Du hast Rechte – auch ohne Papiere!
"Ich dachte, ohne Papiere hätte ich keine Chance. Als sie mir sagten, dass ich auch ohne Papiere mein Recht einfordern kann, war das für mich ganz neu. Ich dachte immer, ohne Papiere geht gar nichts. Anfangs war ich sehr nervös. Jetzt nicht mehr, ich bin viel mutiger geworden. Jetzt sage ich, ich verlange nur, was mir gehört. Ich erwarte nicht, dass mir jemand etwas schenkt. Ich verlange nur, was mir zusteht. Es ist der Lohn für meine Arbeit, die ich bereits geleistet habe." (Ana S.)
In Deutschland, wo Schätzungen zufolge derzeit bis zu einer Million Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus leben, gibt es mittlerweile vier gewerkschaftlich verankerte Anlaufstellen für undokumentierte Arbeiter_innen. "Du hast Rechte – auch ohne Papiere!", lautet einer der Slogans, mit denen die Beratungsstellen auf sich aufmerksam machen. Die erste wurde unter dem Namen "MigrAr – Migration und Arbeit" am 1. Mai 2008 in Hamburg gegründet und ist im "Fachbereich für Besondere Dienstleistungen" der Vereinigten Dienstleitungsgewerkschaft ver.di angesiedelt. Innerhalb kurzer Zeit gründeten sich in der Folge der "Arbeitskreis undokumentiert Arbeiten" in Berlin, "'Sans Papiers' – Beratung bei Problemen in der Arbeit" in München sowie "MigrAr (Migration und Arbeit) – die gewerkschaftliche Anlaufstelle für MigrantInnen in prekären Arbeitsverhältnissen, mit und ohne Papiere" in Frankfurt am Main.
Undokumentiert Arbeiten in Deutschland
Die wirtschaftlichen Bereiche, in denen undokumentierte Arbeit nachgefragt wird, sind vielfältig. Arbeitsmöglichkeiten für Personen ohne Zugang zum regulären Arbeitsmarkt finden sich etwa in privaten Haushalten, in denen als Reinigungs- oder Pflegekraft gearbeitet wird, in privatwirtschaftlichen Dienstleistungsbranchen wie der Gastronomie und der Hotellerie, aber auch in der Industrie. Daneben sind vor allem das Baugewerbe, die Sexindustrie, die Landwirtschaft und in Hamburg auch der Hafen von Bedeutung. Unter Ausnutzung der prekären rechtlichen Situation der Arbeiter_innen werden in diesen Arbeitsverhältnissen häufig soziale, tarifliche und rechtliche Standards weit unterschritten. Aus den Bereichen Privathaushalt und Industrie stammen auch die beiden bekannt gewordenen Fälle, in denen von Betroffenen mit Unterstützung einer der Beratungsstellen ein nicht bzw. nicht zur Gänze ausbezahlter Lohn vor dem Arbeitsgericht eingeklagt wurde.
Was die Entgelt- und Arbeitsbedingungen in diesen Branchen anbelangt, sind Arbeitslöhne zwischen zwei und drei Euro die Stunde üblich. Überstunden werden vielfach nicht ausbezahlt und überlange Arbeitszeiten kommen häufig vor. Prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen tragen zusätzlich zur Überausbeutbarkeit der Arbeiter_innen bei. Besonders wenn der Aufenthaltsstatus nicht geregelt ist und Abschiebung eine allgegenwärtige Gefahr darstellt, sind die Beschäftigten erpressbar. Die Vorteile für Unternehmer_innen liegen auf der Hand: Die Löhne sind niedriger, die Gewinnchancen höher und der Arbeitsbedarf kann unkompliziert an gegebene Produktionsschwankungen angepasst werden. Für Haushalte sind Reinigungs- und Pflegedienste zu niedrigen Preisen zu haben und so zum Teil auch für Einkommensschichten erschwinglich, die sie sich sonst nicht leisten könnten. Die grundsätzliche Problemlage unterscheidet sich nicht von jener in Österreich oder anderen europäischen Ländern. Unterschiedlich ist jedoch, wie die Gewerkschaften mit dieser Situation umgehen.
"ver.di vertritt alle ArbeitnehmerInnen"
Die Gewerkschaft ver.di berät und unterstützt Menschen ohne Papiere dabei, ihre Rechte in der Arbeitswelt durchzusetzen. Eine Klage vor Gericht ist oftmals gar nicht mehr notwendig bzw. erst der letzte Schritt, der zur Durchsetzung der Rechte beschritten wird. Oft ist bereits ein Schreiben mit dem offiziellen Briefkopf von ver.di ein Schritt, der zu deutlichen Verbesserungen beiträgt. "Sie wissen, dass sie sich strafbar gemacht haben. Wenn sie dann ein Schreiben von ver.di bekommen, sind sie in der Regel eingeschüchtert und zahlen", berichtet Rechtsanwalt Bilal Alkatout, der für die Beratungsstelle für Sans-Papiers in München tätig ist und bereits zuvor Erfahrungen mit der Diskriminierung von Sans-Papiers im Rahmen ehrenamtlicher Beratungsstellen gemacht hat. Personen ohne gesicherten Aufenthalt haben die Möglichkeit, Gewerkschaftsmitglied zu werden und ver.di beizutreten – wenn kein Bankkonto besteht, ist die Möglichkeit der Bareinzahlung gegeben – und somit auch den Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen bzw. Kostenübernahme zu beantragen.
Neben arbeitsrechtlicher Beratung rund um Themen des Lohnbetrugs in seinen unterschiedlichen Formen (Unterbezahlung, Bezahlung unter dem Tarifvertrag oder unter dem vereinbarten Stundenlohn, Nichtausbezahlung ganzer Monatsgehälter oder von Überstunden, Teilauszahlungen in Form von Sachleistungen) sind auch sozialrechtliche Aspekte ein zentraler Bestandteil der Beratungstätigkeit. Mehrsprachige Flyer und Videos informieren über Tipps und Tricks gegen Lohnbetrug ("Was du tun kannst, um Lohnbetrug zu verhindern"), über Möglichkeiten des Versicherungsschutzes ("Gesetzlicher Unfallversicherungsschutz für Haushaltshilfen – auch für illegal Beschäftigte") sowie über Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaubsansprüche, um ein paar Beispiele zu nennen. In Österreich gibt es innerhalb des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) oder seiner Teilgewerkschaften bislang keine vergleichbaren Beratungsstellen.
Netzwerk und Kooperationen
Die spezifische Problemlage prekär Beschäftigter ohne Aufenthaltstitel ist niemals auf den Lebensaspekt der Arbeit beschränkt, sondern erstreckt sich ebenso auf Schwierigkeiten mit gesundheitlicher Versorgung, auf Wohnungsprobleme sowie auf die Gefahr der Abschiebung und somit auch auf aufenthaltsrechtliche Bereiche. Sozial- und arbeitsrechtliche Unterstützung kann nicht unter Ausblendung dieser Lebensbereiche erfolgen. Die Beratungsstellen sind deshalb vielfach Teil von Netzwerken, die sich um solche Belange der Betroffenen kümmern und für die Durchsetzung politischer Rechte kämpfen. Kooperationen bestehen mit NGOs, Vereinen oder Initiativen, die in gesundheitlichen Bereichen tätig sind (z.B. "Ärzte der Welt – Medizinische Beratungsstelle für Flüchtlinge und MigrantInnen"). Außerdem arbeiten die Beratungsstellen mit Organisationen, die Rechtsberatung in Aufenthaltsfragen durchführen, mit migrantischen Organisationen und Initiativen sowie mit unterschiedlichen antirassistischen Gruppen zusammen.
Sinnbildlich für diese verschränkte Handlungsstrategie ist auch die Gründungsgeschichte der ersten Beratungsstelle in Hamburg selbst. Die Idee zur Gründung einer gewerkschaftlichen Beratungsstelle entstand innerhalb des Arbeitskreises "Undokumentiert Arbeiten", einem breiten Netzwerk unterschiedlicher Initiativen, die regelmäßig auch mit arbeitsrechtlichen Fragen konfrontiert waren. In einigen der Beratungsstellen erfolgt auch die Beratung durch ehrenamtliche Aktivist_innen unterschiedlicher antirassistischer und migrantischer Gruppen mit Unterstützung von ver.di-Anwält_innen.
Zwei Fälle vor dem Arbeitsgericht
Mittlerweile gibt es zwei öffentlich dokumentierte Fälle, in denen wegen Lohnbetrug Klage beim Arbeitsgericht eingereicht wurde. Ana S. beschloss nach drei Jahren unterbezahlter Hausarbeit bei einer Hamburger Familie, bei der sie als Au-Pair beschäftigt war, einen angemessenen Arbeitslohn vor Gericht einzuklagen. Die Geschichte ihres Arbeitskampfs und die erfolgte Zusammenarbeit zwischen Ana S., verschiedenen antirassistischen Unterstützungsgruppen sowie der Beratungsstelle "MigrAr" Hamburg wurden von der Dokumentarfilmerin Anne Frisius in Zusammenarbeit mit Nadja Damm und Mónica Orjeda begleitet und unter dem Titel "Mit einem Lächeln auf den Lippen. Eine Haushälterin ohne Papiere zieht vors Arbeitsgericht" als Film veröffentlicht. Ihr Prozess endete mit einem Vergleich und der Auszahlung eines Teiles des ausstehenden Lohns.
Zoran G. hat ebenfalls seinen Lohn vor dem Arbeitsgericht eingeklagt. Er war ab 2004 zuerst über eine Leiharbeitsfirma als Schweißer beschäftigt und wurde dann von einer Metallverarbeitungsfirma übernommen. Er hatte weder legale Aufenthalts- noch Arbeitspapiere. Bis zum Jahr 2008 blieb der Arbeitgeber rund 50.000 Euro des Lohns schuldig. Nach einem Arbeitsunfall verwehrte ihm sein Chef medizinische Unterstützung, da er Angst vor der Aufdeckung des undokumentierten Arbeitsverhältnisses hatte. Unterstützt von "MigrAr" und DGB-Anwält_innen kam es zum Prozess vor dem Arbeitsgericht, der schließlich nach mehreren Verhandlungstagen mit einem Vergleich – der Arbeitgeber zahlte 25.500 Euro des ausständigen Lohns – endete.
ver.di vertritt alle Arbeitnehmer_innen?
"ver.di unterstützt alle ArbeitnehmerInnen", ist auf dem Info-Folder einer Beratungsstelle zu lesen. Zugleich fielen deutsche Gewerkschaften noch vor wenigen Jahren durch die Einrichtung sogenannter "Schwarzarbeitertelefone" auf, die zur Denunziation undokumentierter Arbeiter_innen dienen sollten. Diese beiden Einrichtungen stehen symbolisch für das Spannungsfeld, in dem sich die gewerkschaftliche Politik der deutschen Gewerkschaften bewegt: solidarische Unterstützungs- und Beratungstätigkeit, die nicht zwischen Arbeitnehmer_innen unterschiedlicher Staatsbürger_innenschaft unterscheidet, auf der einen Seite und protektionistische – bis hin zu offen oder verdeckt rassistischen – Praktiken auf der anderen Seite. Die Einsicht, dass Gewerkschaften für alle Arbeiter_innen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, da zu sein haben, ist auch innerhalb von ver.di nicht unwidersprochen.
Ein vergleichbares Spannungsfeld findet sich auch innerhalb der österreichischen Gewerkschaftspolitik. Allerdings ist hier der Fächer auf Seiten der protektionistischen Maßnahmen ("Schutz des österreichischen Arbeitsmarktes für österreichische Arbeitskräfte") weiter gespannt und lässt bislang auf der anderen Seite wenig Spielräume. Die in der Gewerkschaft GPA-djp bestehende Interessengemeinschaft "work@migration" ist hier ein erster Ansatz. Sie macht in Bezug auf das weite Themenfeld "Arbeit und Migration" zwar wichtige Arbeit, hat aber kaum Ressourcen und kommt daher über eine Feigenblattfunktion oftmals nicht hinaus.
Dieser Text ist die Langfassung des gleichnamigen Beitrags in "MALMOE", Ausgabe #52.