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Kolonialismus, Rassismus und Sprache

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von Susan Arndt

Als Sklaverei und Kolonialismus, die ökonomische Ausbeutung sowie die politische Unterdrückung Afrikas einer moralischen (Schein-)Legitimierung bedurften, formierte sich nicht nur der Rassismus als Rechtfertigungsideologie. Darauf aufbauend erfand Europa sein Afrika. Dabei wurde Afrika zur Negation dessen konstruiert, was sich West-Europa zu sein vorstellte bzw. wünschte. In diesem Prozess war Sprache ein wichtiges Medium zur Herstellung und Vermittlung des Legitimationsmythos, Afrika sei das homogene und unterlegene "Andere" und bedürfe daher der "Zivilisierung" durch Europa.

Dieser Ansatz manifestiert sich in der kolonialen Benennungspraxis. Ganz grundsätzlich ist zunächst einmal die Tendenz zu beschreiben, dass afrikanische Eigenbezeichnungen ignoriert wurden. Da Afrika aber als "das Andere" konstruiert wurde, weigerten sich die europäischen Okkupantinnen und Okkupanten gleichzeitig, für gegenwärtige europäische Gesellschaften gültige Begriffe auf den afrikanischen Kontext zu übertragen.

Alternativ erfanden und etablierten Weiße auf der Grundlage ihrer Hegemonie oftmals neue Begriffe. So wurde etwa für die Vielzahl von Selbstbezeichnungen für Herrscherinnen und Herrscher in afrikanischen Gesellschaften ganz pauschal der Begriff "Häuptling" eingeführt. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem Wortstamm "Haupt-" und dem Suffix "-ling", das eine verkleinernde ("Prüfling", "Lehrling"), zumeist aber eine abwertende Konnotation (Feigling, Wüstling usw.) hat. Auch "Häuptling" ist ein abwertender Begriff. U.a. suggeriert er "Primitivität", was sich auch aus gängigen visuellen Assoziationen mit dem Wort erschließen lässt. Da das Wort zudem nur mit Männern assoziiert wird, bleibt die Machtausübung von Frauen im Kontext afrikanischer Gesellschaften ausgeblendet. Oft werden durch solche Neologismen gesellschaftliche Wirklichkeiten negiert. "Buschmänner" und "Hottentotten" etwa gibt es gar nicht. In einem willkürlichen Verfahren wurden verschiedene Gesellschaften des südlichen Afrika nach fragwürdigen Kriterien unter diesen Begriffen subsumiert. "Hottentotten" bezeichnet einige, aber bei weitem nicht alle Gesellschaften, in deren Sprache "Clicks" vorkommen. Das Wort stellt dabei den Versuch der Europäerinnen und Europäer dar, diese ihnen fremde Artikulationsweise zu imitieren.

Koloniale Grenzziehungen und Rassenideologie

Andere Neologismen bauen auf der überholten Annahme auf, dass Menschen in "Rassen" unterteilt werden können. Dazu gehören etwa Termini wie "Neger", "Schwarzafrika", "Mulatte" und "Mischling". So wird eben ein Schwarzer Deutscher, nicht aber ein Kind aus einer Weißen französisch-deutschen Beziehung als "Mischling" bezeichnet. "Schwarzafrika" folgt der kolonialen Unterteilung Afrikas in einen "weißen" Norden, dem der Westen ein gewisses Maß an Kultur und Geschichte zubilligt, und einem subsaharischen Afrika bar jeder Geschichte und Kultur. Dieser Grenzziehung, die mit Rassentheorien legitimiert wird, fehlt jede Grundlage. Durch die Ausgliederung des Nordens Afrikas wird zudem unzulässig so getan, als handele es sich bei dem Rest Afrikas um eine homogene Einheit.

Wurde doch auf für den europäischen Kontext verwendete Begriffe zurückgegriffen, so handelte es sich zum einen ausschließlich um Bezeichnungen, die mit Hinblick auf diesen abwertend benutzt werden. Dazu zählen zum einem Begriffe, die eine Bedeutungsverschiebung erfuhren: "Bastard" etwa fungierte ursprünglich als Bezeichnung für ein "uneheliches Kind" aus einer "nicht-standesgemäßen Liaison" (Adliger – Dienstmädchen). Im kolonialen Kontext wurde der Begriff auf Kinder aus Beziehungen von Schwarzen und Weißen übertragen. Dabei wurden u.a. auch Konnotationen wie "nicht-standesgemäß" und "illegitim" übertragen. Zudem wurde so ein assoziativer Bezug zum Tier- und Pflanzenreich hergestellt, wo "Bastard" mit Unfruchtbarkeit assoziiert werden kann.

Zum anderen wurden auch Begriffe herangezogen, die im deutschen Sprachgebrauch nur in Bezug auf vergangene Zeiten Verwendung finden und Konnotationen von "Primitivität" und "Barbarei" tragen. So bezeichneten Weiße etwa in Anlehnung an die historisierende Bezeichnung "germanische Stämme" Organisationsformen in Afrika pauschal als "Stämme". Damit wurden Gesellschaften in Afrika, wenn überhaupt, als höchstens mit einer früheren Epoche europäischer Geschichte vergleichbar gemacht. Zudem negierten sie die Diversität von Gesellschaften in Afrika. Die Ogoni, die heute ca. 800.000 Menschen zählen, haben wenig mit der islamisch geprägten Hausa-Gesellschaft gemeinsam, die bis zur Gründung von Nigeria monarchisch geprägt war und heute (über Landesgrenzen hinweg) mehr als 50 Millionen Menschen umfasst. Außerdem wird durch das Operieren mit dem Begriff "Stamm" so getan, als ließen sich klare geographische und kulturelle Grenzen zwischen einzelnen afrikanischen Gesellschaften ziehen. Schließlich wird durch den Begriff eine wertende Gegenüberstellung zwischen "natürlich" wachsenden "Stämmen" und dem auf einem politischen Vertrag basierenden "Staat" als höherer Stufe der menschlichen Evolution impliziert. Dabei wird negiert, dass sich auch nicht-staatlich organisierte Gesellschaften auf komplexe politische Strukturen gründen.

Konzeptuelle Grundlagen: "Natur" versus "Kultur"

Ein zentraler Baustein der Konstruktion von Afrika als unterlegener Gegenpol zu Europa durch Neologismen sowie Bedeutungserweiterungen und -übertragungen ist die begriffliche Herstellung eines hierarchischen Gegensatzes zwischen "Natur" und "Kultur". So wurde Afrika über Begriffe wie "Buschmänner" und "Naturvölker" als "Natur" konstruiert. Dabei wird häufig in einem rassistischen Verfahren, auf das bereits Frantz Fanon [1] hingewiesen hat, über eine ausgeprägte Tiermetaphorik eine Nähe zwischen Schwarzen und Tieren unterstellt. "Mulatte" etwa geht auf Portugiesisch "mulo" (= "Maulesel, Maultier") zurück. Dieses Tier wird zu den "Bastarden" gezählt. In der Tier- und Pflanzenwelt gelten diese als nicht fortpflanzungsfähig. Eben dies wurde auch Kindern aus Beziehungen von Schwarzen und Weißen unterstellt.

Im Kontrast zu dieser Konstruktion von Afrika als "Natur" und Schwarzen als "Bindeglied zwischen Mensch und Tier" wird Europa als "Kultur" konstruiert. Dabei wird Europa nicht nur als überlegener Gegenpol dargestellt, sondern als "Norm" gesetzt. Das vollzieht sich in einem eher impliziten Verfahren. Wenn zum Beispiel "Naturvölker" im Gegensatz zu "Völkern", "Naturreligionen" zu Religionen und "Buschmänner" zu Männern bzw. Menschen stehen, wird ein spezifizierender Unterbegriff einem generischen Oberbegriff gegenübergestellt. Dieses Prinzip, das sich beispielsweise auch im aktuellen Begriff "Bananenrepublik" findet, weist darauf hin, dass sich koloniale Benennungen auch über eine Strategie der Asymmetrie vollziehen; d.h. in der Regel wird das, was aus Weißer westlicher Sicht als abweichend und "anders" konstruiert wurde, benannt, während die vermeintliche Normalität Weißer Kulturen nicht weiter spezifiziert, sondern durch den Oberbegriff bezeichnet wird. Dadurch vollzieht sich die Normsetzung unsichtbar und ist somit schwieriger zu hinterfragen, als wenn sie explizit gemacht werden würde.

Zudem basieren viele der Afrika betreffenden Neologismen und Bedeutungsübertragungen auf Konzepten von Chaos, Unordnung und Regellosigkeit. Diese Konnotationen zeigen sich etwa in Begriffen wie "Busch" und "Dschungel". Beide Begriffe bezeichnen nicht nur Vegetationszonen, sondern werden auch auf Kulturen und Menschen übertragen. In der deutschen Wahrnehmung kommen Afrikanerinnen und Afrikaner aus dem "Busch". Dabei wird ignoriert, dass Dörfer und Städte immer in Naturräume hineingebaut werden und dennoch weder die Bewohner einer nigerianischen oder einer deutschen Metropole, noch eines deutschen oder eines nigerianischen Dorfes "im Busch" leben. Zudem ist problematisch, dass in der Übertragung von "Busch" auf Kulturen und Menschen auch die abwertenden Konnotationen wie etwa "angsteinflößend" und "ungeordnet" mit transferiert werden.

Kolonialdeutsch und moderne Wörterbücher

Die deutsche Afrikaterminologie zeigt exemplarisch, dass sich der koloniale Afrikadiskurs nachhaltig in die deutsche Gesellschaft eingeschrieben hat. Viele der im Kontext der europäischen Expansionsbewegungen nach Afrika geprägten Begriffe sind bis heute gebräuchlich. Oft werden sie sogar mit dem Habitus gebraucht, es sei legitim (weil historisch gewachsen) oder "nicht so schlimm", diese Wörter zu verwenden. Selbst für die wenigen Wörter, wie etwa "Neger", für die sich zunehmend das Wissen durchsetzt, dass sie rassistisch konnotiert sind, lässt sich beobachten, dass sie in Komposita (wie etwa "Negerkuss") hartnäckig weiterleben und auch in Wörterbüchern nur verhalten kommentiert werden. In der Regel heißt es heute unter dem Eintrag "Neger", wie etwa in einer Ausgabe des Duden: Deutsche Rechtschreibung: "wird häufig als abwertend empfunden". [2] Durch diese Formulierung wird suggeriert, dass das Wort nicht per se, sondern nur in der Empfindung einiger weniger diskriminierend sei. Bei anderen Begriffen wird vermerkt, dass der Begriff "veraltet" sei. Das ist etwa bei "Mohr" der Fall – obgleich er zumindest in der Lebensmittel- und Apothekenbranche allgegenwärtig ist. Die meisten Begriffe werden aber erst gar nicht als "abwertend" oder "veraltet" markiert. So heißt es im Duden: Die deutsche Rechtschreibung etwa unter Häuptling "Stammesführer, Vorsteher eines Dorfes bei Naturvölkern" [3] und im Duden wie auch im Deutschen Wörterbuch der Brockhaus-Ausgabe unter "Hottentotten": "Angehöriger eines Mischvolkes in Südwestafrika". [4]

Gesellschaftliche Aufarbeitung von Kolonialismus und Sprachgebrauch

Im Sprachgebrauch schlagen sich nicht nur Werte und Hierarchien einer Gesellschaft nieder; zugleich werden diese auch durch Sprache verfestigt und getragen. Deswegen ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass mit dem Gebrauch von Sprache immer auch gehandelt wird und Konzeptualisierungen, die durch den Gebrauch bestimmter Begriffe hervorgerufen werden, zu reflektieren. Auf dieser Grundlage kann dann auf diese Begriffe verzichtet und auf alternative Termini zurückgegriffen werden. Eine geeignete Strategie ist das Verwenden von Wörtern, die auch für den Weißen westlichen Kontext gegenwärtig gebräuchlich sind. Ist dies nicht möglich oder sinnvoll, kann auf Selbstbenennungen zurückgegriffen werden. Das kann sich zum einen über bereits existierende Begriffe, etwa Bezeichnungen für die politischen Machthaberinnen und Machthaber einzelner afrikanischer Gesellschaften (z.B.: Igbo: eze) als Ersatz für "Häuptling" realisieren.

Zum anderen gibt es aber auch Benennungspraktiken, die im Kontext politischer Emanzipationsbewegungen und Diskussionen konzipiert werden – auch um auf Rassismus aufmerksam zu machen und sich als gesellschaftliche Gruppe zu konstituieren und zu markieren. Um sprachlich darauf zu reagieren, dass Schwarze im Sinne von Simone de Beauvoir erst durch rassistische Sozialisationsmuster zu Schwarzen gemacht werden, hat sich etwa – in Anlehnung an Debatten in Nordamerika, Frankreich und Großbritannien – in der Bundesrepublik Deutschland zunächst "Afro-Deutsche und später dann "Schwarze Deutsche" sowie auch "Schwarze" und "People of Color" als Selbstbezeichnungen etabliert.

Das Ersetzen rassistischer Begriffe resultiert keineswegs automatisch aus dem Verschwinden der Auffassungen, die diese Begriffe produziert haben bzw. produzieren. Wichtig ist daher, dass sich das Vermeiden und Ersetzen von Begrifflichkeiten im Kontext einer intensiven Auseinandersetzung mit den durch diesen ausgedrückten Verhältnissen, Diskriminierungen und Ideologien vollzieht. Folgerichtig erscheint es sinnvoll, die Diskussion der deutschen Afrikaterminologie in eine allgemeine öffentliche Aufarbeitungsdebatte über den Kolonialismus einzubetten.


Die Originalfassung dieses Beitrags erschien erstmals im Online-Dossier "Afrikanische Diaspora", herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung, im Juli 2004.


Fußnoten:

[1] Vgl.: Frantz Fanon: Die Verdammten dieser Erde. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1981. S. 35 (Erstveröffentlichung auf Französisch 1961).

[2] Duden: Die deutsche Rechtschreibung, Mannheim 2001, S. 685.

[3] Brockhaus: Die Enzyklopädie: Deutsches Wörterbuch I-III (Bd. 28-30) 1999, Bd. 29, S. 1692.

[4] Duden: Die deutsche Rechtschreibung, Mannheim 2001, S. 481; Brockhaus: Die Enzyklopädie: Deutsches Wörterbuch I-III (Bd. 28–30) 1999, Bd. 29, S. 1874.

Susan Arndtstudierte Anglistik, Germanistik und Afrikawissenschaften in Berlin und London. Sie ist Professorin für Englische Literaturwissenschaft in Bayreuth, wo sie schwerpunktmäßig zu Konstruktionen von Weißsein in der britischen Literatur, Rassismus in der deutschen Sprache und afrikanisch-diasporischen Literaturen arbeitet. Zuletzt erschien "Die 101 wichtigsten Fragen. Rassismus", München: C.H. Beck 2012.