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Covid-19 - das Virus als Spiegel des Rassismus

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von Weina Zhao
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©Hong Le, @woherkommstduwirklich
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Ich war in der Volksschule, als ich das erste Mal als Schlitzauge beschimpft worden bin. Beim Tischgebet während dem Mittagessen zischte mich ein Mitschüler an, weil ich seines Erachtens den Suppenlöffel zu langsam weitergereicht hatte. Als das Gebet zu Ende ging, brach ich in Tränen aus. Anstatt zu sagen, was passiert ist, rieb ich mir nur die Augen und versteckte mein Gesicht und weinte so lange, bis man mich zum Arzt schickte. Niemand, der mich an diesem Tag weinen sah, inklusive meiner Mutter, kennt bis heute den Grund meiner damaligen Tränen. 

Lange Zeit konnte ich es selbst nicht verstehen, warum diese Beschimpfung so schmerzhaft war, dass sich meine Lippen versperrten. Mittlerweile weiß ich, dass es Scham war. Ich wollte nicht als Chinesin wahrgenommen werden und konnte darum die rassistische Bemerkung nicht wiederholen. Dadurch hätte ich erst recht meine Andersartigkeit ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. 

Über zwanzig Jahre sind nun vergangen und ich habe gelernt, mit meiner Andersartigkeit zu leben. Doch seit dem Ausbruch von Covid-19 wünschte ich mir wieder, manchmal mein chinesisches Äußeres unsichtbar machen zu können. Denn mit jedem erschrockenen Blick einer Passantin, die sich hastig den Schal vor Nase und Mund hält, jedem Kind, das mit dem Finger auf mich deutet, jedem blindwütigen „Corona“ Ruf in der U-Bahn, schwindet mein Gefühl, trotz meiner anderen Hautfarbe in Wien zuhause sein zu können, dazuzugehören. 

Während ich Anfang Februar versucht habe, darüber aufzuklären, dass die Bebilderung der Berichterstattung über das Virus mit asiatisch aussehenden Personen und Sprüchen wie „Made in China“ (so wie der Spiegel sein Cover vom 1.2.2020 titulierte) die Verbreitung von anti-asiatischen Ressentiments befeuert, häuften sich bereits die gewalttätigen Attacken gegenüber asiatisch gelesenen Menschen in Europa und den USA. Trotzdem stieß ich sogar in meinem engsten Umfeld auf Unverständnis – das Virus käme halt aus China, die Menschen haben Angst, Angst sei kein Rassismus. Dass andere tödliche Epidemien nicht mit ihrem Herkunftsland automatisch in Verbindung gebracht wurden, so wie die Schweinegrippe H1N1, die 2009 ihren Ursprung in den USA hatte und weltweit geschätzt 284.000 Menschen tötete1, aber keine globale Welle der Angst und des Hasses gegenüber US-Amerikaner*innen auslöste, schien kaum jemandem aufzufallen; und noch weniger, dass gegenüber Tiroler*innen kein Generalverdacht herrscht, obwohl Ischgl der Infektionsherd Europas war. 

Angst ist kein Rassismus – aber wenn jemand beim Anblick einer asiatisch gelesenen Person sofort an das Virus denkt, allerdings bei einer weißen2 Person nicht auf die Idee kommt, dass sie gerade in Wuhan oder Ischgl gewesen und infiziert sein könnte, dann sind das sehr wohl rassistische Denkmuster, die wir alle zu einem gewissen Grad internalisiert haben. Doch weil anti-asiatischer Rassismus in Österreich und vielen anderen Teilen der Welt bis heute ein unausgesprochenes Problem darstellt, und Asiat*innen im Vergleich zu anderen marginalisierten Gruppen weniger offensichtlich diskriminiert oder Attacken ausgesetzt wurden, werden rassistische Vorfälle seit dem Ausbruch des Coronavirus nach wie vor von vielen verharmlost, die es nicht verstehen können, was es bedeutet, sein Leben lang seine Hautfarbe oder andere körperliche Merkmale erklären zu müssen oder aufgrund dessen als Bedrohung wahrgenommen zu werden.

Es sind über zwanzig Jahre vergangen und doch hat sich weder an meiner Angst, noch am rassistischen Gedankengut so vieler meiner Mitmenschen etwas verändert. Wie denn auch – wenn Schweigen die Norm für die meisten asiatisch gelesenen Menschen in weißen Mehrheitsgesellschaften war? Wenn die wenigen Male, wo wir unseren Mut aufbringen, um unser Gegenüber darauf hinzuweisen, dass „Ching Chang Chong“, das Verziehen der Augen oder sonstiges Wiederholen „lustiger“ Stereotypen verletzend und rassistisch ist, wir als Antwort nur ein „Du verstehst keinen Spaß“ oder „War ja nicht böse gemeint“ bekommen; wenn unsere Gefühle immer wieder abgesprochen werden, dann scheint Schweigen schließlich die sicherere Wahl zu sein. 

Aber nur weil die meisten von uns das ganze Leben lang – ja, über Generationen hindurch, immer unsere Klappe gehalten haben, unsere Schmerzen hinuntergeschluckt haben, um ja nicht als schwierig aufzufallen oder gar um die Gefühle unserer Peiniger*innen zu schützen, mitgelacht haben, um dazuzugehören, oder sogar selbst rassistische Witze gerissen haben, um „cool“ zu sein, heißt das nicht, dass wir nicht jeden einzelnen Stich als unsichtbare Narbe in uns tragen. Doch warum schreien wir erst auf, wenn die Narben nicht länger nur in unserem Inneren sind, sondern sich zu blutenden Kopfwunden3, ausgerenkten Unterkiefern4 und verätzten Körpern5 gewandelt haben? Und warum bestimmen immer noch diejenigen in unserer Gesellschaft, die nie selbst Diskriminierungen in ihrer eigenen Heimat ausgesetzt waren, was Rassismus ist?

So verheerend Covid-19 auch ist, kann die Pandemie gleichzeitig eine Chance sein, den Rassismus, den es immer schon gab, als solchen endlich anzusprechen. Das Virus mag zwar farbenblind sein, doch wie wir Menschen damit umgehen und wer darunter am meisten leidet, macht leider die Ausmaße der globalen Rassismus-Pandemie deutlich. Attacken und Diskriminierung gegenüber asiatisch gelesenen Menschen sind nur ein Gipfel des Eisbergs. In China selbst werden Menschen afrikanischer Herkunft delogiert, weil sie als Verbreiter*innen des Virus betrachtet werden6 und Hautfarben bestimmen in den USA schon lange den Zugang zur medizinischen Grundversorgung. So sind in Chicago mehr als 70% der Corona-Todesopfer Afro-Amerikaner*innen, obwohl sie nur ein Drittel der Einwohner*innen ausmachen.7 Auch liegt der globalen Reaktion gegenüber dem Virus ein rassistisches Muster zugrunde: Epidemien wie Malaria töten jährlich eine halbe Million Menschen in Subsahara-Afrika, ohne dass drastische Maßnahmen ergriffen werden, die dem Sterben ein Ende bereiten könnten.8 Berichtet darüber wird nur im globalen Norden, wenn Gefahr droht, dass sich der Parasit in unsere Breitengrade verirrt. So lange nur Afrikaner*innen sterben, scheint alles normal zu sein. 

Ich würde mir wünschen, dass wir alle nicht länger wegsehen. Systematischer Rassismus durchzieht alle Länder und Gesellschaften, wir müssen endlich die Zusammenhänge erkennen und nicht nur aufschreien, wenn es auf unserem eigenen Dach brennt.  

 

Fußnoten

1Roos, Robert (2012): “CDC estimate of global H1N1 pandemic deaths: 284,000”. CIDRAP Center for Infectious Disease and Policy.
      https://www.cidrap.umn.edu/news-perspective/2012/06/cdc-estimate-global-h1n1-pandemic-deaths-284000

 2Ich verwende „weiß“ als politischen Begriff für Menschen der Mehrheitsgesellschaft, die keine Migrations- oder Fluchterfahrungen gemacht haben.    

3https://m.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/chinesin-in-berlin-rassistisch-beleidigt-zwei-frauen-gehen-auf-23-jaehrige-an-s-bahnhof-beusselstrasse-los/

4https://abc7ny.com/assault-hate-crime-bias-attack-coronavirus/6003396/

5https://nypost.com/2020/04/06/brooklyn-woman-burned-outside-home-in-possible-acid-attack/

6https://chinaafricaproject.com/analysis/an-unprecedented-rupture-in-china-africa-relations/

7https://www.nytimes.com/2020/04/11/opinion/coronavirus-poor-black-latino.html

8https://www.medico.de/en/forgotten-victims-17669/

Weina Zhaogeboren in Peking, aufgewachsen in Wien, schreibt und macht Filme, die unsere Seh- und Denkgewohnheiten herausfordern. Sie ist überzeugt, dass es höchste Zeit ist, den "white gaze" zu brechen.