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"J-Flag unterstützt diese 'Anti-Murder Music'-Kampagnen nicht"

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Interview mit Dane Lewis

migrazine.at: J-FLAG wurde 1998 gegründet, um für "die faire und gerechte Behandlung von Schwulen und Lesben im Gesetz und durch die Bevölkerung" zu arbeiten. Es war die erste Organisation in Jamaika, die sich für "Lesben, All-Sexuals und Schwule" [1] eingesetzt hat. Kannst du uns eine kurze Einführung in eure Arbeitsweisen der letzten Jahre geben?

Dane Lewis: Am Anfang waren wir ca. zwölf Menschen aus unterschiedlichen Bereichen – Bildung, Menschenrechte, HIV-Behandlung und -Betreuung sowie Medien –, die daran interessiert waren, die Anliegen der LGBT-Community abseits eines HIV/AIDS-Diskurses zu fördern. Viele Fälle zu dieser Zeit beschäftigten sich mit HIV. Eines der Ziele der Gründungsmitglieder von J-FLAG war es, LGBT-Personen von diesem Stigma zu befreien.

Wie könnt ihr heute arbeiten, welche Konsequenzen hat es für euch, bei J-FLAG zu sein?

J-FLAG veröffentlicht aus Sicherheitsgründen noch immer keine Anschrift. Es gibt seit der Ermordung von Brian Williamson keine öffentlichen Gesichter der Organisation. Zurzeit gibt es sieben Mitarbeiter_innen, die aufgrund ihrer Arbeit bei J-FLAG unterschiedlichen Gefährdungen ausgesetzt sind.

Welche Rolle nimmt die kritische Auseinandersetzung mit Homophobie in der Dancehall in eurer Arbeit ein?

Dancehall ist ein wichtiger Teil unserer Populärkultur und hat dazu beigetragen, Homophobie unter den Hörer_innen anzuheizen, wie die Ergebnisse unserer ersten nationalen Umfrage zur Einstellung und zur Wahrnehmung von Homosexualität zeigten. Doch die Gesetzgebung bezüglich Analverkehr (Teil des "Offences Against the Person Act", Anm.) und die Kirche tragen ihren Teil dazu bei, wie Jamaikaner_innen Nicht-Heterosexuelle sehen. Interessanterweise hat eine Folgestudie gezeigt, dass fast zwei von fünf Jamaikaner_innen denken, dass die Regierung nicht genug tut, um die LGBT-Community zu schützen. Viele, die uns von Menschenrechtsverletzungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung berichten, erzählen, dass sich die Täter_innen entweder auf das Gesetz bezogen oder die Lyrics eines homophoben Dancehall-Song zitierten.

Ich denke, die Wurzel von Homophobie ist auf den Druck zurückzuführen, auf dieses "Andere" als die männliche Identität Bezug zu nehmen: Um die eigene männliche Identität zu sichern, muss über das Andere gesprochen werden. Das erfordert nicht, positiv über die eigene Identität zu sprechen. Die Musik scheint über das zu sprechen, was du nicht bist. Für die Karrieren von Dancehall-Künstler_innen ist es förderlich, zumindest einen Song im Repertoire zu haben, der sich gegen dieses Andere ausspricht. Sicherlich glauben auch jene Künstler_innen, die einen fundamentalistisch-christlichen oder einen Rastafari-Hintergrund haben, dass dies Teil ihrer Identität, Teil ihrer Verantwortung sei. Über Sex und Sexualität wird außerhalb von der Dancehall nicht viel gesprochen. Das Dancehall-Genre ist möglicherweise der einzige Ort, an dem sich Menschen ausdrücken können. Aber was kann getan werden, um daraus einen Dialog entstehen zu lassen, der die Debatte positiv vorantreiben könnte?

Ein Protestaufruf gegen ein Konzert von Sizzla in Wien Anfang dieses Jahres hat – auf seine homophoben und frauenfeindlichen Lyrics bezugnehmend – den Begriff "Hass-Sänger" verwendet. Es scheint ein gängiger Begriff in der Debatte zu sein. Was denkst du zu seinem Gebrauch?

Ich möchte klarstellen, dass J-FLAG nicht mehr direkt an diesen "Anti-Murder Music"-Kampagnen beteiligt ist und diese nicht unterstützt. Das Ziel der Kampagne muss überarbeitet werden. Es wurde viel Mühe drauf verwendet, Einzelpersonen zu labeln und ihre Auftritte zu verhindern, statt daran zu arbeiten, dass es strenge vertragliche Abmachungen gibt, sodass Artists bestraft werden können, falls sie dagegen verstoßen. Sie haben vielleicht gewisse Lyrics in ihrem Repertoire, aber das muss nicht heißen, dass sie diese aufführen dürfen.

Wir glauben, dass Boykotte nicht die beste Möglichkeit sind, da sie einen sachlichen Dialog verhindern. Die rechtliche Seite unterstützt einen breiten gesellschaftlichen Glauben daran, wie LGBT-Personen behandelt werden sollen. Die Strategien, dagegen vorzugehen, sind vielfältig. LGBTs als Menschen mit gleichen Rechten anzusehen ist die größte Hürde, da die Wahrnehmung von Menschenrechten durch rechte anti-homosexuelle christliche Gruppen vermasselt wurde.

Wie würdest du die Situation von LGBTIQ in Jamaika beschreiben?

Anfang August 2011 wurde ein Mann in einer Gegend namens Torrington Park ermordet. Er wurde untertags attackiert; einer der Angreifer schnitt ihm mit einer Machete fast den Hals durch, der andere schlug mit einer Kreuzhacke auf seinen Kopf ein. Dies zeigt deutlich, dass die Gewalt gegenüber der Community anhält. Seit 2011 sind uns mehr Fälle gemeldet worden als zuvor. Wir wissen nicht, ob das eine Folge des Dokumentationstrainings ist, das wir im Rahmen von unserer "Fight the Hate"-Kampagne veranstalten, in der wir Leute auffordern, Vorfälle zu melden.

In den Jahren davor waren es durchschnittlich dreißig Fälle im Jahr, 2011 waren es vierzig. 2012 gab es bisher über 120 gemeldete Vorfälle. Die Zunahme der Angriffe könnte auch mit den öffentlichen Veranstaltungen zusammenhängen, die wir fast monatlich organisieren – es ist ein stiller Protest. Wir gehen an eine befahrene Kreuzung und teilen Flyer aus oder stehen einfach da mit unseren Transparenten.

Entgegen der Ankündigung von Premierministerin Portia Simpson-Miller hat die Regierung noch keinen Versuch unternommen, die drei relevanten Klauseln im "Offences Against the Person"-Gesetz von 1864 zu ändern. Ihr habt im Oktober dieses Jahres einen Prozess angestrengt, um rechtlich gegen diese Klauseln vorzugehen. Kannst du uns mehr über die Details des Prozesses erzählen und über die bisherigen öffentlichen Reaktionen darauf?

Der Fall ist vor der Inter-Amerikanischen Kommission für Menschenrechte. Das Urteil wird nur als Empfehlung an die jamaikanische Regierung fungieren. Der Prozess steht noch ziemlich am Anfang, aber wir hoffen, dass der Fall früher als geplant gehört wird. Hier gab es wenige Presseberichte, aber die Rückmeldungen waren sehr lokal.

Es scheint, als wäre die Debatte über Homophobie hauptsächlich eine über Hass gegen schwule Männer und Misogynie. Welche Rolle spielt eine lesbische Identität innerhalb der öffentlichen Diskussion um Homophobie in Jamaika?

Sie wird oft heruntergespielt. Teil der Heuchelei. Frauen* scheinen weniger ein Thema zu sein, aber sie werden auf brutale Weise vergewaltigt, wenn sie sich offen den sexuellen Annäherungsversuchen von Männern widersetzen. Alles, was die männliche Sexualität ablehnt oder in Frage stellt, wird angefochten.


Der Text basiert großteils auf einem Interview von Patrick Helber mit Dane Lewis von Oktober 2011, ergänzt durch Informationen aus einem Email-Interview, das MALMOE im Oktober 2012 mit Lewis geführt hat. Die englischsprachige Langfassung des Interviews findet sich hier.


Fußnote

[1] Aus der Homepage von J-FLAG: "The term 'all-sexuals' was adopted at a Caribbean regional meeting in Curaçao in 1997 which brought together people doing community-organizing and building around sexual orientation or gender identity. It was intended to reflect a continuum in sexual identity, which captures the consensual bisexual and transgender experiences of LGBT persons more so than any sexual activities or behaviours."

Dane LewisDane Lewis is Executive Director of the Jamaica Forum for Lesbians, All-Sexuals & Gays (J-FLAG). J-FLAG's Website