"Homestories" – Ein Comic über die koreanische Diaspora in Wien
Mit geschätzt sieben Millionen Menschen zählen Kyopos ("Auslandskoreaner*innen") zu den weltweit größten diasporischen Gemeinschaften. Dennoch ist die Geschichte der koreanischen Migration nach Österreich nur den allerwenigsten bekannt.
Am 27. August 1972 landeten fünfzig Koreanerinnen am Flughafen Wien-Schwechat: Krankenschwestern und Schwesternhelferinnen, die von der Stadt Wien angeworben wurden - neben "Gastarbeiter*innen" aus u.a. Indien, den Philippinen, aber auch aus dem damaligen Jugoslawien, als an den hiesigen Spitälern ein Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal herrschte. Weitere sollten ihnen später folgen. Der Großteil dieser jungen Frauen stammte aus den südlichen Provinzen Koreas, die zumeist ärmer waren als der Norden.
Kyopo Style
Während in den 1960er-Jahren in Ländern wie Österreich, Deutschland und der Schweiz die Nachfrage an Krankenschwestern wuchs, war Südkorea unter der Diktatur von Park Chung-Hee daran interessiert, Arbeitskräfte ins Ausland zu exportieren. Doch nicht nur der ökonomische Druck - Südkorea zählte damals zu den ärmsten Ländern der Welt, zerrüttet von jahrzehntelanger japanischer Kolonialherrschaft und vom Koreakrieg -, sondern auch die Lust auf Abenteuer, Freiheitsversprechen und die Sehnsucht nach Neuem ließen viele Frauen den Entschluss fassen, Richtung Europa aufzubrechen. Die meisten von ihnen unterstützten mit dem verdienten Geld ihre Familien im Herkunftsland und brachten so dem südkoreanischen Staat wertvolle Devisen.
Vor den 1970er-Jahren gab es in Wien nur wenige koreanische Studierende, die über Stipendien kirchlicher Verbände hierher gelangten. Parallel migrierten einige Koreaner*innen von Deutschland, wo die organisierte Anwerbung von Krankenschwestern bereits in den 1960ern begann, weiter nach Österreich. Wie auch die hiesige Mehrheitsgesellschaft glaubten die meisten dieser Frauen an eine baldige Rückkehr nach Südkorea. Heute verbringen viele von ihnen hier ihren Lebensabend und bilden den Kern der koreanischen Community in Österreich.
Spurensuche
Während die Geschichte der koreanischen Migration nach Deutschland ansatzweise aufgearbeitet wird, insbesondere von den Kindern der ehemaligen "Gastarbeiter*innen", der sogenannten Zweiten Generation, ist jene nach Österreich bislang kaum dokumentiert. "Homestories" folgt den Spuren dieser kaum wahrgenommenen Migrationsgeschichte.
Neben Interviews, die ich mit ehemaligen koreanischen Krankenschwestern geführt habe, war der Band "zuhause" von Sun-ju Choi und Heike Berner, der bereits 2006 erschienen ist und die Geschichte(n) koreanischer Krankenschwestern in Deutschland protokolliert, eine wichtige Informations- und Inspirationsquelle. Nicht zuletzt weist die koreanische Migration nach Deutschland und Österreich zahlreiche Ähnlichkeiten und strukturelle Verknüpfungen auf: So wurde etwa die Anwerbung der Krankenschwestern und Schwesternhelferinnen nach Österreich über die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) abgewickelt.
Generationenverhältnisse in der Diaspora
Aber nicht nur die Geschichte dieser ersten Generation, der Ilsae, ist in Österreich weitgehend unsichtbar. Auch die Perspektiven ihrer Kinder, der postmigrantischen bzw. Zweiten Generation (Isae) - zu der ich selbst gehöre -, existieren in der öffentlichen Wahrnehmung nicht. Im Gegensatz zu ihren Eltern erfahren Isae schon von klein auf, was es bedeutet, in einer weiß-zentrierten Mehrheitsgesellschaft als "fremd" markiert zu werden und entwickeln früh alternative Modelle von Identität und Zugehörigkeit jenseits nationaler Kategorien.
Als semidokumentarischer, "autofiktionaler" Comic beschäftigt sich "Homestories" mit Fragen wie: Was bedeutet es, als asiatisches Kind im Wien der 1970er- und 1980er-Jahre groß zu werden? Und wie pflanzen sich die Erinnerung an und das Wissen um Migration in uns als nachfolgender Generation fort?
"Homestories" war der Startpunkt einer Recherche der eigenen Vergangenheit: Für den Comic habe ich auf meine Familienhistorie und Biografie zurückgegriffen, mich aber ebenso von den Erfahrungen und Geschichten anderer Ilsae und Isae anregen lassen. Der Entwicklungsprozess, vom Durchforsten des persönlichen Familienarchivs und vom Eintauchen in die biografischen Erzählungen von Community-Mitgliedern über die Arbeit am Skript und an den Storyboards, die in Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen Tine Fetz, Patu, Moshtari Hilal und Sunanda Mesquita entstanden sind, bis hin zum fertigen Comic war eine ebenso schmerzvolle wie empowernde Auseinandersetzung mit Selbst- und Fremdbildern. Die Erkenntnis, wie sehr sich Vergangenheit und Gegenwart ineinander spiegeln, hat aber auch das Verständnis gestärkt: Die Geschichte unserer Elterngeneration ist auch Teil unserer Geschichte als Isae.
"Homestories. Koreanische Diaspora in Wien." Heft 1 & 2, 2017, Eigenverlag (Wien). Bestellbar unter homestoriesvienna@gmail.com, weitere Infos auf fbhomestories .