"Schwarze Frauen sind sichtbar geworden"
migrazine.at: Den Orlanda Verlag gibt es bereits seit 1974. Was war der Anlass der Gründung, und welche Themenschwerpunkte lagen euch damals besonders am Herzen?
Anna Mandalka: Der Verlag wurde damals von Roswitha Burgard und Dagmar Schultz gegründet und entstand aus der Zweiten Frauenbewegung heraus. Dagmar Schultz hatte davor jahrelang in den USA gelebt und von dort viele Anregungen, besonders aus dem Bereich der Frauengesundheit, mit nach Deutschland genommen. Sie brachte auch die Idee der Frauengesundheitszentren hierher und war Mitbegründerin des ersten Feministischen Frauengesundheitszentrums in Berlin. Roswitha Burgard kam ebenfalls aus dem Gesundheitsbereich, und so war das erste Buch, das der Verlag – damals noch unter dem Namen Frauen Selbstverlag – herausgebracht hat, der Titel "Hexengeflüster".
Später wurde der Verlag dann in subrosa und in den 1980er-Jahren in Orlanda Verlag umbenannt, in Anlehnung an den Monolog von Virginia Woolfs Figur Orlando, aber mit einem weiblichen "a" hinten.
In der Liste der Autorinnen, die in eurem Verlag veröffentlicht wurden, finden sich unter anderem bell hooks, Audre Lorde und May Ayim, die sich neben vielen anderen Autorinnen mit dem Verhältnis von Feminismus und (Anti-)Rassismus beschäftigt haben. Wie schätzt du die Bedeutung des Verlags für die Debatten innerhalb der Frauenbewegung in Deutschland im Allgemeinen und für die afro-deutsche Frauenbewegung im Speziellen ein?
Auch hier geht die Initiative für diese Bücher im Verlag auf Dagmar Schultz zurück. Sie lernte Anfang der 1980er Audre Lorde auf einer Konferenz kennen und lud sie daraufhin als Dozentin nach Deutschland ein. Lorde versuchte sehr schnell, Kontakt zu Schwarzen deutschen Frauen aufzunehmen, und inspirierte sie dazu, sichtbar zu werden und sich zu organisieren – ein Impuls, der bis heute fortlebt. Zu dieser Bewegung gehörten in Deutschland auch May Ayim, Katharina Ogountoye und viele andere, die auch jetzt noch der Bewegung verbunden sind.
In den 1980ern und Anfang der 1990er publizierte der Verlag zahlreiche Titel von Schwarzen Frauen. Heute sind es vor allem Frauen mit Migrationshintergrund und Frauen aus der Türkei oder den arabischen Ländern, denen wir im Verlag eine Stimme zu geben versuchen. Schwarze Frauen werden mittlerweile in vielen sehr unterschiedlichen Verlagen veröffentlicht, was auch zeigt, wie sichtbar sie mittlerweile sind.
Wie du eben erwähnt hast, liegt seit einigen Jahren ein Schwerpunkt des Verlags auf der Literatur türkischer Autorinnen*. Was waren die Gründe für diese Entscheidung und welche Themen werden hier verhandelt?
Die Gründe für die Entscheidung, türkische Autorinnen zu publizieren, liegen auf der Hand. Der Verlag liegt in Berlin-Kreuzberg, in einer stark türkisch geprägten Umgebung. Wir fingen 2007 damit an und haben natürlich mit einer Autorin wie Pinar Selek eines der bekanntesten Gesichter der türkischen feministischen Bewegung im Programm, neben Ipek Calislar, Hülya Adag und einigen anderen. Wir wollten zeigen, dass es in der Türkei eine sehr starke und große feministische Bewegung gibt, von der wir auch hier durchaus noch lernen können, da sie in vielen Dingen von Anfang an einen anderen Ansatz hatte. Zum Beispiel waren die türkischen Frauenzentren von Beginn an auch für Transgender-Personen offen, ebenso für interessierte Männer. Der Umgang war nie Abgrenzung, sondern immer Dialog.
Wo seht ihr als Verlag, der eine eindeutige politische Position bezieht, heute besonderen Handlungsbedarf?
Wir als Verlag, aber auch Medien haben großen Einfluss auf gesellschaftliche Diskussionen, und da sehe ich unsere Verantwortung und Aufgabe. Wir müssen uns um einen Standpunkt bemühen, der aufklärt und informiert statt zu polarisieren und weitere Vorurteilsgräben zu schaffen. Nach dem Erscheinen von "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin habe ich mich oft gefragt, wie ein Verlag ein solches Buch, das ganz klar rassistische Äußerungen enthält, veröffentlichen kann. Dieses Buch hat, wie auch andere, so viele Vorurteile bedient und so viele Menschen verletzt, die seit Jahrzehnten zu unserer Gesellschaft dazu gehören. Ich hoffe, dass der Orlanda Verlag immer dazu beitragen wird, solche Vorurteile zu beseitigen.
Interview: Isabelle Garde