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...an der Solidarität mit leidenden Gruppen festhalten

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Interview mit Erden Kosova und Sunanda Mesquita

Bildpunkt: Sunanda, Du hast 2013 We Dey – platform for contemporary arts und Anfang letzten Jahrs We Dey x Space mitgegründet. Der Kunstraum versteht sich als Ort für Künstler*innen of Colour und Schwarze Künstler*innen. Was war der Anlass für diese Form der identitätspolitischen Organisierung?
S.M.: Ich finde es spannend, dass ihr unsere Form der Organisierung mit einem aktuellen „Reizwort“ der Linken verbindet und als in erster Linie identitätspolitisch bezeichnet. Wenn wir innerhalb dieses eng gesteckten, aufgeladenen Rahmens argumentieren sollen, dann würde ich sagen, reagiert unsere Ausrichtung auf die Notwendigkeit, Räume zu schaffen, die jenseits der flächendeckenden weißen Identitätspolitik der Wiener Kunstszene liegen. Dabei geht es uns nicht nur um das Schaffen einer Plattform zur Sichtbarmachung marginalisierter, widerständiger Positionen, sondern auch um das Herstellen eines Ortes für Community Organising, Coalition Building und Vernetzung.
Bildpunkt: Erden, Du bist Teil des Publikationsprojektes Red Thread, das sich als „ein aktives Netzwerk und als Plattform für den Wissensaustausch und die Zusammenarbeit von KünstlerInnen, KuratorInnen, SozialwissenschaftlerInnen, TheoretikerInnen und KulturarbeiterInnen vom Balkan, des Mittleren Ostens, dem Kaukasus, Nordafrika und darüber hinaus“ beschreibt. Worin bestand die ursprüngliche Motivation für diese Form der Organisierung?
E.K.: Das Projekt wurde von dem kuratorischen Quartett What, How, and for Whom aus Zagreb und von Osman Kavala, dem Direktor der kulturpolitischen NGO Anadolu Kültür 2009 initiiert. Es wurde in einer Zeit des kulturellen und des politischen Optimismus aufgebaut. Als Mitglieder der Redaktion haben wir gehofft, zu dieser dynamischen kulturellen Atmosphäre beitragen zu können und den intellektuellen Austausch zwischen soziopolitischen Denker*innen und Künstler*innen aus nicht-westlichen Geographien zu verstärken.
Bildpunkt: Ihr arbeitet beide an den Schnittstellen von künstlerischen Praktiken und sozialbewegtem Aktivismus. Was sind aus eurer Sicht die schwierigsten Übersetzungsleistungen zwischen diesen beiden Feldern?
S.M.: Ich sehe hier keine Notwendigkeit für eine Übersetzungsarbeit, denn ich persönlich kann Kunst und Aktivismus nicht voneinander trennen. Ich finde es jedoch wichtig, an dieser Stelle zu hinterfragen, wer es sich „leisten“ kann, Kunst zu machen, die nicht politisch ist, und aus welcher Position heraus agierend das passiert. Wer profitiert von Kunst, die nicht widerständig ist? Wer profitiert von künstlerischen Arbeiten, die die eigene Position innerhalb der white supremacist hetero-sexist ableist capitalist partriarchy nicht hinterfragen?
E.K.: Die Zeit, in der unser e-journal gegründet wurde, fiel auch mit jener der rasanten Kommerzialisierung der Szene zeitgenössischer Kunst in Istanbul zusammen, wo die Zeitschrift ihren Sitz hat. Zuerst kamen eine Reihe großer Kunstinstitutionen und dann – unter anderem von der EU-Euphorie dieser Zeit motiviert, die eine Expansion der Kunstmärkte versprach – gab es einen Boom von privaten Galerien, die in der Innenstadt eröffneten. Das schuf eine merkwürdige Mobilität, die völlig frei war von jeder kritischen Reflexion über die ausgestellten Werke und ihre politischen Verflechtungen. Die Künstler*innen, die diese Entwicklungen ablehnten und von dieser Sterilität beunruhigt waren, schafften es nicht, starke alternative Räume aufzubauen. Konsequenterweise wurde die Kunstszene von oppositionellen Kreisen als das korrupteste kulturelle Feld wahrgenommen. Diese Spannung schadete dem Austausch zwischen künstlerischen und aktivistischen Anliegen sehr – und es begrenzte damit auch die Möglichkeiten der Zeitschrift.
Bildpunkt: Wir erleben zur Zeit eine politische Situation, in der xenophobe und rassistische Positionen von einer stabilen Mehrheit der Gesellschaft mitgetragen werden.Während einerseits die Versuche, dagegen mit Linkspopulismus vorzugehen, schnell rechte Inhalte und Haltungen übernehmen, scheinen andererseits neue queerfeministisch-klassenpolitische Allianzen zur Marginalität verdammt. Was tun?
E.K.: Meine persönliche Sicht ist selbstverständlich geprägt von meiner lokalen Erfahrung. Die Türkei ist eines der Länder geworden, in denen diese Veränderungen am drastischsten zu erleben sind. Die moderne Republik war durch viele Probleme wie den Nationalismus und den Dirigismus gekennzeichnet. Aber jetzt wird selbst diese beschränkte Demokratie von der eigenartigen, eklektizistischen Ideologie der gegenwärtigen Regierung unter Beschuss genommen, die Islamismus, Turbokapitalismus, eine krude osmanische Revitalisierung, anti-kurdischen Rassismus, Misogynie und Homophobie verbindet. Die Opposition ist nicht schwach, aber sehr gespalten, hauptsächlich verlaufen die Bruchlinien entlang der Politik im Hinblick auf die Kurden und Kurdinnen. Die Allianzen sind sehr fragil. Ich habe keine Ahnung, wie das zu lösen ist – außer an der Solidarität mit leidenden Gruppen, kulturelle Akteur*innen inbegriffen, festzuhalten. Der Gründer des e-journals Osman Kavala ist jetzt beispielsweise inhaftiert, neben Hunderten von anderen Journalist*innen, Intellektuellen, Politiker*innen und Künstler*innen. Und die aktivistischen Anstrengungen richten sich jetzt darauf, sie rauszuholen.
S.M.: Die meisten Maßnahmen der Regierung sind sowohl rassistisch und anti-feministisch als auch klassistisch, u.v.m. Somit sind sie für eine große Mehrheit fatal. Darin bestünde eine große Chance, Allianzen aufzubauen und zu stärken – und zwar mit Fokus auf und durch die zentrale Rolle von den am stärksten benachteiligten Gruppen.
Bildpunkt: Während der Feminismus mit den Frauenmärschen in den USA, der #metoo-Bewegung, dem Streik am 8. März in Spanien usw. sicherlich einen Aufschwung erlebt, setzen sich zugleich antifeministische Positionen in den Regierungsprogrammen und damit in den Staatsapparaten fest. Wie ließen sich eurer Ansicht nach die Erfolge der Bewegungen besser auf Dauer stellen und verstetigen?
S.M.: Ich würde anstatt eines Aufschwungs der feministischen Bewegung von einer erhöhten Sicht- und Hörbarkeit bestimmter feministischer, meist weißer Positionen sprechen. Auch hier wäre die Hinterfragung wichtig, wessen aktivistische Arbeit hier angeeignet und zur gleichen Zeit white-washed wurde und zu welchem Zweck? Damit es zu einem Aufschwung kommen kann – dies wäre vor allem durch Allianzbildungen möglich – muss Feminismus anti-rassistisch, anti-transantagonistisch, anti-ableistisch und anti-kapitalistisch gelebt werden! Nur so ist eine Allianzbildung möglich, an dieser Stelle muss sich jedoch noch sehr viel tun.
E.K.: Wieder vom türkischen Kontext ausgehend muss ich sagen, dass das Problem über Antifeminismus und institutionellen Sexismus weit hinausgeht. Es gab eine große Welle der Aggression von konservativen und religiösen Positionen aus, um die Sichtbarkeit und die Aktivitäten von Frauen im öffentlichen Raum und ihre basalen Rechte zu beschneiden und einzuschränken. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass die starken und gut besuchten Versammlungen auf den Straßen und die Kampagnen in den wenigen verbliebenen kritischen Medien dazu beitragen, diesen Attacken entgegenzutreten. Das sollte als Beispiel dienen für alle Bereiche des politischen Dissenses.


Das Gespräch wurde von Ezgi Erol und Jens Kastner im März/ April 2018 per E-Mail geführt und wurde zuerst in der Ausgabe Nr.46 Aus dem Utopischen Halbdunkel der Zeitschrift bildpunkt der Ig Bildende Kunst veröffentlicht.

 


 

Erden Kosova ist Kunstkritiker und lebt in Istanbul. Er hat an verschiedenen Kunstuniversitäten unterrichtet und ist Redaktionsmitglied von red-thread.org "red-thread.org"
Sunanda Mesquita ist Community Organiser, Kuratorin, Bildende Künstlerin und Mitbegründerin von We Dey x Space und lebt in Wien.