crossover

Un/Sicherheit für alle!

share on facebookprint/drucken
von Rubia Salgado

 "Wer genießt Sicherheit?", fragte das Projekt "Terra Secura", das 2007 beim Festival der Regionen in Oberösterreich von maiz, dem Autonomen Zentrum von & für Migrantinnen in Linz, und dem Wiener Künstlerinnen-Duo Klub Zwei realisiert wurde. Im daraus hervorgegangenen, aktuellen Nachfolgeprojekt "Wir gehen nicht!" [1] setzte sich die Projektgruppe gemeinsam mit Migrant_innen und Asylwerber_innen mit der Frage auseinander, wie sich fremdenpolizeiliche "Sicherheitsmaßnahmen" auf eben diese Gruppen auswirkt. Zusammen wurden nach Bildern für die prekäre Sicherheitslage – oder vielmehr: Verunsicherungslage – von Asylwerber_innen gesucht und Textbotschaften bzw. visuelle Darstellungen erarbeitet, die die Definitionsmacht der vorherrschenden Sicherheitsdiskurse in Frage stellen.

richle_2.jpg

Die beteiligten Asylwerber_innen bekräftigten ihren Entschluss, den Kampf um ein sicheres Territorium nicht aufzugeben und konfrontierten die Öffentlichkeit mit der Frage: "Wissen Sie unseren Wunsch?" Eine im dominierenden Diskurs nicht vorgesehene Frage, denn die Selbstverständlichkeit der allwissenden Position der Mehrheitsangehörigen über die Intentionen von Asylsuchenden macht eine solche Fragestellung seitens der Asylwerber_innen selbst unmöglich. Durch die Anwendung des Hauptworts "Wunsch" vollziehen die Akteur_innen eine semantische Verschiebung: vom Bedeutungsfeld der ihnen zugeschriebenen (Missbrauchs-)Absichten hin zum Feld des Rechts auf individuelle Äußerung eines Bedarfs, eines Bedürfnisses, einer Notwendigkeit. Oder sogar dem Recht auf die individuelle Äußerung eines Begehrens.

"Wir gehen nicht!" stellt die Sicherheitsfrage also anders: Was brauchen Migrant_innen und Asylwerber_innen, damit sie sich in europäischen Ländern sicher fühlen können? Was sind ihre Wünsche und Forderungen?

Sprache als Instrument der politischen Intervention

Gemeinsam wurden innerhalb des Projekts Methoden zur Textanalyse adaptiert, um Sprache als Material und Instrument der politischen Intervention einzusetzen. Die Arbeit an der Mehrheitssprache Deutsch ist dabei durch die Intention ihrer kritischen Aneignung charakterisiert – ein wesentliches Merkmal ist die dreiste, ungezwungene und zugleich fragile und vorsichtige, weil von gelernter Unsicherheit gegenüber dem hegemonial Etablierten beeinflusste, Inkursion in die Sprache. Ein Experiment, in dem Gestalt und Strukturen der Sprache destabilisiert werden und die Beteiligten sich an die Bildung neuer Formen und Bedeutungen herantasten. Dazu wurde sprachliches Material aus verschiedenen Quellen herangezogen: So beschäftigte sich die Projektgruppe beispielsweise mit der Lektüre und der Über- bzw. Neuschreibung der "Allgemeinen Erklärung der Ent-Sicherung", einem Dokument, das im Rahmen des zuvor erwähnten Projekts "Terra Secura" verfasst wurde. Im Zuge der weiteren Arbeit wurden aktuelle Berichterstattungen – vor allem aus lokalen Medien zum Thema Asyl – sowie Wörterschnipsel und Sprachfragmente aus Werbungen, Zeitungen und Foldern aufgegriffen, bearbeitet und in eigene Texte transformiert oder eingebaut.

Diese methodische Herangehensweise steht im Einklang mit den Grundsätzen der Arbeit von maiz im Feld der Sprachvermittlung und reflektiert die scharfe Ablehnung von staatlich verordneten Integrationskonzepten, die u.a. den Erwerb der hegemonialen Sprache mit Zwang verbindet. Genauso wenden wir uns gegen das restriktive Fremdengesetz in Österreich, das seit neuestem Deutschkenntnisse bereits im Vorfeld einer Einwanderung voraussetzt, sowie gegen weit verbreitete didaktische Konzepte, die das Erlernen der dominanten Sprache unter normativen Gesichtspunkten nicht hinterfragen.

Bei maiz betrachten wir Sprache in ihrem dialektischen Verhältnis zur Realität, das heißt sowohl als normative Instanz, die konstitutiv für den Erhalt von gegebenen Machtverhältnissen ist, als auch als Handlung und somit als realitätskonstituierend. Neben ihrem Zweck als technisches Kommunikationsmittel und als Medium zur Herstellung und Artikulation gesellschaftlicher Anerkennung heben wir daher die Funktion von Sprache als Mittel zur Mutmaßung einer veränderten Realität hervor.

hauptplatz_fahnen_2011cris.preview.jpg

Die "Erklärung der Ent-Sicherung" steht beispielhaft für eine Artikulation in der dominanten Sprache, die durch die kritische Aneignung eines international anerkannten Dokuments sowie ihrer formalen und sprachlichen Struktur eine Utopie entwirft. Darin wurden nicht nur Artikel aus der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" der Vereinten Nationen adaptiert, sondern auch ein Zitat von Hannah Arendt übernommen, das als "Artikel Null" – eine Art Präambel – die Grundausrichtung des Dokuments festlegt: "Alle haben das Recht, Rechte zu haben." Diese neue Charta fordert vorherrschende Sicherheitskonzepte heraus und postuliert: "Alle genießen die gleichen Rechte auf Un/Sicherheit", "Niemand darf auf Kosten Anderer Sicherheit genießen" und "Die Interessen der Migrant_innen und der Asylwerber_innen gehören ab jetzt zu den allgemeinen und öffentlichen Interessen".

Auftauchen aus dem Rassismus

Im Rahmen von "Wir gehen nicht!" wurde von der Projektgruppe eine Reihe von Forderungen (re-)formuliert. Eine zentrale Rolle übernimmt dabei das Verb "auftauchen". Die Kraft des Verbs speist sich aus dem Gegensatz zum Zeitwort "untertauchen", das semantisch mit den Folgen der Illegalisierung von Migrant_innen und Asylwerber_innen in Verbindung steht. Für die am Projekt beteiligten Asylwerber_innen knüpft das Verb an Aufforderungen wie "Auftauchen aus dem Rassismus!" oder "Auftauchen aus der Illegalisierung!" an. Aus diesen Forderungen wählte die Gruppe eine aus, die in vier Sprachen übersetzt und auf Klebebänder gedruckt wurde: Das Verb "auftauchen" ist im Hintergrund der Forderung "Sofortige Legalisierung aller Asylwerber_innen" zu lesen.

Der Text wurde in jene Sprachen übersetzt, die in der Gruppe am häufigsten gesprochen werden, nämlich Lingala, Französisch und Russisch. Hinzu kommt Serbisch, da die Arbeit auch im Rahmen der Ausstellung "… by the way … 12 Künstler/innen aus der Steiermark im öffentlichen Raum und im Museum für zeitgenössische Kunst der Vojvodina" in Novi Sad vorgestellt wurde.

In einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Begriff Sicherheit entstanden die Sujets, die zu Beginn erwähnt wurden ("Wissen Sie unseren Wunsch?" und "Wir gehen nicht!"). Diese wurden auf Fahnen und Transparente gedruckt und im Laufe der letzten Monate im öffentlichen Raum in Österreich und in Serbien präsentiert, u.a. vor dem Rathaus auf dem Linzer Hauptplatz in Wien im Zuge des "Transnationalen Migrant_innenstreiks" am 1. März, bei der "20.000 Frauen"-Demonstration am 19. März sowie im Museum für zeitgenössische Kunst der Vojvodina in Novi Sad, Serbien. Weitere Präsentationen der Fahnen sowie der Einsatz der Klebebänder bei Aktionen und Veranstaltungen sind in Planung.

Privileg Sicherheit

Ein Leben in Sicherheit gilt vielen als selbstverständlich, doch wird diese in EUropa nur selten als ein Privileg einer Minderheit erkannt. Dabei ist gerade die Konstruktion von Sicherheit als vermeintlich grundlegender demokratischer Wert massiv von gesellschaftlichen, sozialen, ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen abhängig. Diese Grundvoraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Sicherheit werden manchen Gruppen zur Verfügung gestellt, anderen jedoch vorenthalten.

Die Sicherheitslage von Migrant_innen am Arbeitsmarkt wird im starken Ausmaß von Entwicklungen im Kontext des Neoliberalismus bestimmt, etwa der Verlagerung von Sicherheitsansprüchen in den Bereich der privaten und individuellen Selbstverantwortung und einer daraus resultierenden Privatisierung von Sozialleistungen. In der Öffentlichkeit wird die Gefährdung der Sicherheit insbesondere auf jene Subjekte projiziert, die im politischen Diskurs als "Eindringlinge" konstruiert werden: Asylwerber_innen, Migrant_innen, Muslim_innen, Schwarze. Entlang dieser kriminalisierenden Diskursen werden Gesetze verabschiedet, die z.B. die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden beschränken oder verunmöglichen, diese in Schubhaftgefängnisse festhalten, ohne dass sie eine Straftat verübt haben, ihnen den legalen Zugang zum Arbeitsmarkt verwehren, ihnen für Bürger_innen der Gesellschaft garantierte politische und soziale Rechte vorenthalten, in ihre Privatsphäre eindringen und diese überwachen und eine Reihe anderer diskriminierender Praktiken vorsehen.

All diese Maßnahmen nehmen nicht nur jene Menschen ins Visier, die sich bereits auf EU-Territorium befinden, sondern sind auch relevant hinsichtlich der Sicherung der EU-Grenzen gegen die "illegale" Einwanderung. Unter Berufung auf das Ziel, einen vermeintlichen Raum "der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" zu schaffen, in dem Personen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, an den Binnengrenzen der Europäischen Union nicht kontrolliert werden mit der Begründung, dass "effizientere Kontrollen an den Außengrenzen der Union […] zur Bekämpfung von Terrorismus, Schleuserkriminalität und Menschenhandel beitragen" [2], wird eine im wahrsten Sinne des Wortes ausgrenzende, diskriminierende, menschenrechtsverletzende und mörderische Sicherheitspolitik umgesetzt.

Herrschende Sicherheitsdiskurse bedeuten für Migrant_innen und Asylwerber_innen systematische Unsicherheit. Diese wird normalisiert, gesellschaftlich verankert und zugleich unsichtbar gemacht. Die im Projekt erarbeiteten Textbotschaften korrespondieren mit der prekären Sicherheitslage bzw. "Verunsicherungslage" der Angehörigen dieser Gruppen. Sie stellen jedoch die Definitionsmacht dieser Sicherheitsdiskurse infrage und entwerfen die utopische Kraft eines bewussten Protagonismus, im Kampf für Gerechtigkeit und Un/Sicherheit für alle.


Überarbeitete und gekürzte Fassung des Beitrags "Wir gehen nicht!" aus Springerin – Hefte für Gegenwartskunst, Nr. 2/2011.


Fußnoten:

[1] "Wir gehen nicht!" ist ein Projekt von maiz und Klub Zwei in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Asylwerber_innen. Das Projekt wird von den beteiligten Asylwerber_innen mitbestimmt. Gleichzeitig wissen "wir" um das Problem, dass "wir" es sind, die "beteiligen" und dies aus der Position der privilegierten Staatsbürgerin oder der Migrantin mit gesichertem Aufenthalt tun. "Gleichberechtigung" ist solange Utopie, solange eine gesellschaftliche und politische Gruppe Rechte genießt, die anderen verwehrt werden. Das Projekt wurde im Rahmen des KUPF Innovationstopfs durchgeführt und aus Mitteln der Kulturdirektion Oberösterreich und der Sozialabteilung Land Oberösterreich finanziert.

[2] Siehe http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=DOC/01/18&format=HTML&aged=1&language=DE&guiLanguage=en
 

Links:

www.maiz.at
www.klubzwei.at


Literatur:

Inci Dirim/Paul Mecheril: "Die Sprache(n) der Migrationsgesellschaft".In: Paul Mecheril/María do Mar Castro Varela/Inci Dirim/Annita Kapalka/Claus Melter: Migrationspädagogik.Weinheim/Basel: Beltz 2010.

Paulo Freire: Pedagogia do oprimido. Rio de Janeiro: Paz e Terra 1988.

María do Mar Castro Varela: "Zur Skandalisierung und Re-Politisierung eines bekannten Themas: 'Migrantinnen auf dem Arbeitsmarkt'". In: María do Mar Castro Varela/Dimitria Clayton (Hg.innen): Migration, Gender und Arbeitsmarkt. Neue Beiträge zu Frauen und Globalisierung. Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag 2003.

Rubia Salgadoist Mitbegründerin und Mitarbeiterin im Kultur- und Bildungsbereich von maiz – Autonomes Zentrum von & für Migrantinnen in Linz.