ich eigentlich nie. Warum ich überhaupt bei "Kosmo" angefangen habe, ist, um meine muttersprachliche Kompetenz in Schuss zu halten. Journalistisches Arbeiten ist da eine gute Übung.
Unterweger: Für mich war "Radio Afrika" definitiv ein Sprungbrett oder eine Plattform, auf der ich mich ausprobieren konnte und den Einstieg ins journalistische Arbeiten gefunden habe, Kontakte knüpfen konnte. Es war eine wichtige Lernphase. Irgendwann hat sich halt die Frage gestellt, ob ich das weiterhin als unbezahltes "Hobby" betreiben will oder nicht, insofern war es zeitlich dann nicht mehr möglich weiterzumachen.
Stajić: Die klassischen Lehrredaktionen bei den Zeitungen sind ja nur für die wenigsten ein Einstieg. In Berufen, wo die Einstiegsschwelle so hoch ist wie im Journalismus, ist Selbstinitiative sicher eine Möglichkeit. Ich musste aber immer schauen, Geld zu verdienen und wäre nie auf die Idee gekommen, das "hobbymäßig" zu machen, das wäre sich nie ausgegangen für mich.
Akinyosoye: Zeitungen wie "Die Presse" rekrutieren ihre MitarbeiterInnen vorwiegend aus ihren Lehrredaktionen, aber man kann sich ausrechnen, wie viele MigrantInnen da dabei sind - ich kenne nur wenige. Die Ausschlussmechanismen spielen sich auch im Medienbereich 1:1 ab.
Beitrag aus migrazine.at, Ausgabe 2010/3.