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Burnout - Ausblendung, Herrschaftsdimensionen und emanzipatorische Perspektiven für die Soziale Arbeit

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von Ariane Brenssell

Wenn von Ängsten, Angststörungen und Depressionen die Rede ist, dann sind das Begriffe aus der Psychiatrie oder gar psychiatrische Diagnosen. Hinter diesen Diagnosen stehen eine Reihe von krisenhaften Gefühlen des Verlustes, der Trauer, der Hoffnungslosigkeit, der Verzweiflung und der Ohnmacht, Gefühle der Wertlosigkeit und des Versagens. Sie entstehen zu Recht, wenn wir die politisch-ökonomischen Veränderungen in den Blick nehmen. Denn Allmacht, Erfolg oder auch nur ein existenzsicherndes Einkommen kann es nicht für alle geben. Wenn dem so ist, dann hat das Denken in psychiatrischen Begriffen und in der Sprache einer psychiatrischen Klassifikation eine fatale Konsequenz: Es hält einen gesellschaftlichen Normalzustand aufrecht, indem es aus den alltäglichen Widersprüchen, an denen Menschen verzweifeln, das Scheitern einzelner und Krankheiten wie Depressionen macht. Dies ist eine Kombination aus Individualisierung und Pathologisierung gesellschaftlicher Probleme. Strukturelle Probleme, als individuelle Not erfahren, wird - z.B. - als Depression artikuliert, und diese kann dann, losgelöst von einem Blick auf eine krankmachende gesellschaftliche Realität, individuell behandelt werden. Damit werden strukturelle gesellschaftliche Probleme abgeschoben auf die Einzelnen und die Krankenkassen, aufs Terrain der Medizin.

Statistiken der Krankenkassen legen nahe, dass die psychischen Krisen in der Sozialen Arbeit besonders hoch sind: Die Fehlzeiten aufgrund psychischer Störungen sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die häufigste Einzeldiagnose ist die Depression. Viele Publikationen zu Burnout in der Sozialen Arbeit setzen - ähnlich wie der Mediendiskurs auch - an der individuellen und an einer eher klinischen Ebene an, sie suchen nach der Klärung von Symptomen, nach Instrumenten zur Erfassung von Burnout und Fragen nach Möglichkeiten der Prävention. Diese Perspektive mündet zumeist nicht in einer Analyse von Zusammenhängen mit Herrschaftsmechanismen, sondern in der Frage nach besseren Bewältigungsstrategien, etwa durch Prävention, Supervision, Beratung: "Was können Sie selbst denn tun, damit es Ihnen gut geht" [1].

Das Forschungsprojekt "Riskante Arbeitswelt im Spiegel der Supervision" [2]hingegen will öffentlich Stellung beziehen zu Risiken, die durch rasante ökonomische Umbrüche, neue betriebswirtschaftliche Steuerungsmodelle sowie die Teilprivatisierung des öffentlichen Sektors entstanden sind (ebd.: 77): "Eine der gewichtigsten Ursachen, die für die psychischen Erkrankungen genannt werden, sind die Arbeitsbedingungen".

Die Ökonomisierung führt zu steigendem Effizienzdruck, der auch bei denen zu Überforderung führt, die sich dadurch zunächst größere Leistungsgerechtigkeit versprachen (ebd.: 80). Die generelle Beschleunigung führt zur schnelleren Eskalation von Konflikten: "Der Weg vom Partner zum Gegner und dann zum Feind wird kürzer" (ebd.: 81). Kollegiale Konflikte nehmen zu. Verwaltungsstellen in Organisationen vermehren sich, es kostet die Beschäftigten zunehmend und unangemessen viel Zeit, um ihre Dokumentations- und Evaluationspflichten zu erfüllen, was auf Kosten der Arbeitsqualität geht. Den Beschäftigten werden Aufgaben, Befugnisse und Verantwortlichkeiten auferlegt, für deren Ausführung sie weder geeignete Qualifikationen noch entsprechende Mittel und Ressourcen zur Verfügung haben[3]. Von den Beschäftigten wird gefordert, dass sie sich betriebswirtschaftliche Methoden und Ausdrucksweisen aneignen und diese übernehmen, was Konsequenzen für die Fachlichkeit der Arbeit hat: "Um unter den gegebenen Bedingungen und Anforderungen die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllen zu können, ist es notwendig, dass die Beschäftigten sukzessive professionelle Standards absenken. Im Non-Profit-Bereich wird dieser Umstand besonders an einer Fokusverschiebung deutlich, die den Schwerpunkt der Arbeit vom eigentlichen professionellen Gegenstand (i.d.R. Klient, Patient, Schüler etc.) auf die Erhaltung der ökonomischen Überlebensfähigkeit der Organisation verlagert. Dies bedeutet, dass die Betreuung der jeweiligen Klientel den ökonomischen Interessen der Organisation tendenziell untergeordnet wird. Diese Vorgehensweise zeigt sich zum einen an der Orientierung, kurzfristig und kostengünstig Ziele zu erreichen, anstatt eine prozesshafte Betreuung des jeweiligen Klientels zu priorisieren. [...] Zusätzlich ergibt sich allein aus der quantitativen Zunahme der Arbeitsaufgaben ein zeitliches Problem. Der zeitliche Mehraufwand ermöglicht immer weniger die Aufrechterhaltung der professionellen Bearbeitung eines Sachverhaltes nach bisher gültigen Standards" (ebd.: 13). Die Studie zeigt, dass knapp 60% der befragten Supervisoren das Aushöhlen der professionellen Standards in Organisationen als ein zunehmendes Problem erfahren haben (ebd.: 14): "Die steigende Arbeitsverdichtung, Zeit- und Kostendruck, Standardisierung, Unsicherheit, Kurzfristigkeit und Geschwindigkeit schaffen für Beschäftigte ein Arbeitsumfeld, in dem es tendenziell immer schwieriger wird, bisher gültige professionelle Standards aufrecht zu erhalten" (ebd.: 17). Damit kann auch die Sinngebung in der Arbeit deutlich in Frage stehen.

Weitere Widersprüche entfalten sich durch die Entgrenzung und Subjektivierung der Arbeit, die in einer Kombination aus quantitativer Überlastung mit steigenden Anforderungen, der Ungewissheit über eine ausreichende Arbeitsleistung (unklare Grenzen), der Anforderung, die gesamte Person mit höchstem Einsatz und Commitment einzusetzen, besteht. Dies wird zudem durch Überwachungen und Berichtspflichten konterkariert:
"Eine größere Widersprüchlichkeit der Anforderungen kann man kaum aufbauen: Die Beschäftigten sollen selbständig, innovativ und mitdenkend verantwortlich [...] sein; gleichzeitig werden sie kleinlichsten Controllings, Benchmarks und massiven Erfolgskonkurrenzen zwischen Kolleg/Innen unterworfen. Dass so etwas Mitarbeiter/innen auf Dauer ausbrennt, ist gut nachvollziehbar“ [4].. Dieses Engagement wird von den Beschäftigten verbunden mit der Hoffnung auf eine erfüllte Tätigkeit und soziale Anerkennung, die aber oft enttäuscht wird: "Man gibt ‚alles’, bekommt aber wenig zurück" (ebd., 55).

Diebäcker u.a. spitzen diese Entwicklungen in der Sozialen Arbeit als eine Deprofessionalisierung und eine Depolitisierung der Sozialen Arbeit zu. Die Depolitisierung der Sozialen Arbeit resultiert aus einem Verlust von fachlichen Möglichkeiten und aus Technokratisierungstendenzen, die zu einem Anstieg von verwaltenden, selektiven und ausschließenden Tätigkeiten [5]führt. Diese fördert auch die Ausbildung von Hierarchieebenen. Die Prozesse der Hierarchisierung, des Controllings, der Quantifizierung und Messbarmachung sowie der Bürokratisierung und Standardisierung erschweren die Vermittlung von Kriterien, die jenseits der vorgegebenen "Standards" liegen und gehen strukturell auf Kosten der Fachlichkeit. Fachliche Differenzierungen, fachliche Selbstbestimmung und fachliche Prinzipien gehen dabei verloren. Die Dokumentationspflichten – u.a. im Rahmen von Qualitätsmanagement – rauben weitere der eh schon verknappten Zeitressourcen. Für die Klientinnen, aber auch bspw. für Politisierungen und ‚networking’ gehen Zeiten verloren (ebd.: 4f.).

Erst eine Kontextualisierung und eine systematische Analyse der Zusammenhänge zwischen der politischen Ökonomie des Neoliberalismus und den Widersprüchen in den Handlungsmöglichkeiten kann gegen solche Entnennungen Position beziehen. Und erst dann - so meine These - kann die Debatte um Burnout auch emanzipatorisch gewendet werden.
Neoliberale Privatisierung hat einen Doppelcharakter, sie umfasst zum einen die Privatisierung von staatlichen Aufgaben, zum anderen wird das Soziale zur Privatsache gemacht. Analysen der Care Ökonomie - der Bereich der Ökonomie, der die Sorgearbeit umfasst - haben vielfach gezeigt, dass das rein ökonomische Menschenbild des Homo Oeconomicus nur ein Teil des Ganzen ist. Doch die aktuellen Krisenregulierungen funktionieren genau aufgrund der Verschärfung dieser Ausblendungen und Abwertungen dieser ganzen Realitäten der Sorge- und Reproduktionsarbeiten, der persönlichen Krisen und Krankheiten. Die hiermit verbundenen Kosten werden externalisiert und abgeschoben: Was zählt? Who cares?

Einen sozialen Prozess in Gang zu setzen, der solche Dynamiken zu begreifen versucht, ist ein praktisches politisches Projekt, das durch eine klinisch verhaftete Burnout-Debatte blockiert wird. Die Kritische Psychologie hat dafür den Begriff der ‚verallgemeinerten Handlungsfähigkeit’ entwickelt:
"Er verweist auf den Umstand, dass Selbstbestimmung nur über die Bestimmung der Verhältnisse möglich ist, durch welche die individuellen Lebensmöglichkeiten bestimmt sind, und dass diese Möglichkeit wiederum nur zusammen mit andren und in Abstimmung mit ihnen zu realisieren ist. In diesem Sinne ist ‚verallgemeinerte Handlungsfähigkeit’ den einzelnen Individuen nicht gegeben, sondern aufgegeben, gegen vielfältige Behinderungen zu realisieren." [6].

Begriffe wie Burnout legen die Erfahrungen der Einzelnen in die Hände von Expertinnen und deren Deutungshoheit. Soziale Selbstverständigung hingegen versucht, die Erfahrungen zurück zu erobern. Das ist ein steiniger Weg, ein Weg, der zudem noch gemacht werden muss. Es ist auch ein Weg, auf dem versucht würde, individuelle und soziale Erfahrungen in der Sozialen Arbeit wieder im Zusammenhang mit der politischen Ökonomie des Neoliberalismus zu verstehen und seine alltäglichen Reproduktionsmomente zu begreifen.
Heiner Keupp fasst in seinem Aufsatz zur Lage der Sozialpsychiatrie im Neoliberalismus drei Kritikperspektiven zusammen: Das vorherrschende neoliberale Menschenbild muss hinterfragt werden, es gilt, einen Kampf um menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu führen, die Debatte um die gesellschaftlichen Hintergründe der individualisierten Problem- und Leidenszustände der Subjekte sollte öffentlich geführt werden [7]. Diese Forderungen gehen auch an ‚uns selbst’.

Dieser Artikel ist eine stark gekürzte und leicht veränderte Wiederveröffentlichung des Artikels in Widersprüche: Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich 33 (2013), 128, S. 111-128.




Fußnoten

[1] Bauriedl, Thea 2006: Brennpunkte der Ohnmacht. In: Die Zeit vom 27.04.2006.
[2] Haubl, Rolf/Voß, G. Günter (Hrsg.) 2011: Riskante Arbeitswelt im Spiegel der Supervision. Eine Studie zu den psychosozialen Auswirkungen spätmoderner Erwerbsarbeit. Göttingen.
[3] Handrich, Christoph 2011: Professionalitat und Qualitat der Arbeit. In: Haubl, Rolf/ Voß, G. Gunter (Hrsg.): Riskante Arbeitswelt im Spiegel der Supervision. Eine Stu¬die zu den psychosozialen Auswirkungen spatmoderner Erwerbsarbeit. Gottingen, S. 11-17.
[4] Voß, Gunter G. 2011: Strukturwandel der Arbeit. In: Haubl, Rolf/Voß, Gunter G. (Hrsg): Riskante Arbeitswelt im Spiegel der Supervision. Gottingen, S. 51-67.
[5] Diebäcker, Marc/Ranftler, Judith/Strahner, Tamara/Wolfgruber, Gudrun 2009: Neo¬liberale Strategien und die Regulierung sozialer Organisationen im lokalen Staat. In: Wissenschaftliches Journal österreichischer Fachhochschul-Studiengänge Soziale Arbeit Nr. 3 und 4 (2009). Wien. URL: http://www.soziales kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/168/243.pdf
[6] Osterkamp, Ute 2013: Was heißt Aufklärung? Forum Kritische Psychologie, Heft 57/2013.
[7] Keupp, Heiner 2010: Wie zukunftstauglich ist die Sozialpsychiatrie im Globalen Netz-werkkapitalismus? Vortrag bei derJahrestagung der DGSP zum Thema "Sozialpsy¬chiatrie: Menschenrechte verwirklichen - Gesellschaft gestalten" am 11.11.2010 in Frankfurt a.M. URL: http://www.ipp-muenchen.de/texte/keupp_10_lldgspt.pdf