Der Amazonas Regenwald brennt: ein weltweiter Appell, um diese Katastrophe aufzuhalten
Anmerkung der Redaktion
Offener Brief, gelesen am 24. August 2019 bei einer Demonstration gegen den Amazonas Brand vor der brasilianischen Botschaft in Wien. Dieser Brief bleibt immer noch aktuell, insofern er ist ein Appell gegen die gegenwärtige Genozide indigener Völker und die Zerstörung der Biodiversität in der Welt. Bis jetzt hat sich diese Situation nicht geändert und ist nur schlimmer geworden. Im Dezember 2019 wurden 183 Prozent mehr Wald gefällt als im gleichen Monat ein Jahr vorher 1. Die Covid-19 Krise und die zahlreichen Ansteckungen in den Großstädten der Region bieten den Extraktivisten (Holzfäller und Bergarbeiter) eine große Chance, den Regenwald weiter auszuplündern.
von Migrazine
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Zunächst einmal möchten wir sagen, dass dies keine neue Botschaft ist, sondern sie stammt von unseren Vorfahren: den indigenen Völkern, den Maroos-, Quilombas-, Huni-, Kuin-, Awá-, Guarani-, Shipibo-Konibo- und den Küstengemeinschaften sowie vielen anderen. Sie sind diejenigen, die als erstes die menschlichen Ungerechtigkeiten dieses räuberischen Systems erleben und erleiden.
Die Brände, die sich in Amazonien ausbreiten, verursachen irreparable Schäden an dem Gleichgewicht und der Harmonie unserer Pachamama (Mutter Erde). Die unzähligen und massiven Brände breiten sich in den Nachbarländern, die sich das Amazonasgebiet teilen, aus. Es ist ein Verbrechen, das die falschen politischen Entscheidungen aller Regierungen der Region zu verantworten haben, aber im Falle Bolsonaros, dem Präsident Brasiliens, ist es besonders zutreffend. Nichtsdestotrotz sind auch das Konsumverhalten, insbesondere des globalen Nordens, und die gestiegene Nachfrage nach Agrarprodukten für die Brände verantwortlich. Im Amazonas-Gebiet hat dies zu einer Expansion der Viehzucht und des Soja-Anbaus geführt. Dahinter steckt ein kapitalistisches System, welches einen unstillbaren Hunger nach Gewinn besitzt, der alle Lebenssysteme des Planeten zunehmend auslöscht.
Von Wien aus wollen wir unsere Stimme und uns selbst, die Abya Yala-Gemeinschaft und die verschiedenen unabhängigen lateinamerikanischen Gruppierungen, der weltweit verbreiteten Wut und Empörung anschließen, die diese Zerstörung hervorruft, und wir möchten auch auf die wahren Verursacher dieser Katastrophe aufmerksam machen. Die massive und durchgehende Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes ist das Ergebnis eines breiten und intensiven, konsumbasierten Produktionssystems des Westens, das menschenzentriert, kapitalistisch, rassistisch und neokolonialistisch ist, das auf die Beseitigung jeglicher Art sozialer Organisation zielt, die nicht in Einklang mit dem westlichen Lebensstil steht. Die Krisen weltweit wie die Hungersnot, die Verschmutzung von Ökosystemen, die Vertreibung und Flucht, der erschwerte Trinkwasserzugang etc. zeigen uns durchaus, dass dieser räuberische Kapitalismus die Grenzen der Natur und der Physik übersteigt. Die nationalen Regierungen sind an dieser Situation beteiligt, sie regen aus ihrer Position die Umweltkatastrophen aktiv an, indem sie die Ausweitung der Grenzen der Agrarwirtschaft sowie die legalen und illegalen Formen des Bergbaus und anderer Formen der Ausbeutung von Bodenschätzen unterstützen und fördern.
Die Zerstörung von lebenswichtigen Ökosystemen wie dem Amazonas-Regenwald beschleunigt den Prozess der globalen Erderwärmung und somit des Klimawandels. Außerdem sind die Verfolgung und Ermordung jener, die sich diesem umwelt-zerstörerischen Modell widersetzen, ein Phänomen, das in verschiedenen Teilen der Erde zunimmt. Dies hat eine Einschränkung der Möglichkeiten von Gemeinschaften, sich selbst zu behaupten und zu organisieren, zur Folge.
Wir müssen unsere Lebensweise und die Art der industriellen Produktion ändern. Wir sind viele und vielfältige Akteure, Produzenten und Konsumenten. Änderungen in der Art der Produktion, Politik und Technologie werden nicht reichen, genauso wenig wie nur die Änderung des individuellen Konsumverhaltens. Wir brauchen dringend eine Politik, die die Treibhausgasemissionen reduziert, die den lokalen Handel fördert und die die multinationalen Konzerne zur Rechenschaft zieht, die die Umwelt zerstören. Wir wollen, dass die Menschen zusammen mit den Regierungen eine generelle Veränderung der Lebensweisen vorantreiben und fördern.
Wir verlangen, dass sich die Regierungen dieser Welt bezüglich dieser Katastrophe äußern und dass das Mercosur-Abkommen zwischen der EU und MERCOSUR, das die Ausweitung der Grenzen für die Agrarwirtschaft in Abya Yala (Lateinamerika) fördert, rückgängig gemacht wird. Wir möchten, dass die Politiker, die für dieses Verbrechen verantwortlich sind, bestraft werden, indem ihre Vermögenswerte im Ausland eingefroren werden. Wir verlangen, dass die vom Feuer beschädigten und zerstörten Gebiete wieder mit den ursprünglichen Baumarten aufgeforstet werden, um so zu versuchen, den Schaden der Zerstörung teilweise wiedergutzumachen. Wir verlangen, dass diese Gebiete nicht von der Agrarpolitik verwendet werden. Wir verlangen, dass die Gebiete, die den indigenen Völkern entnommen wurden, ihnen zurückgegeben werden und dass die Politik der Ausweitung und Ausbeutung des Amazonasgebiets beendet wird.
Wir wollen uns auch dagegen aussprechen, dass diese Lage als neokoloniale Ausrede für die Länder des globalen Nordens verwendet wird, in den Länder des globalen Südens als vermeintliche Beschützer der Umwelt zu intervenieren. Wir begreifen, dass es das westliche Lebensmodell gewesen ist, das die Pachamama in Gefahr gebracht hat. Der Amazonas ist eine unserer letzten Hoffnungsschimmer auf der Erde, denn aufgrund des westlichen, kapitalistischen Lebensstils wurden fast alle anderen Urwälder, Regenwälder und natürliche Ökosysteme zerstört.
Das, was wir brauchen, ist eine Veränderung unserer Denkweise und unseres Verhaltens, indem wir den Sichtweisen und Weisheiten der Ureinwohner, die wir zuvor missachtet haben, zuhören und von diesen lernen. Es ist dringend erforderlich, eine neuen Umgang mit der Umwelt zu erlernen, zum Beispiel nach den Weisheiten des Buen Vivir, Vivir Bien, Sumak Kawsay, Suma Qamaña „Gutes Leben“, Weltanschauung der indigenen Völker im Andenraum).
Für die Welt, für die anderen, für uns.
Marichi wew! Marichi wew! Marichi wew! Marichi wew! Marichi wew! Marichi wew! Marichi wew! Marichi wew! Marichi wew! Marichi wew!2
Organisationen, die sich dieser Erklärung anschließen: Confederación Latinoamericana en Austria, Colombia puede - Austria, Cumbuca- Comunidade de Mulheres Brasileiras Unidas e Conscientes na Austria, Grupo Encuentro Austria Argentina -GEAA, Ni Una Menos Austria, Revela Lateinamerika, Trenza, UPLA- Unidos por Latinoamérica, Unidas Podemos Austria, SambAttac Viena/Wien, globalista, Free LULA - Committee Austria.
Fußnoten
1. https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-01/amazonas-brasilien-regenwald-jair-bolsonaro-abholzung-wald
2. Wörtlich "Zehnmal der Sieg". Dieses Konzept stammt aus dem Mapudungun und entspricht auf Spanisch "Wir werden immer gewinnen", in der Vorstellung, dass etwas, das zehnmal gemacht wird, oft gemacht wird.