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Die Forderung nach einem normalen Leben

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Interview mit Adalat Khan

Das folgende Interview wurde auf Englisch geführt und für die Zwecke dieser Publikation bearbeitet. Es spiegelt die Ereignisse bis Ende Februar 2013 wider. Anfang März übersiedelten die streikenden Flüchtlinge nach langen Gesprächen und Verhandlungen ins ehemalige Servitenkloster im 9. Wiener Gemeindebezirk, wo sie sich bis zum aktuellen Zeitpunkt aufhalten. Das Innenministerium zeigt nach wie vor keinerlei Gesprächsbereitschaft. Mehr als 24 Flüchtlingen droht weiterhin die Abschiebung.

Aktuelle Infos, Kontakt und Support unter: http://refugeecampvienna.noblogs.org


Auf der SOS-Mitmensch-Matinee zu Beginn dieses Jahres habt Ihr den mit 3.000 Euro dotierten Ute-Bock-Preis an die Caritas gespendet, um zu zeigen, dass es nicht um Geld, sondern um gleiche Rechte geht. Du hast gesagt, wenn du die gleichen Rechte hättest wie Menschen mit einem österreichischen Pass, dann wäre es kein Problem, genug Geld zu verdienen ...

Adalat Khan: Weißt du, manche Menschen machen Propaganda, dass diese Menschen [die Refugees] keine Lösung wollen, sondern nur Geld sammeln. Wir sind also auch kritisch gegenüber Spenden geworden. Im gleichen Moment brauchen wir aber auch Geld, um Anwält_innen und Essen zu bezahlen. Der Punkt ist also, den anderen Leuten zu erklären, dass es nicht um Geld geht, sondern um eine Lösung. Wir fordern keine Spenden, oder Räume, die dann uns gehören – in diesem Moment sprechen wir über Menschenrechte!

Seit Wochen sind die Tore der Votivkirche, außer während der Messen, geschlossen. Höchstens fünf Unterstützer_innen, Besucher_innen können gleichzeitig hinein …

Mit den normalen Leuten in Kontakt zu sein, ist sehr wichtig, auch mit den Unterstützer_innen reden zu können, ihnen zu erklären, einen Plan zu machen – aber die Erzdiozöse und die Caritas wollen den Kontakt zu den Unterstützer_innen abschneiden. Wenn Presse, die auf der Seite der Regierung steht, hinein will, dann können sie hinein, aber wenn alternative, unabhängige Medien kommen wollen, dann stoppen sie die. Letztes Mal war eine Person aus Deutschland hier, die einen Artikel schreiben wollte, die hat zwei Stunden vor dem Tor warten müssen.

Wo braucht es Hilfe, wo Unterstützung, und worin siehst du Unterschiede dazwischen?

Wir freuen uns auch über Spenden, wenn Leute uns helfen wollen, aber wir haben es nicht auf Räume und Dinge abgesehen, sondern wir wollen eine Lösung! Wir müssen zum Laufen anfangen, die Leute unter Druck setzen, Leute kontaktieren. Das ist die Verantwortung der Unterstützer_innen, die verstehen das System hier, die Gesetze, die Positionen... Aber das ist kein demokratisches Land – in einem demokratischen Land werden Menschen gehört, wennsie über ein Problem sprechen, aber hier: kein Zuhören, keine Antworten. Wie ich der Caritas über das Stoppen von Abschiebungen erzählt habe, haben sie gesagt: "Oh Khan, sprich nicht über das ..."

Wie können wir eine Lösung finden, wenn niemand Verantwortung übernimmt, wenn wir die verantwortlichen Personen nicht adressieren können? Wir wollen eine Lösung! Ich meine, wir sind sehr klar, wir sprechen nicht über eigene Räume, sondern über den legalen Status, über den Kampf. Es ist Zeit, Verantwortung aufzuteilen. Du machst deinen Job, draußen, ich mach meinen Job, drinnen. Du treibst einen Tisch auf, ich spreche mit dem Kanzler. Wir sind in der EU, wo sie sagen, dass eine friedliche Welt gemacht wird – wir unterstützen das! Weil wir auch Teil dieser Welt sind, und unsere Rolle ist mehr als wichtig. Aber meine Probleme sind nicht nur hier zu verorten: Zwanzig Prozent sind hier in Österreich, aber achtzig Prozent – jeden Tag schau ich, wie's meiner Familie [in Swat Valley, Pakistan] geht – wie können wir, wie kann ich meine Familie beschützen?

Wir sind mehr als in Gefahr, acht Jahre ist es jetzt her, seitdem ich weg bin. Normalerweise sprechen wir [Menschen, die dort Leben] nicht offen in der Presse, diese dummen Leute sind sehr stark [religiöse Gruppen und Sicherheitsfirmen], vielleicht bringen sie wieder wen aus meiner Familie um, weil ich sehr klar meine Meinung gesagt habe. Ich will jetzt Schutz.

Du hast oft über die Forderung nach einem normalen Leben gesprochen. Steht das für Dich im Zusammenhang mit einer Forderung nach Gleichberechtigung?

Gleichberechtigung ist, was man in Büchern und Artikeln ließt. Aber eine Person von hier soll einmal in meine Region gehen, ich gebe ihr 500 Euro, Essen, Unterkunft und dann soll sie dort leben. Das ist kein normales Leben, das ist ein Gefängnis. Aber wir sind auch Menschen. Wir wollen ein normales Leben, offen das Leben genießen.

Ein anderer Refugee vom Camp hat gemeint, dass Leute die hier in Österreich aufgewachsen sind, zuerst einmal den Weg gehen sollen, den er gegangen ist, bevor sie ihm die Welt erklären ...

Schau, in meiner Region haben wir auch viele Flüchtlinge, und wir haben ihnen eine Plattform verschafft. Mein Vater und meine Familie haben diese Leute mit Geld, Unterkünften, Jobs unterstützt. Und wir haben nicht die gleiche wirtschaftliche Situation wie in Europa ... Aber wir haben jene versorgt und juristisch unterstützt, die es gebraucht haben. 1,5 Millionen Afghanis und Paschtunen haben wir [der Staat Pakistan] einen Pass gegeben, damit sie durch die Welt reisen können.

Im Zusammenhang mit dem Protestcamp ist ja oft die Rede von "den Refugees" und "den Supporter_innen" – würdest du dich dann auch als Supporter verstehen?

Auf jeden Fall! Ich möchte den Jüngeren Möglichkeiten geben, lesen zu lernen, auf die Universität zu gehen, um dieses Scheiß-System zu bekämpfen, um Erfahrungen zu machen, um ein normales Leben zu führen. Wenn Du deinen Mund aufmachst, bekommst Du einen gestempelten Brief von den Sicherheitsfirmen und den religiösen Gruppen, dann bist du auf der schwarzen Liste. Ich bin da auch drauf.

Auf der schwarzen Liste?

Ja, und auch mein Cousin. "Warum sprichst du über Bildung und die Frauen? Warum sprichst du offen darüber?", wurde ich immer wieder gefragt, warum ich kein guter Muslim sei. Letztes Jahr haben sie einen anderen Cousin erschossen, meinen Sohn wollten sie auch töten, aber er ist nach Islamabad entkommen. Die haben keine Ahnung, diese Politiker_innen ... Aber wir lieben das Leben. Es ist nur einmal, genieße es! Die religiösen Gruppen wollen uns hindern, darüber zu sprechen, dass die Welt uns gehört. Aber diese Welt ist für uns da!


Interview: Niki Kubaczek



Dieser Beitrag erschien erstmals in der Zeitung "MALMOE" #62, in Kooperation mit eipcp – european institute for progressive cultural policies und der Zeitschrift "Kulturrisse".

Adalat Khanhttp://refugeecampvienna.noblogs.org