Flucht, Gender und (un)mögliche Solidarität
Migration und Flucht sind geradezu zu Symbolen globaler Ungleichheiten geworden. Die
Möglichkeiten für Menschen auf der Flucht auf legale Wege in den globalen Norden einzuwandern werden immer weniger. Europa schottet sich ab: Routen werden durch Zäune und Mauern versperrt, die Einwanderungsgesetze überall verschärft, Quoten eingeführt, zwischenstaatliche Deals geschlossen, die nur die angebliche Sicherheit der eigenen Bürger_innen im Fokus haben und das gesamte administrative Procedere der Legalisierung wie Registrierung, Antragstellung, Zuweisung etc. wird mehr und mehr kafkaesk. Mobilität wird zunehmend illegalisiert, doch hindert dies die Menschen nicht daran weiterhin vor Verfolgung, Elend und Krieg zu fliehen. Die extra-legale Grenzüberschreitung erweist sich dabei für Frauen wie Queers auch aufgrund sexualisierter Gewalt und geschlechtsspezifischer Verletzlichkeiten als signifikant schwerwiegender. Die europäischen Nationalstaaten allerdings betonen die Verletzbarkeit ihrer Grenzen und haben einen Diskurs der Angst vis-à-vis der Fluchtmigration etabliert, der die zunehmende Ausgrenzung und Gewalt gegenüber Fluchtmigrant_innen legitimiert. So können wir beobachten, dass im gegenwärtigen politischen Klima, jede Thematisierung von Geschlechtergewalt das stereotype Bild der “hilfsbedürftige Migrantin“ und patriarchaler, gewalttätiger migrantischer Männer und Communities stabilisiert und in der Folge rassistische Praxen - manch mal nolens volens - mobilisiert. Eine vertrackte Situation, denn die Nicht-Thematisierung oder Relativierung von Geschlechtergewalt ist ebenso gefährlich.
In der Sylvesternacht 2015/2016 kam es in Köln und Hamburg zu sexuellen Übergriffen auf Frauen. Unterschiedliche Gruppen junger Männer, die als nicht-deutsch - manches Mal als arabisch - beschrieben wurden, haben Frauen sexuell belästigt und bestohlen. Die Zahlen variieren stark, aber wir reden doch von einer dreistelligen Zahl und mithin von schweren Vorfällen, auf die international medial reagiert wurde. Spannenderweise geht es in den Debatten um die Sylvesternacht jedoch weniger um die tatsächliche sexualisierte Gewalt: eher wird die Herkunft der Täter thematisiert. Und so geht es in den Debatten kaum um Formen und Strategien des Opferschutzes, sondern um die Verschärfung des Asylrechts und um die Forderungen nach einer erleichterte Abschiebungen von jungen muslimischen Geflüchteten. Sexismus wird zu einem Problem männlich muslimischer Subjekte und das obwohl bekannt ist, dass Sexismus in europäischen Städten ubiquitär ist. Die Fokussierung auf die vermeintlich ‘arabische Herkunft’ der Täter in den Berichterstattungen vernachlässigt darüber hinaus, dass nach wie vor die meisten sexuellen Übergriffe von Verwandten und (Ex-)Partnern ausgeht und dass Women of Color in Europa nicht nur jeden Tag sexualisierte Übergriffe erleben, sondern dass rassistische Praxen geradezu zu ihrem Alltag gehören. Die tausenden Übergriffe auf Geflüchtete und die grausamen Angriffe auf die Unterkünfte von geflüchteten Menschen, die in Deutschland und Österreich Schutz suchen, sind schließlich mehr als beängstigend.
Darüber hinaus zeigen die Diskurse rund um die sexualisierte Gewalt, die nur Geflüchteten
zugeschrieben wird, wie schnell die Mehrheit nicht nur wieder Rassismus salonfähig macht, sondern auch listig feministische Forderungen instrumentalisiert, um rassistische und kulturalisierende Diskurse zu legitimieren.
Die Täter von Köln haben nicht nur alle Männer, die als “anders“ markiert werden, diskreditiert, sie befreien auch die europäischen Männern von dem Verdacht des Sexismus. Die Skandalisierung der Straftaten in der Silvesternacht als Integrationsproblematik ist ein erschreckendes Beispiel für die Kulturalisierung des politischen Diskurses. Ein statisches und essentialistisches Kulturverständnis muss in einer Situation, in der die patriarchale Unterdrückung von Frauen als unveränderliches Merkmal des Islam oder auch einer ‘arabischen Herkunftskultur‘ betrachtet wird, fatale Konsequenzen zeitigen - das umso mehr, wenn die Reinheits- und Unschuldsobsession deutscher und österreichischer Mehrheitsangehöriger mitbedacht wird. Kultur und Religion können nicht isoliert von geopolitischen Machtverhältnissen, globaler sozialer Ungleichheit und kolonialer Geschichte diskutiert werden.
Positiv sind deswegen die erstarkenden feministischen Widerstände, die Feminismus immer als
gleichzeitig antisexistisch und antirassistisch beschreiben. Diese verdeutlichen, dass die zum Teil
scharfen der Debatten in der weißen Frauenbewegung um Rassismus, Klassismus und Antisemitismus nicht einfach verpufft sind. Diese politischen Positionierungen nicht-rassistischer Feministinnen sind bedeutsam, aber eine verantwortungsvolle Solidarität zwischen Frauen aus dem globalen Norden und globalen Süden verlangt nach Selbst-Reflexivität und Wachsamkeit von Seiten des westlichen Feminismus. Sie bedürfen auch der Frage nach europäischer kolonialer Geschichte, die für die globalen politischen und ökonomischen Ungleichheiten verantwortlich sind. Darüber hinaus muss der Zusammenhang zwischen westlicher Politik und der Situation von Frauen in der dritten Welt ernst genommen werden. Postkoloniale Feministinnen argumentieren, dass die “globale Schwesternschaft“ in erster Linie ein Diskurs des Nordens ist, und sein Engagement für die Frauen des Südens oft nichts weiter als eine paternalistische Mission für die “armen Schwestern“ in der “Dritten Welt“ ist. Die Vermeidung der Fallstricke, die transnationale Feminismen plagen, verlangt nach differenzierten historischen und geo-politischen Analysen der globalen Geschlechterverhältnisse und - konstruktionen. Unsere Bemühungen, dem Anderen gerecht zu werden, sind notwendig und zugleich unzureichend. Hier liegen das Risiko und die Verantwortung unserer Solidaritätspolitik in einer postkolonialen Welt.