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Die Narrative hacken: (migrantische) Jugendliche zwischen eigenen Erzählungen und medialen Diskursen

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von maiz-Jugend

Im Rahmen des Projekts „Erzählungen für die Transformation“, haben wir im Verein maiz eine dreiteilige Workshopreihe gestaltet, um mit jungen Menschen über Erzählungen, Narrative und (digitale) Medien ins Gespräch zu kommen.

Junge Migrantinnen* sind in Medien und im Netz viel Content ausgesetzt, der diskriminierend und schmerzhaft ist. Sie begegnen nicht nur direkt Formen von Cybergewalt – wie rassifizierter, sexualisierter Hassrede oder Belästigung  – sondern sind auch Zeug*innen von queer- und frauenfeindlichen, migrationsfeindlichen und abwertenden Diskursen.

Die Frage, wie wir diesen Diskursen entgegenwirken und andere Erzählformen hervorheben können, in denen unterschiedliche Perspektiven sichtbar werden, diente als Leitfaden für unsere Auseinandersetzung.

Call it by the name

Was geschieht, wenn wir laut benennen, was schiefläuft?
Wenn wir Worte für die Missstände finden, für das, was verletzt, schadet und ungerecht ist – was nie passieren soll? 

Gerade in Zeiten, in denen herrschende diskriminierende und abwertende Diskurse zunehmend normalisiert werden, kann Erkenntnis und unermüdliche Benennung der Missverhältnisse etwas gegen Gruppenapathie und Verdrängung tun. Wie können wir noch Kraft aus der ethischen Empörung schöpfen? 

Welche Bedeutung das Bewusstsein für Formen der Diskriminierung und stereotype Denkweisen hat, wurde in dem ersten Workshop der Serie behandelt - mit der zentralen Frage, wie sich diese Denkweisen zeigen und wie wir sie erkennen können. Dabei setzte sich die Gruppe junger Menschen mit vielen „-ismen“ auseinander: Rassismus, Sexismus, Klassismus, Migrantismus, Anti-Muslimischer Rassismus, Antisemitismus, Ageismus, Ableismus, Antiziganismus, Antislavismus, Kolonialismus, Lookismus, Transfeindlichkeit, Homophobie, etc.. 

Warum ist es wichtig, die Begriffe, die dahinterliegenden Phänomene sowie ihre Erscheinungsformen zu kennen? Hinter den abstrakt klingenden Wörtern verbergen sich strukturelle Gewalt, gesellschaftliche Ausschlüsse, ungleiche Lebenschancen – und konkrete Erfahrungen, die das Leben der Betroffenen prägen. 

Wenn die westeuropäische Gesellschaft die Ideale von Gleichberechtigung, Menschenrechten und Demokratie auf ihre Fahnen schreibt, warum gibt es immer noch so viel Diskriminierung und Gewalt? Welche kritischen Stimmen – die Dinge beim Namen nennen – werden ignoriert, verschwiegen oder gar ausgelöscht?

Häufig stoßen diese Stimmen auf die Verletzlichkeit der Privilegierten, statt Reflexion und Veränderung anzustoßen. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund eine Kultur schaffen, die kritische Stimmen – gemeinsam mit Vorstellungskraft und Mut – als zentralen Bestandteil transformativer Prozesse versteht?

Owning our stories

In den Medien sowie in der Politik wird überwiegend über (anstatt von) Migrant*innen berichtet. Dabei sind die Erzählungen meistens instrumentalisierend. In vereinfachten und rassistischen Darstellungen werden Migrant*innen als Sündenböcke für wirtschaftliche und soziale Probleme inszeniert. Dies fördert eine Dichotomie zwischen „uns“ und „ihnen“, die wiederum Hass, Gewalt und Ausgrenzung begünstigt.

Gerade deshalb ist es eine wichtige, aber auch schwierige Aufgabe, eigene Erzählungen sowie Perspektiven, die kein Rampenlicht bekommen, zu pflegen und wachsen zu lassen. Dies kann eine Strategie sein, um herrschende Narrative nicht zu internalisieren und zu reproduzieren. Die Kraft der Erzählungen und der Kunst des Erzählens haben wir im Rahmen des zweiten Workshops ‚How We Tell Our Stories‘ betrachtet.

Eine besondere Erkenntnis dieses Workshops kam, als wir uns über den „chronologischen“ Anfang unseren Lebensgeschichten austauschten – nämlich über unseren Namen. Jeder Name trägt eine Bedeutung und eine Geschichte in sich, die hinter der Entscheidung steht. Sie baut uns in das Kontinuum des Lebens ein, verbindet uns mit unseren Ahnen, unserer Kultur und dem gesellschaftlichen Kontext, in dem wir leben. In der Runde hatte jede von uns etwas zu erzählen. 

Was bedeutet dein Name?

Anahita bedeutet eine persische Göttin, aber meine Eltern meinten, dass es ein Baum in Paradies ist

Hadis es bedeutet eine Nachricht, Mitteilung

Marhaba es bedeutet ”hallo” auf arabisch und türkisch, obwohl das nicht meine Sprachen sind

Latifa bedeutet “sanfte, freundliche, zarte”

Nozhin bedeutet “ein neues Leben”

Martyna bedeutet eine Kämpferin

Trotz ihrer Deutung, kommen Namen manchmal auf überraschende Weise zu uns. 

“als ich zur Welt gekommen bin, hat der Arzt laut geschrien “Marhaba” (“hallo” auf arabisch) und er wollte gerne, dass es mein Name sein wird”

“wir hatten früher eine Nachbarin, mit der mein Bruder gespielt hat und als er wusste, dass er eine Schwester haben wird, wollte er, dass ich wie die Nachbarin heiße”

“mein Name ist eine Zusammenstellung von den erste Syllaben der Namen meiner Eltern – SUarez und LEguizamon, also Sule”

Die Namen sorgen auch für Probleme – indem sie mit Identitätsmerkmalen verbunden sind, machen sie wie unter einem Brennglas gesellschaftliche Schwächen sichtbar. Wenn sie als auffällig oder fremd wahrgenommen oder zugeschrieben werden, fordern sie die Mehrheitsgesellschaft heraus, über eigene Vorurteile hinauszuwachsen, um nicht zu stereotypisieren oder zu „othern“.
Zugleich tragen sie Spuren kollektiver Geschichte in sich – manchmal gewaltvolle und schmerzhafte Spuren, die uns oft nicht bewusst sind, etwa jene des Kolonialismus, Imperialismus, Krieges und der Unterdrückung. 

Was ergibt sich jedoch, wenn wir – trotz der damit verbundenen negativen Erfahrungen – darauf bestehen, unsere Namen und Geschichten wertzuschätzen und zu teilen? Und was geschieht, wenn wir der Entwertungslogik und den dehumanisierenden Narrativen in Politik und Medien entgegentreten, indem wir die Bedeutung jedes Lebens unermüdlich betonen?
Welche Kraft haben unsere Erzählungen, und wie können sie für uns einen gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft einfordern? 

Hacking the news

Was geschieht denn in unseren Körpern und Gedanken, wenn wir Medieninhalte wahrnehmen? Nehmen wir sie automatisch als wahr? Wenn wir Informationen konsumieren, werden Empfindungen, Assoziationen, Emotionen, Affekte, Gedanken, Vorstellungen ausgelöst. Wie beobachten wir kritisch diese Prozesse? Wie werden wir uns unserer Voreingenommenheiten, Reize und Verletzlichkeit bewusst? 

Und wie werden wir uns eigentlich der Perspektive bewusst, aus der uns Inhalte gezeigt werden? Wer spricht? Für wen? Mit welchem Ziel? Zum Informieren oder Manipulieren? Um eine bestimmte Reaktion zu steuern? 

Zudem nicht nur das, was sichtbar ist, prägt unsere Wahrnehmung – sondern auch das, was unsichtbar bleibt: was in Berichten verschwiegen, ignoriert oder ausgelöscht wird. Die Perspektiven, die nie oder nur selten vorkommen. Die fehlende Repräsentation unzähliger Schicksale, Gruppen, Lebensrealitäten. 

Wer ist dargestellt und wer nicht? Wie sind sie dargestellt oder nicht?

Was wird nicht erzählt?

Was würden wir auch mal lesen wollen? 

In welchem Bezug würden wir uns selber in News sehen wollen?

Im dritten Workshop unserer Serie haben wir diese Fragen in Gedankenexperimenten und Interventionen bearbeitet. Als kreative Methode schrieben wir die Frontpages der großen Nachrichten-Website BBC um, indem wir den lokalen Code veränderten. Dabei wurde schnell deutlich, wie einfach sich Fake-News erstellen und verbreiten lassen – was die Notwendigkeit unterstreicht, das kritische Hinterfragen zu erlernen und aktiv zu praktizieren.

Das Ziel dieser Praxis war es, gemeinsam die Kraft des kritischen Denkens und der Imagination zu stärken und unmittelbar zu erfahren, was es bedeutet, verzerrte Narrative zu „hacken“: sie aufzudecken, als absurd zu entlarven und durch eigene Perspektiven neu zu gestalten. Aus dieser Übung entstanden Nachrichten, die genau dies versuchen – und dabei provozieren, hinterfragen und träumen. 

Diese Strategie – wie auch die Strategien aus den zwei vorherigen Workshops – hat auch noch einen anderen Sinn: sich selbst in einer handelnden, wirksamen Position wahrzunehmen. 

Denn wir sind Protagonist*innen und Akteur*innen dieser Gesellschaft, die sich, trotz der Grausamkeit der aktuellen Nekropolitik – eine Politik der Lebensentwertung - für ein gutes Leben für alle einsetzen wollen, aus einer Ethik der Liebe und Solidarität. 

Dieser Artikel wurde basierend auf den Inhalten und Diskussionen sowie den Beiträgen der Jugendlichen in den Workshops im Rahmen des Projekts „Erzählungen für die Transformation“ von der Koordinator*in des maiz-Jugendbereichs verfasst. Das Projekt „Erzählungen für die Transformation“ wurde von Pro European Values gefördert und aus Mitteln der Europäischen Union kofinanziert.

 

Beteiligte: Anahita, Angel, Asma, Hadis, Hoda, Latifa, Marhaba, Najiba, Natalie, Nazanin, Nozhin, Sule, Yoa, Quadria, Zarifa

Verfassung: Martyna Lorenc

Bild: News-Hacks von dem Workshop, grafische Aufarbeitung Adriana Torres Topaga

 

maiz-Jugend– ein Raum für junge Migrant*innen, sich mit der eigenen Situation in Österreich auseinanderzusetzen, sowie Wege und Strategien zu suchen, um das politische und gesellschaftliche Leben in Linz aktiv mitzugestalten. Durch Entwicklung kreativer Handlungsmöglichkeiten bieten die Projekte den Jugendlichen die Gelegenheit, eigene Anliegen öffentlich, mit eigenen Worten, kreativ und kritisch zu artikulieren.