Das Management, der Tod, der Rest.
Beginnend diese Gedanken in die schriftliche Form zu übersetzen drehte ich mehrere Kreise und Kurven. Nichts unbekannt dabei, das Einsetzen des Schreibens geschieht in mir anhand Kurven und Kreise. Möglicherweise mitten in einer dieser Kurven tangierte der Blick das Regierungsprogramm. Der Blick war gerichtet auf das Verhältnis zwischen Demokratie als verfassungsrechtlich implementiertes politisches System und Migration in Österreich heute. Seit Beginn meines Denkens und Empfindens über und von Migration erfasse ich sie vor allem in ihrer Dimension als Handlung sozialer Subjekte in Bewegung. Oft benutzte ich den Begriff des Protagonismus in Anlehnung an vielen Autor_innen und Aktivist_innen vor allem aus lateinamerikanischen Kontexten, um die Handlungsfähigkeit der beteiligten Subjekte der Migrationsbewegungen im Gegensatz zur verbreitenden Betrachtung dieser als Opfer hervorzuheben. Heute veranschaulicht sich vielmehr der Antagonismus als Kategorie zur Beschreibung von Migration. Die Handlung sozialer Subjekte bewegt sich in Antagonismus zum Ziel, diese nach der Logik eines Staates oder einer überstaatlichen Vereinigung zu kontrollieren und zu disziplinieren. [1] Der Blick tangierte das Regierungsprogramm i.e. das Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung für den Zeitraum 2013 – 2018.
In seinem Präambel gleich im ersten Satz die erste eindeutige nationalistische Vermessung:
„Die Sozialdemokratische Partei Österreichs und die Österreichische Volkspartei verbinden der Glaube an Österreich, das feste Vertrauen in die Stärke der Österreicherinnen und Österreicher und der Wille, die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam zu bewältigen.“ (Bundeskanzleramt 2013: 4)
Über die (durch nationalistische Vermessungen konstruierten) Anderen wird in verschiedenen Stellen geschrieben. Es wird unter anderem geschrieben: „In der Arbeitsmarktpolitik wird ein Schwerpunkt auf die Erhöhung der Erwerbsquote von
jungen Männern und Frauen mit Migrationshintergrund gesetzt (...).“ (ebd.: 28) Es wird festgehalten, dass ein „umfassendes System zum Migrations- und Integrationsmanagement entwickelt“ wird. Auch ist dort zu lesen, dass dies im Sinne einer qualitativen Zuwanderung und unter Berücksichtigung „der Bedürfnisse des österreichischen Arbeitsmarktes und Wirtschaftsstandortes“ geschieht. Alles in Vorgangspassiv formuliert, Präsens als Zeitform angewendet. Und dann folgt ein Infinitivsatz im Bezug auf Vorhandenes, das weiterentwickelt werden soll. „Auch die RWR-Karte ist weiter zu modernisieren und zu entbürokratisieren (...).“
(Bundeskanzleramt 2013: S.29)
Die RWR-Karte ist die Karte mit den Farben der Flagge des österreichischen Staates. Die Rot-Weiß-Rote – Karte sieht einen besonderen Zugang zum Aufenthaltstitel und zum
Arbeitsmarkt für besonders hochqualifizierte Arbeitskräfte, für Fachkräfte in Mangelberufen und für selbständige Schlüsselkräfte aus Drittstaaten und für
Studienabsolven_innen einer österreichischen Hochschule vor. (Sozialministerium/ Bundesministerium für Inneres o.J.)
Im Regierungsprogramm wird das Erlernen der deutschen Sprache als Fundament für Integration betrachtet. Vielfalt und „Potenziale von Personen mit Migrationshintergrund“ werden im Einklang mit Diversity Management und Humankapitaltheorien als Chance benannt, die genutzt werden soll. Als Voraussetzungen für gesellschaftliche Integration gelten die Übernahme der proklamierten demokratischen Werten Österreichs seitens der „Personen mit Migrationshintergrund“ sowie ihr „Engagement für Österreich“. Leitendes Ziel einer angekündigten Schaffung von Integrationsstrukturen ist die verbesserte Leistung im „Wettbewerb um die bessere Köpfe“. Die Übereinstimmungen zwischen dem Ansatz des Integrationsmanagements, der dem 2013 veröffentlichten Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung zu Grund liegt, und dem ebenfalls von dieser Regierung mitgetragenen Ansatz des Migrationsmanagements sind bereits auf einem ersten Blick evident. Im Regierungsprogramm werden beide Bezeichnungen ohne Unterscheidung verwendet, sie fließen so zu sagen in einander, bilden ein diskursives Kontinuum, das Migration vor, während und nach dem Grenzüberschritt und der Niederlassung im österreichischen Territorium zu steuern beabsichtigt. Sowohl Migrationsmanagement als auch Integrationsmanagement gehen von einer utilitaristischen Kernausrichtung aus. Wie im Strategy Document der Internationalen Organisation für Migration (IOM) formuliert wird, muss Migration gemanagt werden, damit ihre Vorteile maximiert und ihre negativen Folgen minimiert werden können.
Die Frage nach den Begünstigten, die von den Vorteilen profitieren würden, wird in der Regel anhand der Argumentation, Migrationsmanagement strebe einen tripple win für die Herkunftsländer, für die Migrant_innen und für die Zielländer an, erwidert. (vgl. Europäische Kommission 2005: S. 6) Geleitet vom 2005 von der Europäischen Kommission verabschiedeten „Gesamtansatz zur Migrationsfrage“ (Rat 2005; Rat 2006) bzw. vom „Gesamtansatz für Migration und Mobilität“ aus dem Jahr 2011 (Europäische Kommission 2011) vollzieht sich das EU-Migrationsmanagement unter Anderem anhand einer Politik der Externalisierung, die das Ziel hat, Drittstaaten in die Migrationskontrolle einzubinden. Migrationssteuerung und Entwicklungszusammenarbeit werden miteinander verbunden, wobei die Kooperation im Bereich des Migrationsmanagements mit der EU Voraussetzung für Unterstützungen bildet. Dadurch verwandeln sich die Transitländer der Migrationsbewegungen zu neuen Räume der Grenzüberwachung und der Disziplinierung von Migration. (Dünnwald 2015) In einem Beitrag zum Zusammenhang zwischen Migrationsmanagement und Entwicklung merkt Schwertl (2015) zum Beispiel an, dass Migrationsmanagement nicht die versprochenen Vorteile für die Herkunftsländer des Südens zur Folge haben würde, sondern dass es anstatt zu mehr Gleichheit und Vernetzung letztendlich „(...) zu mehr Ungleichheit und Differenzen durch prekäre, projektbasierte, befristete Arbeitsformern und Ethiken“ führen würde. (ebd.) Ebenfalls als eine negative Folge von Migrationsmanagement gilt die Abwanderung von Fachkräften und hochqualifizierten Personen aus Entwicklungsländern („Braindrain“). (vgl. u.a. Hartmann, S. / M. Langthaler 2009; Langthaler/Hornoff 2008).
In Strategy Document von IOM (2007) werden sowohl Maßnahmen zur Steuerung und Kontrolle der Migrationsbewegungen als auch zur Integration von Migrant_innen in ihren neuen Lebensumfeld formuliert. Um das Ziel der Maximierung der Vorteile von Migration und der Minimierung ihrer negativen Folgen zu erreichen, erklärt das IOM in Übereinstimmung mit den Anliegen ihrer „Member States“, diese Staaten im Integrationsanliegen zu unterstützen und auch Programme umzusetzen, welche die freiwillige Rückkehr von Migrant_innen erleichtern würden. Darüber hinaus bildet die Unterstützung der Staaten bei der Bekämpfung von „migrant smuggling and traffic in persons“ eine weitere angekündigte strategische Aktivität im Strategy Document. (ebd.: 3-4)
Werden die aktuellen integrationspolitischen Maßnahmen des österreichischen Staates mit der Frage nach den angekündigten Vorteilen der Migrant_innen befragt, entfaltet sich vor unseren Augen eine Szenario der Trostlosigkeit. Denn abgesehen von den Privilegien, die bestimmten Berufsgruppen und hochqualifizierten Fachkräfte mittels Einführung der Rot-Weiß-Karte seit 2011 zustehen, bewirken umgesetzten integrationspolitische Maßnahmen keine Verbesserung - zum Beispiel - der Situation von Beschäftigten mit Migrationshintergrund am österreichischen Arbeitsmarkt, eine Situation die im Allgemeinen von Benachteiligung gekennzeichnet bleibt. Die Niedriglohnrisiken dieser Gruppe gegenüber „einheimischen“ Arbeitnehmer_innen fallen im Einklang mit aktuellen Forschungsergebnissen höher aus und haben in den letzten Jahren weiter zugenommen. (Fritsch/Teizer/Verwiebe 2014: 97) Ebenfalls zu erwähnen wäre die bereits seit 2006 etablierte „Integrationsvereinbarung“, die unter Anderem legale Aufenthaltsmöglichkeiten für Drittstaatsangehörigen an positiven abgelegten Sprachprüfung sanktionierend verknüpft. Veröffentlichungen zur Wohnsituation von Migrant_innen in Österreich bestätigen ebenso die Benachteiligung der Gruppe im Vergleich zur autochthonen Bevölkerung, wie es auf der Website Medien-Servicestelle Neue Österreicher/innen ausgehend von Daten der Statistik Austria dargestellt wird:
„MigrantInnen steht rund ein Drittel weniger Wohnfläche zur Verfügung als autochthonen ÖsterreicherInnen. Im Ausland geborene Personen sind von einer höheren Wohnkostenbelastung betroffen als in Österreich Geborene. Ausländische Staatsangehörige sind zudem häufiger von Problemen im Wohnbereich betroffen, insbesondere der Überbelag stellt ein großes Problem dar“. (Medien-Servicestelle Neue Österreicher/innen 2016 a)
Lang wäre die Aufzählung, lang. Ich beschränke die Erzählung auf diese wenige Vergegenwärtigungen. Denn innerhalb der übrig gebliebenen Zeichen dieses Beitrags müssen sich noch die Beantwortung der Frage nach den Vor-Teilen Österreichs im tripple win und auch eine abschließende Bewegung zurück zum Verhältnis zwischen Demokratie und Migration in Österreich heute entfalten.
Die Forderungen nach einer strategischen und selektiven Migrationspolitik, die prioritär „den Bedürfnissen des österreichischen Arbeitsmarktes und Wirtschaftsstandortes“ berücksichtigen würde, nach einer Migrationspolitik, die nach Maßgabe ökonomischer Interessen geplant und umgesetzt werden sollte, sind nicht erst entstanden, sie haben eine Geschichte und einen bestimmten ideologischen Entstehungskontext. In einer Studie von Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung, die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit durchgeführt und 2008 publiziert wurde, erklären uns die Autor_innen anhand von OECD-Statistiken und anhand einer Reihe von vergleichenden internationalen Studien, die der OECD-Datensammlung bestätigen würden, dass Österreich „das OECD-Land mit dem geringsten Anteil an AkademikerInnen unter den im Ausland Geborenen“ sei, und „,dass Österreich hinsichtlich der Qualifikationsstruktur der MigrantInnen, hinter den meisten OECD-Ländern liegt.“ (Bock-Schappelwein et al. 2008) Ob unter „ Migrant_innen“ im zweiten oben zitierten Passage nur diejenige gemeint sind, die im Ausland geboren und im Ausland eine akademische Ausbildung absolvierten, bleibt anhand der Lektüre unbeantwortet. Wenn es nicht der Fall wäre, bleibt hier die kritische Anmerkung auf die Gefährlichkeit dieser Ungenauigkeit im einem wirtschaftswissenschaftlichen Text. Aber unabhängig davon wird im Text deutlich, dass Österreich damals in Sache Brain Gain eine drastische Defizit zugesprochen wurde. Migration bewegte sich nicht wie erfordert. Die Bewegung der Menschen müsste besser gesteuert werden. Die Autor_innen erwähnen die damals bereits konstatierten oder prognostizierten Nachteile einer verstärkten Zuwanderung von hoch qualifizierten Arbeitskräften für die österreichischen Volkswirtschaft, bekräftigen jedoch, dass sowohl in der wissenschaftlichen als auch wirtschafts- politischen Diskussion der Konsens vorherrschen würde, dass trotz der Nachteile die Zuwanderung Hochqualifizierter jedenfalls einer von Niedrigqualifizierten vorzuziehen wäre. Die Forderung nach der Implementierung einer selektiven Migrationspolitik, nach einer Steuerung der Migration zugunsten der österreichischen wirtschaftlichen Interessen, wurde und wird von einer breiten Spektrum politischer Akteurinnen gestellt. Aber bereits drei Jahre nach der Einführung der Rot-Weiß-Rot-Karte wurde konstatiert, dass dieses Instrument die erwünschte Zahl an Fachkräften nach Österreich nicht gebracht habe. (vgl. u.a. OECD 2014)
Ein Fazit könnte lauten: Österreich ist nicht das bevorzugte Zielland von hochqualifizierten Arbeitskräfte und die im Ansatz des Migrationsmanagements proklamierten Vorteile für die Zielländer bleiben im Fall Österreichs zumindest im Hinblick auf das Ziel des Brain Gains unerfüllt.
Wer nach Österreich kommt, ist nicht die oder der erwünschte hochqualifizierte Migrant_in. Mindestens anscheinend, denn die Zahl der Nostrifizierungen belegen eine markantes Unverhältnis. Und hier tritt der Begriff Dequalifizierung in die Szene ein: 33 Prozent der Migrant_innen werden unterhalb ihres Ausbildungsniveaus eingesetzt. Bei den autochthonen Österreicher_innen sind es 11,0 Prozent. (vgl. Medien-Servicestelle Neue Österreicher/innen 2016 b)
Angesichts der realen Konsequenzen der nach dem Managementsansatz geführten Migrations- und Integrationspolitiken für die sozialen Subjekte in Bewegung kann das Versprechen von Vorteilen für alle Beteiligten nur als zynisch wahrgenommen werden. Die Priorisierung der Kosten-Nutzen-Logik im Vorhaben der Steuerung von Migration und Integration führt zur Abschottung, zur Ausgrenzung, zur Verstärkung der kapitalistischen Ausbeutungsmechanismen, zur Perpertuierung ungleicher gesellschaftlicher Verhältnisse und vor allem zum Tode Tausender Menschen auf der Suche nach einem Leben abseits von Armut und/oder Gewalt.
Wer kommt heute wie nach Österreich? Verschwindend sind die Möglichkeiten, in Österreich legal einzureisen. Vor allem für diejenige, die es nötig haben.
Die Erwachsenenbildung als Feld des Integrationsmanagements
Wie vorhin anhand des Regierungsprogramms erwähnt, sind die aktuellen Antworten der österreichischen Regierung auf die Fragen der Integration derjenigen denen es gelungen ist, lebendig hier anzukommen (und selbstverständlich sind hier nicht die Rot-Weiß-Rot-Karte-Begünstigten gemeint), vor allem durch von der die Implementierung von Wertekursen und durch eine verstärkte Förderung von Deutschkursen gekennzeichnet.
Die untersuchende Beschäftigung mit der Erwachsenenbildung für Migrant_innen im deutschsprachigen Raum bildet seit einigen Jahren einen Schwerpunkt der Arbeit von maiz.1 Zentrales Ergebnis der Beschäftigung ist das Feststellen einer allgegenwärtigen Ökonomisierung: Bildung müsse sich entsprechend der gesellschaftlichen Transformationen transformieren. Sie müsse mit den schnellen Veränderungen unserer Zeit Schritt halten und auf die neuen Anforderungen angemessen reagieren. Hinter diesen Positionen steht das Einverständnis damit, dass die Verwertungsinteressen der Wirtschaft oberste Priorität haben, auch wenn dies unter dem Deckmantel der Förderung der sozialen Kohäsion und des Umweltschutzes geschieht, wie es in der Lissabon-Strategie von 2000 oder in ihrer aktuellen neuen Auflage formuliert wird. (Europäischer Rat 2000)
Die Beobachtungen lassen außerdem – nicht überraschend – den Bereich Erwachsenenbildung für Migrant_innen mehrheitlich als einen Raum der hegemonialen Zurichtung erscheinen und rufen Empörung hervor.
Die aktuell vom österreichischen Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres verordneten Werte- und Orientierungskurse für Flüchtlinge bilden grundsätzlich kein Novum im Feld der Erwachsenbildung für Migrant_innen. Wertevermittlung im Sinne eines Zivilisierungsprojektes, das Grundzüge einer Kolonialpädagogik trägt, findet nicht erst seit Dezember 2015 in Österreich statt. Das Neue daran beschränkt sich auf die explizite Benennung der verfolgten Ziele. Auffallend jedoch ist die Akzeptanz der Maßnahme unter verschiedenen Akteur_innen der Zivilgesellschaft, die sich dem Kampf gegen Diskriminierungen und Gewalt zuschreiben. Hier ein Beispiel aus Oberösterreich: Mitarbeiter_innen des Autonomen Frauenzentrums in Linz und der Abteilung für Gender und Diversity der Johannes Kepler Universität erarbeiteten im Auftrag der Oö Landesregierung die Inhalte für die Initiative „Wertedialoge. Mobile Beratung für Flüchtlinge in Oberösterreich“. Für die Umsetzung des Programms wurde ein Team von Berater_innen von einer Abteilung des Landesschulrates Oö (Bereich „Ausländerbetreuung und interkulturelles Lernen“) zur Verfügung gestellt. Das Autonome Frauenzentrum beteiligt sich ebenso an der Schulung der Berater_innen. Ganz im Sinne des Programms der Bundesregierung betont der Landeshauptmann-Stellvertreter Thomas Stelzer die Ziele des geplanten Vorhabens:
„Jetzt geht es darum, diesen Menschen unser Werteverständnis und unsere Grundregeln für ein harmonisches Zusammenleben zu vermitteln. Das rasche Erlernen der deutschen Sprache und das Leben unserer Werte sind die Fundamente für erfolgreiche Integration“. (Land OÖ 2016)
Eine weitere aktuelle Maßnahme der Landesregierung in Oberösterreich in Zusammenarbeit mit dem Bund illustriert beispielhaft die Konsequenzen des Managementsansatzes auf der Ebene der Integrationspolitik. Ein Förderpaket regelt und finanziert die Durchführung von Deutsch- und Alphabetisierungskursen für Asylwerber_innen im Zeitraum Oktober 2016 und Dezember 2017 in Oberösterreich. Unter den Richtlinien befinden sich unter Anderem Bestimmungen im Bezug auf die Qualifizierungsstandards der Lehrer_innen, auf die Kostenstruktur, auf die Anzahl von Unterrichtseinheiten pro Kurs und Teilnehmer_innen, auf Zulassungskriterien usw. Diese Richtlinien stehen im krassen Widerspruch zu den Richtlinien des Programmplanungsdokuments der Initiative Erwachsenenbildung. Dieses Dokument, das die Bildungsarbeit im Rahmen der Länder-Bund-Initiative zur Förderung grundlegender Bildungsabschlüsse für Erwachsene inklusive Basisbildung regelt, beinhaltet zum Beispiel keine Bestimmung zur Anzahl von Unterrichtseinheiten, die eine oder einer Kursteilnehmer_in im Rahmen von Basisbildungskursen absolvieren dürfen. Die einzige Bestimmung beschränkt sich auf die Festlegung einer maximalen Anzahl von Unterrichtseinheiten pro Kurs (400 Unterrichtseinheiten). Für die Deutsch- und Alphabetisierungskurse, die im Rahmen des Förderpaketes in Oberösterreich umgesetzt werden, ist die Anzahl der Unterrichtseinheiten pro Kurs auf 75 Einheiten beschränkt und ein_e Kursteilnehmer_in darf einen Kurs maximal zwei mal besuchen. Das bedeutet konkret, dass auch eine_r erwachsene_r primär Analphabet_in innerhalb von maximal 150 Unterrichtseinheiten alphabetisiert werden soll. Die einzige verbliebene Antwort auf die Frage, warum diese Regelungen, wenn zahlreiche Studien und Lehrerinnen darauf hinweisen (vgl. u.a. Arbeitsgemeinschaft Karolinenviertel 2011; Feldmeier 2010: 16-39), dass für die Alphabetisierung erwachsener primären Analphabeten in einer Zweit- oder Fremdsprache deutlich mehr Zeit eingeräumt werden soll, bringt uns wieder zur (jetzt explizit benannten) Behandlung des Verhältnisses zwischen Demokratie und Migration heute in Österreich.
Die Verlierer_innen in diesem Beispiel, und es gibt leider viele weitere Beispiele, sind meistens Frauen. Analphabetinnen, Frauen mit wenigen oder keinen formalen Bildungserfahrungen. Diese Frauen verkörpern aus der Perspektive des Migrations- und des Integrationsmanagements die negativen Folgen der Migration, die zu minimieren sind, sie sind der zu verwerfende Rest der Vorteilsrechnung.
Aber in der Demokratie gibt es keine Ausnahme, habe ich mal einschneidend gelesen. Ora, würde ich schreiben, wäre die Sprache dieses Textes Portugiesisch, was hier beobachtet werden kann, ist eine Demokratie der Ausnahmen.
Und dies auszusprechen, diese Behauptung immer wieder stechend im Kopf klingen zu lassen, sie durch Kehle, Zunge, Zähne, Lippen erklingen zu lassen, immer verortet in kollektiven Räume des Widerstands, schreibend wiederholend schreiben, dass es keine Ausnahme in der Demokratie gibt, dies hält mich wach, im Kampf.
Fußnoten
[1] Ähnliches stellt Fabio Georgi fest. (2007, S. 108)
Literatur
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