Die brennende Frage nach dem Wissen über die lernenden Migrant_innen
Einige Wochen ist es her, seit ich sie kennengelernt habe.
3 ½ mitunter.
Ich erinnere mich noch daran, wie ich sie zum ersten Mal (zwischen vielen anderen stehen) sah.
…an ihrer leicht gebückten Haltung.
…ihr(e) gegerbte(s) Gesicht (Haut).
…ihre zerfurchte Hand.
Ich erinnere mich noch genau an all das, was mir durch den Kopf ging; -an (all) das, was ich plötzlich über sie zu wissen glaubte.
Am allermeisten aber spüre ich noch heute ihren ersten Blick auf mir.
Ein Blick, der alle erdachten Bilder von ihr in mir mit einem Mal wegwischte…color="#FF339C">
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Die aktuell vom österreichischen Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres verordneten Werte- und Orientierungskurse für Flüchtlinge bilden grundsätzlich kein Novum im Feld der Erwachsenenbildung für Migrant_innen. Wertevermittlung im Sinne eines Zivilisierungsprojektes, das Grundzüge einer Kolonialpädagogik trägt, findet nicht erst seit Dezember 2015 in Österreich statt. Das Neue daran beschränkt sich auf die explizite Benennung der verfolgten Ziele. Die eigenen Werte kontinuierlich zu reflektieren, betrachten wir [1] als eine wesentliche Praxis im Rahmen kritischer Bildungsarbeit. Hier wären jedoch nicht nur die Lernenden sondern vor allem Lehrer_innen, Trainer_innen, Berater_innen, Betreuer_innen usw. herausgefordert, ihre Werte und Wissen kritisch zu hinterfragen.
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Ein sonniger Tag in Linz, einige Jahre her. Eine Gruppe von Migrant_innen in einem Park, der zunehmend von einer Art falsch verstandener Urbanisierung erfasst wird, typisch für diese Stadt, der ein Komplex der Provinz innewohnt. Wir im Park, nach dem Museumsbesuch, ein brüchiges wir. Auch ein brüchiges ich. Ich, in den Anfängen meiner pädagogischen Praxis, im Versuch mit der Gruppe die Frage zu diskutieren: „Was glaubt ihr, was die Lehrer_innen über euch glauben zu wissen“. Eine schwierige Frage. Die Blicke der Passant_innen auf uns, die Migrant_innengruppe mit der Picknickdecke auf der Wiese beim Fluss, sich dieser Frage annähernd und entfernend, sie zerstückelnd. Danach das „großzügige“ Angebot der Lehrer_in, des ich, sich selbst ein Thema auszusuchen. Die Unbeholfenheit zu erfahren, dass das Thema Hochzeit ist. Die Angst, über die eigenen Liebesbeziehungen gefragt zu werden. Der Versuch, die Frage nicht zu beantworten. Das Stolpern mit dem die Antwort kam: Ich bin mit einer Frau. Und das Staunen, dass sich danach kaum etwas verändert hatte. Was die Lehrer_innen über die lernenden Migrant_innen zu wissen glauben? Eine schwierige Frage…color="#FF339C">
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Die untersuchende Beschäftigung mit der Erwachsenenbildung für Migrant_innen im deutschsprachigen Raum bildet seit einigen Jahren einen Schwerpunkt der Arbeit von maiz. [2] Die Beobachtungen und Analysen lassen den Bereich mehrheitlich als einen Raum der hegemonialen Zurichtung erscheinen.
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Ich erinnere mich als ich begonnen habe, im Lehrgang zum Hauptschulabschluss jugendlichen Migrant_innen Englisch zu unterrichten. Großteils habe ich aus dem Schulbuch bewusst nicht unterrichtet, da es meiner Meinung nach in vielen Hinsichten (Themen, Kontexte...) nicht passend für diese heterogene Gruppe war. Pragmatisch musste ich aber sicherstellen, dass ich mindestens den Prüfungsstoff aus dem Buch bearbeite, so dass die Kursteilnehmer_innen eine faire Chance hätten, die Prüfung zu überstehen. Der Stolperstein war das Kapitel „Ways to travel“. Aus meiner eigenen Liebe zum Reisen bin ich voller Eifer in das Kapitel eingetaucht und habe eine Unmenge Aktivitäten vorbereitet. Ziemlich am Anfang des Unterrichts ist mir bewusst geworden, wie absurd es war, über Wege zu reisen zu reden, denn vor mir saßen Personen, die großteils Reiseerfahrungen nur in Verbindung mit Flucht erlebt haben. Wie absurd es war über „Fly and Drive“ zu reden. Nicht passend auf mehrere Ebenen... Mein Begehren...color="#FF339C">
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Wir versuchen in maiz und im neu gegründeten Verein das kollektiv diese reflexive Praxis systematisch durchzuführen. Mitunter beschäftigen wir uns mit den Fragen nach unserem (vermeintlichen) Wissen über die lernenden Migrant_innen und nach dem Effekte dieses Wissens auf unsere pädagogische Praxis.
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klare Vorstellungen!;?
sicheres Wissen!-?
lassen?
Leid, Trauer, Verlust
Einlassen -
Stärke, Mut, Offenheit
Zulassen!
Durchhaltendes, kämpfendes, bewusstes Sein
Scham.-!
mein Irrtum > mein Unvermögen
Protest
Fußnoten
[1]„Das „wir“ bezeichnet hier die Mitarbeiter_innen vom Verein das kollektiv. Der Name der Organisation steht in Verbindung mit ihrem Ursprung: maiz, eine Organisation, die sich immer als Kollektiv verstanden hat. Als wir uns gemeinsam entschieden haben, den Bildungsbereich von maiz auszugliedern; als wir uns entschieden haben,trotz allem weiterzumachen, entschieden wir uns für diesen für uns und unser Handeln sehr bedeutsamen, prägenden und inspirierenden Namen. Mit dem Anspruch, Räume für kritische Bildung, Diskussion und Reflexion zu pflegen.“.
[2] In Kooperation mit den Fachbereichen DaZ der Universitäten Wien und Paderborn und mit dem Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck führte der Verein maiz das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Deutsch als Zweitsprache in der Migrationsgesellschaft: reflexive und gesellschaftskritische Zugänge“. Eine Publikation der Projektergebnisse befindet sich zum freien Download unter: http://www.maiz.at/sites/default/files/images/deutsch-als-zweitsprache_www-2.pdf. Das Projekt wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Frauen (bmbf) finanziert.
Die Einladung für diesen Beitrag als Anlass, unsere pädagogische Praxis im kollektiv erneut mit Fragen nach dem vermeintlichen Wissen über die Lernenden zu adressieren. Und unsere Reflexionen zu teilen.