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Repräsentationen fremder Männlichkeit und die restriktive Bearbeitung der "Flüchtlingskrise"

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von Paul Scheibelhofer

Als nach den steigenden Todeszahlen von Geflüchteten an Europas Außengrenzen im August 2015 ein LKW mit den Leichen von 71 Flüchtlingen im Burgenland entdeckt wurde, war die Betroffenheit in der Bevölkerung groß und sogar Innenministerin Johanna Mikl-Leitner forderte "legale Fluchtwege" nach Europa. Die ungewohnt kritische Reaktion der Innenministerin sollte nicht die einzige unvorhergesehene Entwicklung in diesem " langen Sommer der Migration" bleiben: In den folgenden Wochen überquerten Zehntausende die österreichischen Grenzen, begleitet von einer Welle der Solidarität aus der Bevölkerung. Während Geflüchtete das Grenzregime Europas in die Knie gezwungen hatten, etablierte sich in der Öffentlichkeit eine positive Sicht auf die Ereignisse. Someinte etwa der damalige Bundespräsident Heinz Fischer im September bei einem Besuch am Wiener Westbahnhof mit Blick auf die freiwilligen HelferInnen: "Rot-weiß-rot zeigt sich hier von der schönsten Seite."

Diese Offenheit dauerte aber nicht lange an. Bald sollte die Kontrolle über die Grenzen weitgehend wiederhergestellt sein und neue restriktive Maßnahmen gegen Geflüchtete durchgesetzt werden. Wie ist es der Politik nach einem kurzen Moment der relativen Bewegungsfreiheit gelungen, wieder Handlungsmacht zu erlangen? Wie wurde Zustimmung zu Restriktionen hergestellt und Solidarität mit den Geflüchteten delegitimiert? In diesem Beitrag soll gezeigt werden, dass spezifische Bilder "fremder Männlichkeit" eine wichtige Ressource darstellten, um Geflüchtete als Gefahr für die Gesellschaft zu porträtieren und die Notwendigkeit restriktiver Maßnahmen zu argumentieren. Gefahrenbilder, die die österreichischen Migrationsdebatten der letzten Jahrzehnte geprägt hatten (Scheibelhofer 2012), wurden dabei aufgegriffen und neu verwendet.

Europa muss eine Festung werden

Während die FPÖ bereits im September 2015 ein Schließen der Grenzen forderte, da sonst "Islamisierung" und "Bevölkerungsaustausch" drohe und die Gefahr des Terrorismus steige, nutzten in den folgenden Wochen zusehends auch andere Politiker Drohszenarien, um die Sicherung von Österreichs Grenzen zu argumentieren. Auch die EU-Außengrenzen müssten wieder "lückenlos" kontrolliert werden, so der Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz im Oktober, um "die Flüchtlingsströme einzudämmen, denn der Ansturm nach Europa ist viel zu stark", auch wenn dies, so Minister Kurz, "nicht ohne hässliche Bilder gehen" werde. Ministerin Mikl-Leitner meinte, man müsse "an einer Festung Europa bauen" und rief dazu auf, dass "Europa auf grenzenlose Willkommenskultur verzichten" müsse, um "unsere Sicherheit garantieren" zu können. Durch das Türkei-Abkommen der EU sowie die Schließung der Grenzen entlang der Balkanroute gelang es schließlich tatsächlich, den "Flüchtlingsstrom einzudämmen". Dem war der Beschluss vorausgegangen, eine Obergrenze an jährlich zugelassenen Asylanträgen einzuführen, da sonst die "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit" gefährdet seien. Die dafür nötige "Notverordnung" sorgte im Frühjahr 2016 noch für massive Kritik und Turbulenzen innerhalb der SPÖ, doch der Widerstand schwand im Laufe des Jahres und die Verordnung wurde im Sommer 2016 von ÖVP und SPÖ beschlossen. Begleitet wurde der Beschluss von einem Bericht von Innenminister Wolfgang Sobotka, demzufolge sich die Sicherheitslage aufgrund der Geflüchteten massiv verschlechtert hätte - eine Darstellung, der mehrere NGOs widersprachen.

Ein Blick auf diese Entwicklungen zeigt: Um nach der kurzen Phase der Offenheit wieder politische Kontrolle über die Bewegungsfreiheit von Geflüchteten zu erlangen, wurde eine Perspektivenverschiebung verfolgt. Durch die Etablierung einer Gefahrenperspektive wurden die aktuellen Fluchtbewegungen von einem humanitären zu einem Sicherheitsthema. Bilder gefährlich fremder Männlichkeit, wie sie bereits im Zuge der Verschärfungen der österreichischen Migrations- und Asylpolitik der 1990er Jahre genutzt worden waren, wurden dabei erneut aufgegriffen. Schon damals wurde von Flüchtlingen als bedrohliche "Wellen" und "Ströme" gesprochen, und das Thema der "Ausländerkriminalität" wurde ein bestimmender Faktor in Migrationsdebatten. Didier Bigo (2012) beschreibt, dass damals in Europa ein Sicherheitsdiskurs entstand, der Migration als gefährliche "Penetration" der Nation darstellte. Und damals wie heute sind es vor allem Männer, die in Imaginationen von Penetration und Kontrollverlust heraufbeschworen werden, um Migration mit Gefahr und Angst zu verknüpfen und harsche Abwehr- und Abschottungsmaßnahmen zu legitimieren.

Gefährlich fremde Patriarchen

Die sich bereits etablierende Gefahrenperspektive erhielt zu Beginn 2016 eine zusätzliche Virulenz, als in Medien von massenhaften sexuellen Übergriffen durch "dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum" stammende Männer während der Silvesternacht in Köln und anderen Städten berichtet wurde. Obwohl Informationen über die tatsächlichen Täter und die begangenen Taten widersprüchlich und rar waren, führten die Berichte zu heftigen Debatten über das sexuelle Gefahrenpotenzial durch männliche Geflüchtete (Dietze 2016). Auf der Suche nach Gründen für die Übergriffe wurde vor allem die fremde Kultur und Religion der Männer ausgemacht. In Medien wurde etwa vom "mittelalterlichen" Frauenbild im Islam (Profil) geschrieben und von einem "Typus Mann", der "das Produkt einer unfreien, rückständigen, patriarchalischen, fundamentalistisch-religiösen Gesellschaft" sei (Falter). Ähnlich argumentierten auch PolitikerInnen wie etwa die FPÖ-Frauensprecherin Nicole Hosp, die vor einer "schleichende[n] Untergrabung unserer Wertegemeinschaft"" warnte, während etwa Robert Lugar (Team Stronach) argumentierte: "Man muss sich das einmal vorstellen, da kommen tausende junge Männer, die plötzlich ohne Frau und Familie dastehen." In diesen Darstellungen wurde die zu offene Flüchtlingspolitik sowie die "Gutmenschlichkeit" der Bevölkerung als mitverantwortlich für die Übergriffe dargestellt und Konsequenzen gefordert. Die Forderungen reichten von Flüchtlings-Aufnahmestopp und verschärften Abschiebegesetze über verpflichtende DNA-Tests und nächtliche Ausgangssperren für Asylwerber bis zur zur Gründung von Bürgerwehren.

In diesen Debatten wurde auf weit verbreitete Bilder archaisch-patriarchaler Männlichkeiten im Islam (Abu-Lughod 2002) zurückgegriffen, die seit den 2000er Jahren auch die österreichische Migrationspolitik prägen. In den Reaktionen auf die Silvester-Übergriffe wurden diese Bilder auf Geflüchtete angewandt und dadurch/es sei, so Astrid Messerschmidt, das "Selbstbild einer geschlechtergerechten und sexuell emanzipierten Gesellschaft […] in Stellung gebracht [worden] gegenüber einem kulturalisierten und rassifizierten Gegenbild frauenverachtender und patriarchal erzogener Fremder", worin sich zeige, dass "aus dem Glauben an die Befreiung unserer selbst ein reaktionärer Gewinn gezogen werden kann". Dieser "reaktionäre Gewinn" drückte sich in Forderungen nach Bestrafung, Kontrolle und Disziplinierung "fremder Männlichkeit" aus.

Fünf Euro sind zu viel

Schlussendlich wurde Geflüchteten auch unterstellt, nicht aus Not, sondern wegen ökonomischer Interessen zu kommen. Während die FPÖ wiederholt behauptete, dass ein großer Teil der 2015 Geflüchteten "Wirtschaftsflüchtlinge" seien, die rigoros - etwa in Heeresmaschinen - abzuschieben seien, kritisierte die ÖVP, dass der "Pull-Faktor" Sozialsystem reduziert werden müsse. In diesem Sinne erklärte etwa Innenminister Sobotka, dass für gemeinnützige Arbeit während Asylverfahren keine fünf Euro pro Stunde verdient werden dürfe, da dies ein Signal für andere wäre, "sich sofort auf den Weg zu machen". Um die "Attraktivität" des Sozialsystems weiter zu verringern und um ein Zeichen an die Bevölkerung zu senden, wurde schließlich die Kürzung der Mindestsicherung für anerkannte Flüchtlinge in Angriff genommen. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Artikels (November 2016) waren Versuche einer gemeinsamen Regelung gescheitert - die Bundesländer Oberösterreich (ÖVP/FPÖ-regiert), Niederösterreich (ÖVP) und schließlich auch Burgenland (SPÖ/FPÖ) haben darum eigenständig Kürzungen der Mindestsicherung beschlossen. Daneben forderte Minister Kurz die Einführung von verpflichtenden 1-Euro-Jobs für arbeitslose Asylberechtigte und argumentierte ihre Notwendigkeit mit latenten Drohbildern: "Wer den ganzen Tag zu Hause und im Park herumsitzt, der hat auch einmal Tagesfreizeit, um auf blöde Ideen zu kommen."

Wie Zuser (1996) zeigte, hat im Zuge der Versicherheitlichung von Migration in den 1990er Jahren das Konzept des "Scheinasylanten" Einzug in die österreichische Migrationspolitik gehalten. Diese auszuforschen und vom Zugang zu Asyl fernzuhalten, wurde seitdem eine wichtige Argumentationsgrundlage für Gesetzesverschärfungen. In der aktuellen Bearbeitung der "Flüchtlingskrise" wurde diese Strategie weitergeführt, um das Bild zu vermitteln, dass ein großer Teil der Geflüchteten keine tatsächlich legitimen Fluchtgründe hätte und ihnen gegenüber Misstrauen angebracht sei. Vor diesem Hintergrund konnte argumentiert werden, dass Reduktionen von Sozialleistungen und Restriktionen bei Zuverdienstmöglichkeiten notwendig seien, um einen weiteren "Ansturm" von Flüchtlingen zu unterbinden. In der Diskussion um verpflichtende 1-Euro-Jobs wurde Geflüchteten schließlich mangelnde Arbeitsmotivation unterstellt, der mit Zwang entgegenzuwirken sei.

Resümee

Der weitgehende politische Kontrollverlust über die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge im Sommer 2015 war von vielfältigen Solidaritätsbewegungen begleitet. Bei der Wiedererlangung der Kontrolle waren Bilder problematischer und gefährlicher fremder Männlichkeit ein wichtiges Medium. Durch diese Bilder ist es gelungen, eine positive, empathische Sicht auf Geflüchtete - ihre Erfahrungen und ihre Bedürfnisse - zu verdrängen und stattdessen eine Gefahrenperspektive auf Geflüchtete zu etablieren. Wie sich zeigte, wurde dabei auf vorhandene "Wissensbestände" über gefährlich fremde Männlichkeit zurückgegriffen und diese neu genutzt. Die Fremdbilder, die im Zuge der Bearbeitung der "Flüchtlingskrise" entstanden, sind ein Amalgam aus bereits vorhandenen Bildern über Massen an gefährlichen, linkischen Flüchtlingen einerseits und Annahmen über archaisch-fundamentalistische muslimische Patriarchen andererseits.

Die Bilder sollen restriktive Maßnahmen gegen die vulnerable Gruppe der Geflüchteten notwendig erscheinen lassen und damit Kritik unterbinden. Wie sich zeigt, war die Strategie erfolgreich: Maßnahmen, die zuvor auf breiten Widerstand stießen, da sie die prekäre Lage von geflüchteten Männern, Frauen und Kindern verschärfen, wurden schließlich durchgesetzt.

Mit der Zuschreibung von Gefährlichkeit und dem Absprechen von Hilfsbedürftigkeit ging eine Delegitimierung von Solidarität einher. Während es im Sommer 2015 eine breite Anerkennung für die Hilfsbereitschaft durch die Bevölkerung gab, kam es im Zuge der Wiedererlangung von politischer Handlungsmacht zu einer Umdeutung, wonach die "Willkommenskultur" die "Flüchtlingskrise" verschärft hätte.

Doch es zeigt sich, dass diese Politik nicht von allen geteilt wird und auf Widerstand trifft: Geflüchtete Männer selbst haben sich gegen die abwertenden Darstellungen zu Wort gemeldet; vielfältige Hilfs- und Solidaritätsprojekte werden trotz Vorwürfen weitergeführt; Familien, Schulklassen und ganze Dörfer setzen sich gegen die Abschiebung von Geflüchteten aus ihrer Mitte zur Wehr. Sie demonstrieren damit, dass sie die dominanten Repräsentationen von gefährlichen Geflüchteten zurückweisen und an solidarischen Alternativen zur restriktiven Politik arbeiten.

Dieser Text ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung eines Beitrags in "Migration - Die Macht der Forschung. Perspektiven einer zukunftsweisenden Migrationsforschung", hg. von Arbeiterkammer Wien. Der Sammelband erscheint 2017 im ÖGB-Verlag.

Der Artikel wird ebenfalls im Blog der Arbeiterkammer http://blog.arbeit-wirtschaft.at im Jänner 2017 publiziert.



Literatur

Lila Abu-Lughod: Do Muslim Women Really Need Saving? Anthropological Reflections on Cultural Relativism and Its Others. In: American Anthropologist, 104. Jg., Nr. 3/2002, S. 783-790.

Didier Bigo: Sicherheit und Immigration: Zu einer Kritik der Gouvernementalität des Unbehagens. In: Margarete Misselwitz/Klaus Schlichte (Hg.): Politik der Unentschiedenheit. Die internationale Politik und ihr Umgang mit Kriegsflüchtlingen. Bielefeld 2010, S. 39-76.

Gabriele Dietze: Das 'Ereignis Köln'. In: Femina Politica, Nr. 1/2016, S. 93-102.

Paul Scheibelhofer: Arbeiter, Kriminelle, Patriarchen. Migrationspolitik und die Konstruktion 'fremder' Männlichkeit. In: Ulrike Brandl (Hg.), Kann die Migrantin sprechen? Migration und Geschlechterverhältnisse. Wiesbaden 2012, S. 61-82.

Peter Zuser: Die Konstruktion der Ausländerfrage in Österreich. Eine Analyse des öffentlichen Diskurses 1990. IHS, Wien 1996.

Paul Scheibelhoferlebt in Wien, ist Mitglied der Forschungsgruppe [KriMi] Kritische Migrationsforschung, unterrichtet Kritische Männlichkeitsforschung an mehreren Universitäten und ist Doktorand am Gender Studies Department der CEU, Budapest. Homepage Paul Scheibelhofer paul.scheibelhofer@univie.ac.at