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"Dienstboten, Katholiken, Juden, Frauen, AusländerInnen"

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von Initiativkomitee Stimm- und Wahlrecht für Migrantinnen und Migranten

Die "Basler Stimmrechtsinitiative" [1] wurde im September 2007 von einem Personenkomitee lanciert, dem VertreterInnen aus verschiedenen Parteien, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften und aus der Kultur angehören. Die Initiative tritt dafür ein, dass MitbewohnerInnen mit Migrationshintergrund, welche die Niederlassungsbewilligung, die sogenannte C-Bewilligung, besitzen und mindestens fünf Jahre im Kanton leben, stimmen und wählen können. [2]

Am 6. März 2009 wurden rund 3.000 Unterschriften durch MigrantInnen und Mitglieder des Initiativkomitees an den Regierungsrat übergeben. Nun heißt es abwarten – auf den Abstimmungstermin. Wir rechnen damit, dass die Initiative im Laufe des nächsten Jahres, wahrscheinlich im Herbst, dem Schweizer Volk zur Abstimmung vorgelegt wird. Wir rechnen uns keine allzu hohen Chancen aus – die Ängste, die eine solche Initiative auslöst, sind immer noch sehr groß. Derzeit sind wir dabei, eine Abstimmungskampagne zu planen.

Kleine Geschichte des Schweizer Stimmrechts

Ein grundlegendes demokratisches Prinzip besteht darin, dass jede und jeder, der oder die den Gesetzen eines Gemeinwesens unterworfen ist, an deren Entstehung direkt oder indirekt mitwirken soll. Dies gilt seit der Französischen Revolution und geht zurück auf Jean-Jacques Rousseaus Verständnis der Rechtsstellung des Menschen, das er 1762 niederschrieb. Dessen ungeachtet bestanden und bestehen vielfältige Einschränkungen, wer zu Wahlen und Abstimmungen zugelassen ist, und es lohnt sich, einen Blick auf die Entwicklung und auf das Entwicklungspotenzial des Stimmrechts zu werfen.

In der Eidgenossenschaft wurde 1798 ein indirektes Wahlrecht für alle über 20-jährigen Schweizer Bürger, die mindestens fünf Jahre in einer Gemeinde wohnten, eingeführt. Frauen und Geistliche waren ausgeschlossen, ebenso wie Juden, da sie das Bürgerrecht nicht erwerben konnten. In Basel waren nur Protestanten stimmberechtigt.
1803 wurde es wieder den Kantonen überlassen, die Zulassung zum Stimmrecht zu regeln. Basel führte traditionelle Stimmrechtsbeschränkungen wieder ein. Man musste Grundeigentum besitzen (Zensus), einen selbständigen Beruf ausüben (Ausnahmen galten für Akademiker, Lehrer und Beamte) sowie Wehrdienst leisten.

Nach 1830 wurden der Zensus und der Ausschluss von Dienstboten aus vielen Kantonsverfassungen gestrichen. Nicht jedoch in Basel. Die Verfassung von 1833 sah folgende Stimmrechtskriterien vor: Man musste Basler Bürger, Mitglied einer Zunft und volljährig sein (d.h. 24-jährig oder verheiratet), und man musste über Vermögen verfügen oder eine bestimmte Steuerleistung erbringen.

Niedergelassene Schweizer Bürger wurden in Basel erst nach der Revision der Bundesverfassung 1874 stimmberechtigt. Ausgeschlossen blieben weiterhin Dienstboten, "Armengenössige", Konkursiten und strafrechtlich Verurteilte. Die religiösen Vorurteile gegenüber Christen wurden mit der Bundesverfassung von 1848 abgeschafft. Für Juden bestanden aber bis 1866 Beschränkungen, da sie in ihrer Niederlassungsfreiheit eingeschränkt waren.

Das allgemeine Stimmrecht war ein Männerstimmrecht – dies trat mit der Diskussion um das Frauenstimmrecht ins allgemeine Bewusstsein. Die Forderung wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts laut, jedoch wurde in der Schweiz erst 1959 erstmals darüber abgestimmt. In Basel wurde den Frauen das Stimmrecht 1966 gewährt, auf nationaler Ebene 1971.

AuslandsschweizerInnen verfügen seit 1975 über ein Stimmrecht in der Schweiz. Dies steht allerdings im Widerspruch zur Idee, dass man das Gemeinwesen auch bewohnt, dessen Gesetze man beschließt.
Eine weitere Vergrößerung des Stimmrechtskörpers bestand in der Senkung des Stimmrechtsalters auf 18 Jahre (1989). Der Versuch 2007 zur weiteren Senkung auf 16 Jahre scheiterte.

Wie viele Personen waren im Zeitraum der Bundesstaatsgründung 1848 bis zur Einführung des Frauenstimmrechts stimmberechtigt? Schätzungen gehen davon aus, dass es 1848 unter 20 Prozent der Gesamtbevölkerung waren, 1940 etwa 30 Prozent und 1971 ca. 57 Prozent.

Die Zahlen sagen nichts über die Stimmbeteiligung aus. Stimmabstinenz wird auch heute beklagt, die knapp 50-prozentige Wahlbeteiligung an den Nationalratswahlen im Oktober 2007 gilt als ausnehmend guter Wert. Die Gründe für Stimmabstinenz sind vielfältig und werdenauf mangelnde Ausbildung, Armut und Desinteresse zurückgeführt. Wobei in den letzten Jahren dazukommt, dass etwa die rechtskonservative, ausländerfeindliche Schweizerische Volkspartei (SVP) durch ihre Verunglimpfungskampagnen der politischen Institutionen das ihre dazu beiträgt, dass das Interesse an politischer Mitbestimmung dem Missmut über politische Prozesse ganz allgemein weicht.

Stimmrecht ist Menschenrecht

Historisch gesehen übten nur Angehörige einer Nation (also Staatsangehörige) politische Rechte aus. Doch wie man sieht, waren lange vielfältige Einschränkungen üblich. Auch eine auf die Nationalität bezogene Demokratie hat das Problem zu lösen, dass Gesetze nur legitim sind, wenn sie in einem Prozess zustande kommen, der von allen Angehörigen der Rechtsgemeinschaft getragen wird. Deshalb macht es ausgesprochen Sinn, wieder einen Schritt weiterzugehen und den migrantischen Niedergelassenen das Stimmrecht zu erteilen.

Das Stimm- und Wahlrecht für MigrantInnen ist in einigen Teilen der Schweiz schon seit langem Realität, die niemals angezweifelt, aber vielerorts ausgeweitet wurde. Im Kanton Neuenburg wurde das kommunale Stimmrecht für MigrantInnen 1849 (sic!) eingeführt, das kantonale im Jahr 2002. Der Kanton Jura kennt das aktive Stimmrecht auf Kantons- und Gemeindeebene seit seiner Gründung 1978. Die Waadt (2003), Freiburg (2005) und Genf (2005) haben es auf Gemeindeebene eingeführt. Appenzell Ausserrhoden und Graubünden erlauben es den Gemeinden, das aktive Stimmrecht einzuführen. Daran wird deutlich, dass die Thematik eine hohe Aktualität besitzt und der Kanton Basel-Stadt mit der Einführung seine bekannt offene Haltung manifestieren könnte.

Wo sonst auf der Welt sind ausländische BürgerInnen stimmberechtigt? Die EU kennt das Stimmrecht für lokale bzw. regionale Wahlen in ihren Mitgliedsstaaten. Viele EU-Staaten kennen darüber hinaus ein Wahlrecht auch für Angehörige von Nicht-EU-Staaten (Dänemark, Schweden, Finnland, Irland und die Niederlande). Portugal zum Beispiel gewährt allen StaatsbürgerInnen das Wahlrecht, die aus Ländern kommen, wo PortugiesInnen abstimmen dürfen. In all diesen Ländern dürfen wir SchweizerInnen somit wählen.

Vor 15 Jahren wurde im Kanton Basel-Stadt letztmals über die Thematik abgestimmt. Es ist Zeit, den Stimmberechtigten wieder einmal eine Vorlage zur Ausweitung demokratischer Mitgestaltung zu unterbreiten.

Demokratie fällt nicht vom Himmel, sie entwickelt sich laufend weiter. Auch niedergelassene MigrantInnen sollen an ihrem Lebensmittelpunkt das Stimm- und Wahlrecht ausüben können. Das Stimmrecht ist ein Menschenrecht und muss nicht notwendigerweise an die Staatsbürgerschaft geknüpft sein. Zumal die Erringung des Bürgerrechts ein extrem lang dauernder Prozess ist, der beispielsweise schon dadurch bis ins Groteske verhindert wird, wenn jemand ein Jahr lang in Zürich studiert und arbeitet und damit die erforderliche lückenlose Wohnsitzdauer im Kanton nicht mehr nachweisen kann.

Gesetze sind umso besser abgestützt, je mehr Personen an ihrer Entstehung beteiligt sind. In Basel leben bereits sehr viele MigrantInnen der x-ten Generation. Sie haben hier die Schule absolviert, auch ihre Kinder besuchen die hiesigen Schulen. Wieso also sollten sie nicht mitbestimmen dürfen? Bei Nicht-SchweizerInnen, die sich in Basel niederlassen, kann das Stimmrecht einen Beitrag zur Integration leisten. Denn: Das Interesse an den politischen Institutionen nimmt deutlich zu, wenn man sich dazu auch äußern kann.



[1] Voller Wortlaut der Initiative: "Einwohner und Einwohnerinnen, die das Schweizer Bürgerrecht nicht besitzen, erhalten das kantonale Stimm- und Wahlrecht, wenn sie mindestens fünf Jahre Wohnsitz im Kanton Basel-Stadt haben und im Besitz einer Niederlassungsbewilligung sind."

[2] Die Niederlassungsbewilligung ist die strengste Bewilligung. Sie wird in der Regel nach zehn Jahren erteilt. Angehörige gewisser Staaten (Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Liechtenstein, Griechenland, Italien, Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Finnland, Großbritannien, Irland, Island, Luxemburg, Norwegen, Schweden, USA, Kanada) erhalten die C-Bewilligung bereits nach fünf Jahren. Zudem erhalten ausländische Ehegatten nach fünf Jahren eine Niederlassungsbewilligung.

Initiativkomitee Stimm- und Wahlrecht für Migrantinnen und Migrantenwww.auslaenderstimmrecht-bs.ch