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GHOST-TALK

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von Perilla
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©Skran Woraoayporn
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Hi noo, glaubst du an Geister? 

Irgendwie schon… find ich schwierig zu sagen. Ich bin mit Geistergeschichten aufgewachsen, böse Geister, die nicht loslassen können, Haus- und Schutzgeister, bei denen du dich “anmelden” musst, wenn du wo neu bist. Ich habe keine Erfahrungen damit gemacht, aber von so vielen Menschen schon anderes gehört - war immer ein bisschen gruselig. Wie ist das für dich, Weina?

Ich mochte immer schon Geister und Geistergeschichten, sowohl europäische als auch chinesische. Als Kind wollte ich mich immer mit einem Leintuch als klassisches Gespenst verkleiden :D Und Spukschlösser fand ich super. Also ich hab immer gehofft - bzw. hoffe ich jetzt noch - mal einen Geist zu treffen. Was ich interessant finde ist allerdings die Terminologie, wenn ich das Wort Gespenst höre, denke ich automatisch an das “klassische” europäische Spukgespenst, bei Geistern wandern die Gedanken allerdings weiter und führen von den Geistern meiner Ahnen hin zu übersinnlichen Gestalten aus der chinesischen Mythologie.

So ähnlich geht es mir aber auch. Gespenster sind für mich meistens auch mit Schlössern verbunden, und eher so Leintuch-Spukgestalten. Geister sind vielseitiger in meinem Kopf, sie sind übersinnlich, geheimnisvoll und eine Verbindung zu einer anderen Welt. Sie sind schon meist anthropomorph, aber könnten zum Beispiel auch Tiergeister sein und sind auch anders für mich in meinem Sein und an die Dinge, an die ich glaube, verankert.

Ja, an Tiergeister musste ich auch sofort denken, weil die Mythologie mit der ich am vertrautesten bin, ist die Geschichte vom Monkey King, die ja eigentlich die buddhistische Erzählung über den Mönch Xuanzang ist, der nach Indien gereist ist, um Sutren nach China zu bringen. Ich habe als Kind die Kassetten über diese Abenteuerreise rauf und runter gehört. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, finde ich es spannend, wie viele unterschiedliche Ebenen von phantastischen Welten in der Geschichte drinnen stecken. Also auf der ersten Ebene sind ja die Hauptfiguren bereits Geister: ein Superhelden-Affenkönig, ein ehemaliger Gott, der dazu verdammt wurde, als halb Mensch und halb Schwein auf der Erde zu leben und zwei Mönche, die auch irgendwelche Superkräfte haben. Ihnen begegnen dann allerdings unterwegs Gestalten, die als übersinnlich präsentiert werden, wie Fuchsgeister, also kommt da noch eine weitere Ebene herein - Geister, vor denen sich Geister fürchten. Und die Erzählung selbst ist ja ursprünglich ein religiöser Text, also auch schon auf eine gewisse Art übersinnlich.   

Hmm, ich habe gerade überlegt, weil ich auch an Fuchsgeister gedacht habe und an diese Tricksterfiguren und an thailändische Sagen und Mythen. Und ich glaube, dass das auf Deutsch auch nochmal anders ist. Weil die Wörter auf Thai für "Tiergeister" wahrscheinlich so etwas wäre wie ปีศาจ, was ich eher mit “Dämonen” übersetzen würde. Weil es mehrere Figuren gibt, die dich, wenn du alleine am Heimweg bist und es schon zu dämmern beginnt, irgendwohin locken wollen, um dich schlussendlich zu fressen. Und da gibt es nicht nur Tiergeister, sondern auch Riesen, die sich in Menschen verwandeln können; meistens in eine alte Oma, die so tut, als ob sie sich verletzt hätte und Hilfe brauchen würde, um die heimsuchende Figur letztendlich zu fressen. Und der Begriff dafür wäre eben nicht ผี (Geist), sondern ปีศาจ (Dämon). Aber da gibt es auch mehrere Abwandlungen und es lässt sich nicht alles so gut ins Deutsche übersetzen.

Ist Dämon dann nicht einfach ein “böser” Geist? Also Geister sind der Überbegriff und Dämon eine Unterkategorie?

Ich glaube nicht, weil es Wörter gibt für “böse Geister”. Aber eben auch ein extra Wort für Dämonen, sie haben vielleicht weniger Menschliches oder mehr Bestialisches.

Ah interessant! Auf Chinesisch haben all diese Gestalten auch unterschiedliche Bezeichnungen, z.B. der Fuchsgeist wird ja auf Englisch als fox spirit übersetzt, das dem chinesischen 狐狸精 näher kommt, wobei 精 auch Essenz bedeutet - und den Gedanken find ich schön, also dass die Essenz einer Person ihr Geist ist. Bzw. finde ich es gerade spannend, “Dämonen” positiv umzudeuten, weil sie ja meistens weiblich konnotiert sind und da sehr viel Misogynie in der Entstehung steckt, also Angst vor weiblicher Sexualität etc… 

Das sehe ich auch so. Die Frauen oder weiblichen Figuren in diesen Geschichten, die eine bestimmte Fähigkeit und dadurch eine Machtstellung haben, d.h. dass sie keine Angst haben müssen, von Männern misshandelt  oder umgebracht zu werden, sind meistens Dämonen und irgendwie böse oder gefährlich. Sie liegen auf der Lauer und tricksen unschuldige Passanten aus oder töten sie. Das sind wahrscheinlich die Geister und Altlasten, die unsere Gesellschaft verfolgen und aufgearbeitet werden müssen und sollten. Haha… Geister sind irgendwie arm, oder? Sie haben Ungeklärtes, Unerledigtes, das sie irgendwie festhält oder sie verfolgen eine Person oder eine Absicht, weil sie etwas nicht loslässt oder sie nicht loslassen können. Sie sind aber immer irgendwie gebunden, es ist ein innerer Zwang oder Drang in ihrem Wesen. Aber das wäre auch eine Vielseitigkeit von der Begrifflichkeit von "Geist", oder? “Gespenst” ist für mich viel materieller und einfacher, darüber muss ich nicht so viel nachdenken.

Ja, voll. Mir ist noch was Interessantes aufgefallen, Geister haben doch im westlichen Denken eher einen unsichtbaren Charakter, oder? Sie werden im Alltag nicht gesehen, und nur zu Halloween/Allerheiligen kommt man der Geisterwelt näher. In so vielen anderen Kulturen allerdings sind sie viel sichtbarer und präsenter. Wenn man sie dann als Metapher für all diese unterbewussten, nicht verarbeiteten Traumata hernimmt, was sagt das dann über den unterschiedlichen Umgang damit aus? 

Ich würde schon sagen, dass der Unterschied in den Begrifflichkeiten wesentlich ist. Sie haben dadurch eine ganz andere Präsenz. Deswegen finde ich besonders interessant, dass im groben europäischen Kontext der “Geist” einerseits sehr greifbar ist, einfach nur ein in sich geschlossenes Wesen, andererseits als Metapher für diese unaufgearbeiteten Dinge sein kann. Im Englischen ist es, finde ich, etwas facettenreicher, weil es auch noch den “spirit” gibt, was ja auch oft mit Natur verbunden ist, sowie bei Waldgeister, Feengestalten, Irrlichter,... das macht schon nochmal einen Unterschied. Jedenfalls verfolgen dich in Thailand die Geister nur physisch, wenn sie es überhaupt tun, da gibt es diese Metapher “der Geister aus der Vergangenheit” so nicht. Dafür gehören Geister zum Alltag irgendwie dazu und sind mehr eingebunden in dein Alltagsleben. Sie sind meistens unsichtbar, aber manchmal, aus welchen Gründen auch immer, zeigen sie sich unter Umständen. Oder sie gehören bei Gebeten und Ritualen dazu. Du siehst sie nicht, aber sie sind irgendwie da. Ganz anders greifbar und präsent. Ich weiß nicht, wie ich das gerade besser erklären kann.

Stimmt! Ich finds auch schön, dass es in buddhistischen Familien Ahnenaltare zuhause gibt, das veranschaulicht dieses im-Alltagsleben-eingebunden-Sein ganz gut. Wie meine Großeltern gestorben sind, hab ich mir manchmal gewünscht, dass ihre Geister irgendwie Teil von meinem Leben werden können, aber nachdem wir zuhause nie einen Ahnenaltar gehabt haben, sind sie nie so greifbar für mich geworden. Aber jetzt fällt mir grad ein, dass ich selber einen kleinen Altar für sie bauen kann, um diese Tradition einfach wieder zu beginnen.  

Wäre doch voll schön, das einfach selbst zu beginnen. Genauso entstehen Traditionen doch, oder?

Playlist:

https://open.spotify.com/playlist/4AsygnhNKzye4vQQ33FHy6?si=8b053a51fc574425

Dieser Text wurde von noo (they/them/-) und Weina (sie/ihr), beide Teil des Perilla Kollektivs, verfasst.

Perillaist ein Verein von und für Menschen, die sich der asiatischen Diaspora in Österreich zugehörig fühlen und nicht mehr länger unsichtbar und still sein wollen. Seit 2020 gibt Perilla das gleichnamige Zine heraus, veranstaltet Schreibsessions und die Konzertreihe Perilla Zine Beat. Aktuell arbeitet Perilla an dem Projekt WANDAPANDA & TIGER; ein mobiles Archiv der asiatischen Diaspora in Form eines Fahrrad-Lastenanhängers mit einer Veranstaltungsreihe von und mit asiatisch diasporischen Künstler*innen aus Österreich und darüber hinaus.