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Auswirkungen der Covid-19 Maßnahmen aus psychotherapeutischer Sicht

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von Zora Nikolic

Der erste Lockdown, eine für die meisten noch nie da gewesene Situation, hat bei vielen Menschen zu einer großen Verunsicherung geführt. Die Wissenschaft ist gefordert, interdisziplinär an Lösungen zu arbeiten, was allerdings durch den geringen Wissensstand und schlechte Vergleichbarkeit erschwert wird. Zusätzlich kursieren in Medien vorwiegend negative Berichte zum Corona-Virus. Die Aussagen, die die Ausweglosigkeit darlegen, verunsichern die Menschen weiter. Bereits bei der Ankündigung des ersten Lockdowns wurden Bedenken zu psychischen Auswirkungen der Krise sowie zur psychotherapeutischen Versorgung getätigt. Zu diesem Zeitpunkt war das Kontingent an Krankenkassenplätzen pro Therapeut*in allerdings stark begrenzt, woraus sich für Klient*Innen mit Finanzierungsbedarf teilweise 1-2 Jahre oder sogar längere Wartezeiten ergaben. Solche Regelungen betreffen die Bevölkerung mit geringem Einkommen, speziell Migrant*innen. Auch wenn inzwischen etwa die Sigmund Freud Ambulanz versucht, die Versorgungslücke zu füllen, gibt es dennoch ein zu geringes Angebot für Menschen mit nicht-deutscher Muttersprache eine angemessene Behandlung zu bekommen. Die Kenntnis über kulturelle Hintergründe und Sprache ist aber unabdingbar für eine Heilung. Generell ist in der Psychotherapie die Vermittlung von Vertrauen, gesetzlich festgelegter Verschwiegenheitspflicht und Sicherheitsgefühl in der zwischenmenschlichen Beziehung die Basis einer erfolgreichen Behandlung. 

Sowohl durch den ersten als auch durch den zweiten Lockdown, sowie durch das fehlende Wissen über die weitere Entwicklung der Situation, steigt das Unbehagen und die Angst um sich und die Angehörigen. In vielen Fällen kann es dabei einerseits zu akuten Belastungsreaktionen und andererseits zu Wiedererleben eines vorangegangenen Traumas. Eine Patientin berichtete mir, dass sie als Verdachtsfall galt und deshalb in Quarantäne musste. Dadurch kam es zu einer Retraumatisierung, da sie in ihrer Zeit im Frauenhaus isoliert leben musste, um Schutz vor ihrem Ex-Mann zu bekommen. Diese Isolation erlebt sie im Rahmen der verhängten Ausgangssperre erneut. Eine andere Retraumatisierung wurde durch die Hamsterkäufe verursacht, durch die es zu leergeräumten Lebensmittelgeschäften kam. Es löste eine Erinnerung an die Kriegszeit aus, insbesondere bei Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrungen aus Ländern, in denen Bürgerkriege stattfanden. 

Weitere mögliche Auswirkungen der Covid-19-Maßnahmen zeigen sich bei Familien mit Gewalttendenzen. Durch die Isolation und eine beengte Wohnsituation ist das Potenzial zu Ausschreitungen in solchen Familien erhöht. Situationsbedingt haben manche Menschen ihren Arbeitsplatz verloren, andere wiederum haben Sorgen, durch die Kurzarbeit in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Diese Lebensereignisse können zu Krisen führen und letztendlich zu Symptomatiken von Ängsten, Depressionen und Panikattacken. Personen, die zu Aggressionen neigen, sind unter derartigen Spannungen eher bereit, diese an anderen auszulassen, sowohl psychisch als auch physisch. In solchen Situationen benötigen Menschen professionelle Begleitung. Doch auch da ist es für sozio-ökonomische benachteiligte Menschen, oft Migrant*innen, schwer, sich diese Unterstützung zu holen. Wir als Bezirkspsychotherapievertreter*innen haben uns mit der Lage intensiv auseinandergesetzt, sodass eine Hotline zur Verfügung gestellt wurde, bei der sich Menschen mit verschiedenen Thematiken an Kolleg*innen wenden können. 

Migrant*innen leiden öfter an Armut und an körperlichen Gebrechen. Durch die gesetzten Maßnahmen sind sie zusätzlich betroffen, da sie mehr auf die Unterstützung der Familie angewiesen sind. Grenzschließungen führten bei manchen Familien zu zusätzlicher Belastung. Bei Todesfällen in der Familie war es nicht möglich, sich vorher zu verabschieden und oft mussten Nachbar*innen oder Fremde für die Beerdigung sorgen. Eine Zeit lang war sogar die Western Union, ein Anbieter von Auslandsüberweisungen, nicht in Betrieb und somit konnten Angehörige keine finanzielle Unterstützung leisten.   

Zusammenfassend ist feststellbar, dass es durch die Pandemie eine weltweite Betroffenheit gibt, sowohl gesundheitlich als auch ökonomisch. Gerade auch der zweite Lockdown und der Anschlag am 2. November 2020 stellt wieder eine erneute Stresssituation für die Bevölkerung dar. In den ersten Wochen berichteten Patienten über den Schock, den sie erlebten. Die einen teilten ihre Angst vor einer Wiederholung des Attentats mit, die anderen die gestiegene Angst einer Stigmatisierung aufgrund ihrer Herkunft und Religion. In beiden Fällen war die Sorge um die eigene Sicherheit und die der nahestehenden Personen im Vordergrund.

Solche Ereignisse können auch einen gravierenden Einschnitt in die Lebensqualität jedes Individuums haben. Aufgrund dessen haben die österreichischen Gesundheitskrankenkassen einen freien Zugang zur Psychotherapie ermöglicht. Es wäre wünschenswert, diese Regelung auch für die Zukunft beizubehalten um allen den Zugang dazu zu erleichtern. Eine psychotherapeutische Beratung/Behandlung ist nämlich nicht nur für psychische Störungen und Krisen empfehlenswert sondern auch, zur Erhaltung der psychischen Gesundheit, prophylaktisch ratsam. An dieser Stelle wäre es sinnvoll, ein Bewusstsein dafür zu schaffen.

Zora Nikolicist systemische Familientherapeutin in eigener Praxis und Bezirkspsychotherapievertreterin. Sie beschäftigt sich seit 20 Jahren mit den Themen Migration, Trauma und deren Folgen. An der Zahnuniversitätsklinik Wien beschäftigte sie sich mit Strategien zur Reduktion der Angst vor dem Zahnarzt. Während ihrer Forschungstätigkeit an der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien widmete sie sich unter anderem ebenfalls dem Schwerpunktthema Migration und Psychotherapie.