Prostori migracije: Orte der Migration
an.schläge: Was bedeutet für Sie kritisches Kuratieren? Was muss emanzipatorische Kulturarbeit Ihrer Meinung nach leisten?
Nataša Mackuljak:Es bedeutet, immer wieder zu fragen, wer gegenwärtig politische Subjektivierung konstituiert, und dafür Sorge zu tragen, dass diese Frage nicht aus der Kunst und dem kulturellen Feld verschwindet. Es heißt aufmerksam dafür zu sein, wer in der Kunst Raum braucht, damit empowernde Ideen und Formen öffentlich werden können. Es bedeutet aber auch, Menschen den Zugang zu Jobs zu verschaffen, die die Kunst anzubieten hat. Außerdem, nicht starr und elitär in Hinblick auf Kunstformen und kulturelle Praxen zu sein. Wichtig auch: Sich um neue Allianzen zwischen Gruppen zu bemühen, die in verschiedene, aber nicht voneinander zu trennende Kämpfe involviert sind. Das ist es, was wir als Politik von Verbundenheit, Liebe und Freundschaft bezeichnen.
Obwohl sich das Kunst- und Kulturfeld gerne mit “Radical Chic“ schmückt, ist Radikal- und Fundamentalkritik, die auch die eigenen Institutionen und Regeln miteinbezieht, im kulturellen Mainstream selten. Dabei gäbe es etwa an klassistischen, rassistischen und sexistischen Ausschlüssen und der Marktförmigkeit des Kunst- und Kulturbetriebs jede Menge zu kritisieren. Wieso passiert das so verhalten?
Ivana Marjanović: Das kritische Potenzial von Kunst darf aber auch nicht unterschätzt werden! Eine Menge ist passiert und vieles ist im Gange. Soziale Bewegungen haben das Kunstfeld seit Jahrzehnten beeinflusst. Aber ja, es ist noch nicht genug. Warum nicht? Weil die Idee von Fundamentalkritik nicht mit der dominanten Ideologie übereinstimmt, die Regulierungen, Grenzregime, Vermögensverteilung, Geschlechterrollen und Normierungen von Sexualität hervorbringt.
Offenbar sind Kunst und Kultur für Sie dennoch geeignete Felder, um Gesellschaftskritik zu formulieren. Was macht sie dafür geeignet? Was kann Kunst, was andere Formen der Kritik nicht leisten?
Marjanović:: Wie gesagt gibt es auch im künstlerischen Feld viel zu tun, um gewaltsames Denken und Handeln zu beenden. Kunst kann Kritik auf eine Weise formulieren, die Menschen aufmerksamer hinhören und -sehen lässt, denn ihre Kommunikationsformen und -strategien sind andere als zum Beispiel die der Mainstreammedien. Das kann verführen. Kunst kann jedoch auch zu Blindheit verleiten, deshalb ist es so wichtig, auch hier politische Räume einzurichten.
Mackuljak:: Bei der Wienwoche geht es nicht allein um Kunst. Wir als Kuratorinnenteam wurden auch wegen unseres Hintergrunds (Kunst und Aktivismus) ausgewählt. Ich bin zum Beispiel seit zwanzig Jahren in feministischen Aktivismus involviert, von der feministischen Antikriegsbewegung in Jugoslawien in den 1990ern über Feminismus und Anarchismus im Zuge der Antiglobalisierungsbewegung (Genua usw.) und hier in Wien nun in Verbindung mit Migration, das prägt unsere kuratorische Arbeit.
Die diesjährige Wienwoche widmet sich dem Thema Politiken der Freundschaft. Was ist Ihr Zugang zum Thema?
Mackuljak:: Wir haben als Freundinnen und Kolleginnen gemeinsam Hochs und Tiefs durchgestanden, unsere eigenen, aber auch die anderer. Angefangen bei der fehlenden Arbeitserlaubnis hier, dem Zugang zum Privileg StaatsbürgerInnenschaft, bei manchen ging es sogar um das Bleiberecht. Von den “kleinen“ Dingen gar nicht zu reden, wie dem Teilen unserer (gebrochenen) Deutschkenntnisse oder der Wohnung, wenn du selbst gerade keine hast. Die Erfahrung, füreinander da zu sein, hat uns sehr gestärkt. Aber wir wurden auch von feministischen, queeren und anderen Büchern und künstlerischen Arbeiten zum Thema Solidarität beeinflusst. Und wir wollten hören, was andere dazu zu sagen haben. Wir konnten eine Menge interessanter Perspektiven gewinnen und einige davon sind nun auf dem Festival zu sehen.
Die Wienwoche ist ein gelungenes Beispiel für kritische Kulturpolitik. Welche Anstrengungen bräuchte es ganz grundsätzlich, damit es nicht bei einzelnen partizipativen Projekten bleibt, sondern sich der Kunst- und Kulturbetrieb insgesamt ändert?
Marjanović:: Fundamentale Änderungen erfordern auch eine Änderung des politisch-ökonomischen Modells. Wir leben in einem sehr reichen Teil der Welt, in “Westeuropa”, das seinen Reichtum in der Vergangenheit unter anderem durch die Herrschaft über andere erlangt hat (durch Imperialismus, Kolonialismus), was im Neoliberalismus als Neo-Imperialismus und Neo-Kolonialismus in neuen Formen erscheint. Einige Ideen für den Anfang wären: Kunst und Kultur mehr zu öffnen für diejenigen, denen der Zugang aufgrund von Sprache, Klasse, “Race“, Geschlecht, Staatsangehörigkeit verwehrt ist, um Wien und Österreich weiter zu fördern und nicht zu ignorieren, was sie wirklich sind: “prostori migracije“, Orte der Migration, Orte, die geteilt und gemeinsam genutzt werden sollen.
Übersetzung aus dem Englischen: Lea Susemichel
Das Interview erschien zuerst in: an.schläge - Das feministische Magazin, VI/2016.