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Definitionsmacht enteignen!

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von Jennifer Ndidi Iroh und Rafaela Siegenthaler

Warum muss bis heute immer wieder legitimiert werden, dass das N-Wort rassistisch ist? Wie kommt es, dass dieser Begriff trotz seiner gewaltvollen Dimension beharrlich verwendet wird - und das fast ausschließlich von Menschen, die sich in ihrem alltäglichen Leben nicht von Rassismus betroffen sehen? Wer besitzt die Definitionsmacht darüber, was ein gewaltvoller Sprachgebrauch ist?

Die Thematisierung von Rassismus wird aus weißen Räumen verbannt. Wiederholt müssen sich Menschen mit Rassismus-Erfahrung mit ihrer persönlichen Betroffenheit exponieren, damit Rassismus-Kritik überhaupt wahrgenommen wird. So wird auch der rassistische Sprachgebrauch in der Regel erst dann problematisiert, wenn sich diejenigen, die davon betroffen sind, zu Wort melden. Schließlich wird Rassismus oft als "privates" Problem von Einzelnen abgetan und weggeschoben. Damit kann Rassismus nicht als ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem verhandelt werden.

Das N-Wort ist nicht einfach nur ein Wort.

Das N-Wort entstand in der Kolonialzeit, als Schwarze Menschen jahrhundertelang entmenschlicht und versklavt wurden. Bis heute dient seine Verwendung der Unterdrückung Schwarzer Menschen und hält rassistische Denkmuster und Machtverhältnisse aufrecht. Rassistische Sprache ist immer auch eine Form der Gewaltausübung - und zwar ungeachtet dessen, in welchem Kontext oder mit welcher Intention sie benutzt wird. Vor diesem Hintergrund kann das N-Wort nie losgelöst von seiner Entstehungsgeschichte oder "neutral" verwendet werden.

Diese Tatsache zu ignorieren und somit Rassismus zu verkennen, basiert auf einer (weißen) soziohistorischen Amnesie [1], die es ermöglicht, Realität umzudeuten und die 500-jährige blutige Geschichte von Versklavung, Enteignung, Ermordung und systematischer Auslöschung Schwarzer Menschen auszublenden. Darüber hinaus werden die vielfältigen Widerstandskämpfe von Schwarzen Menschen, die das N-Wort (und andere rassistische Benennungen) bis heute verweigern, völlig ignoriert.

Verharmloste rassistische Praxis

So konnte am diesjährigen Wiener Opernball ein weißer Fernsehmoderator als "Komikeinlage" in Blackface auftauchen und ein weißer TV-Prominenter das N-Wort verwenden, ohne dass es hierzulande einen Skandal ausgelöst hätte. Erst als wenig später US-amerikanische Medien den Vorfall aufgriffen, wurde auch hier die rassistische Sprache und die Praktik des Blackface als problematisch wahrgenommen und eine kritische Diskussion darüber eröffnet. Dass in Österreich Schwarze Menschen und People of Color tagtäglich auf unterschiedlichste Weise mit Rassismus konfrontiert sind, blieb dabei völlig unberücksichtigt. Auch die Frage, "warum das N-Wort plötzlich wieder da ist", zeugte von Ignoranz und setzte die bereits seit Jahrhunderten geführte kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff quasi auf Stunde null.

Ein weiteres Beispiel dafür, wie Rassismus in Österreich verharmlost wird, ist das Theaterstück "Die N****" von Jean Genet, das im Juni im Rahmen der Wiener Festwochen aufgeführt wird und in dem weiße Schauspieler_innen in Blackface auf der Bühne stehen. Der Verein PAMOJA - Die Bewegung der jungen afrikanischen Diaspora veröffentlichte im März einen offenen Brief, der sich klar gegen die rassistische Inszenierung des Stücks ausspricht und Blackface als Rassismus angreift. Darin heißt es unter anderem: "Blackface - genauso wie schwarze Masken - ist ein Mittel rassistischer Darstellungstraditionen. Dadurch gibt es keine selbstbestimmte Repräsentation von Schwarzen Menschen [...] Mit weißen Schauspieler_innen in Blackface wird eine diskriminierende, (neo)koloniale Praxis verharmlost, die nicht nur in den USA als rassistisch gilt."

Geschichte des Blackface

Blackface ist eine rassistische Tradition, in der sich weiße Menschen (mit Schuhcreme, Kohle oder Schminke) das Gesicht und/oder den Körper schwarz anmalen. Oftmals in Kombination mit rot gefärbten Lippen und Perücken wurden derart die Kolonialvorstellungen von Schwarzen Menschen inszeniert. Die Anfänge dieser rassistischen Praxis liegen im mittelalterlichen Europa, wobei es aus Mangel an historischen Belegen nicht möglich ist, den genauen Zeitpunkt festzulegen. Eines der bekanntesten Theaterstücke, in dem Schauspieler* in Blackface zu sehen waren, ist "Othello" von William Shakespeare, das 1604 im Whitehall Palace in London uraufgeführt wurde. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde das Stück fast ausnahmslos mit weißen Schauspieler_innen in Blackface aufgeführt.

Blackface ist nicht als bloße Maskerade zu verstehen: Es reproduziert klischeehafte Zuschreibungen und ist als Symbol zu lesen. Die Rollen, die in Blackface gespielt wurden, stellten Schwarze Menschen auf rassistische Weise dar. Blackface wurde demnach vor allem eingesetzt, um ein bestimmtes Bild von Schwarzen Menschen zu entwerfen.

In den USA des frühen 19. Jahrhunderts wurde Blackface bei den sogenannten minstrel shows angewendet - Showeinlagen, in denen weiße Menschen in Blackface die Kolonialidee von Schwarzen Menschen auf stereotypisierende Weise parodierten. Blackface war ein Mittel, Schwarze Menschen als Darsteller_innen auszuschließen und sie unsichtbar zu machen, um sie in Film, Fernsehen und Werbung als Belustigung eines weißen Publikums zu instrumentalisieren. Seit der Civil Rights Movement ist Blackface in den USA kaum noch vorstellbar - was aber nicht bedeutet, dass nicht weiterhin andere Formen von Rassismus existieren.

Blackface wurde im europäischen Raum auf dieselbe Art und Weise wie in den USA eingesetzt - und wird es noch immer. Am Beispiel des Theaterstücks "Die N****" wird zudem deutlich, dass im europäischen Kontext die Auseinandersetzung mit der Geschichte von Blackface gänzlich fehlt - und damit auch die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte in der weißen Mehrheitsgesellschaft ausständig ist.

Blackface als rassistischer Konsens

Jean Genet schrieb das Stück "Les N*****" 1958, in Solidarität mit den antikolonialen Befreiungsbewegungen jener Zeit und in der Absicht, einen radikalen Wandel in der Theaterwelt des 20. Jahrhunderts herbeizuführen: Bedingung für die Aufführung des Stücks war, dass es nur von einem Schwarzen Ensemble dargestellt werden durfte. Seine Premiere feierte "Les N*****" 1959 in Paris. Jegliche Reinszenierungen des Stücks schlugen bereits zu Lebzeiten Genets fehl. Mit der Begründung, es gäbe keine Schwarzen Schauspieler_innen, wurde es stattdessen wiederholt mit weißen Darsteller_innen in Blackface aufgeführt.

Es ist schwer nachzuvollziehen, wie Genets Stück seiner widerständigen, reflektierenden Intention entledigt werden konnte, um es auf neokolonialistische Weise anzueignen. Für die "Neuinszenierung" im Rahmen der Wiener Festwochen hat sich Regisseur Johan Simons mit dem ausgeschriebenen N-Wort als Titel und Schauspieler_innen in Blackface für eine eindeutig rassistische - und eindeutig gewaltvolle - Darstellungstradition entschieden.
Vor diesem Hintergrund erscheint der Anspruch der Wiener Festwochen, ein "interkulturelles" Festival zu sein, geradezu zynisch. Dass Simons' Inszenierung mit "künstlerischer Freiheit" und "Provokation" legitimiert wird, spiegelt den rassistischen Konsens in Österreich wider und zeigt, wie die Situation Schwarzer Menschen hier tatsächlich aussieht.

Rassismus-Kritik unter Beschuss

Bezeichnend sind auch die Reaktionen auf das Statement von PAMOJA: Der offene Brief, der von einem Schwarzen antirassistischen Verein verfasst und von 19 Schwarzen Organisationen in Europa unterzeichnet wurde, wurde von den Medien aufgegriffen, um ihn sogleich als beispielsweise "zur Hysterie abgedriftete Political Correctness" zurückzuweisen und als "blindwütiges Hinschlagen" zu diffamieren. Fast scheint es, als wäre der medialen Debatte nicht etwa ein Brief, sondern ein Riot vorausgegangen.

Die Zuschreibungen "Hysterie" und "blindwütiges Hinschlagen" geben den rassistischen Konsens im deutschsprachigen Kontext in seinem Kern wider. "Hysterie" dient zur Beschreibung einer emotionalen Befindlichkeit, die sich willkürlich, ziellos und ohne jegliche Grundlage manifestiert. Ein schriftliches Statement, das sich mit einer rassistischen Theaterinszenierung auseinandersetzt, als "hysterischen" Akt zu bezeichnen, ist in sich bereits eine Reproduktion rassistisch stereotypisierender Zuschreibungen.
Zudem ist es der Versuch, die Inhalte des Statements zu diskreditieren. "Blindwütiges Hinschlagen" beschreibt einen Vorgang der unreflektierten, affekthaften sowie aggressiven Zerstörung - eine weitere Zuschreibung, die in einen rassistischen geschichtlichen Kontext eingeordnet werden muss. Antirassistische Widerstandskämpfe von Schwarzen Menschen, die sich gegen gewaltvolle Machtausübung richten, werden immer wieder durch Vorwürfe vermeintlicher Aggressivität herabgewürdigt. Damit wird im Grunde jegliche antirassistische Kritik verunglimpft.

Weitere Reaktionen auf das Statement von PAMOJA waren rassistische Hassmails und -postings. Von Seiten weißer antirassistischer Initiativen und Projekte, die von sich behaupten, sich gegen Rassismus einzusetzen, herrschte hierzu Schweigen.

Schluss mit weißer Definitionsmacht!

Rassismus wird von weißen Menschen (re-)produziert. Rassismus und white supremacy (weiße Vorherrschaft) sind untrennbar miteinander verbunden. Somit geht es um die Aufarbeitung kolonialgeschichtlicher Realitäten und der damit einhergehenden - persönlichen wie politischen - kritischen Auseinandersetzung mit weißen Privilegien.
Rassismus ist ein Mittel psychischer, physischer, sozialer, institutionalisierter und struktureller Gewalt an Schwarzen Menschen. Die Definitionsmacht darüber, was rassistisch ist, kann somit nur bei Schwarzen Menschen und People of Color liegen. Diese Tatsache zu verleugnen, ist ein Mittel zur Aufrechterhaltung rassistischer Strukturen.

Wir fordern hiermit auf, das N-Wort und die rassistische Inszenierung aus dem Programm der Wiener Festwochen zu entfernen! Wir erwarten selbstbestimmte Schwarze Positionen auf der Bühne statt rassistische Fremdrepräsentationen! Wir unterstreichen die Forderungen des Statements von PAMOJA und rufen zu Solidarität auf!



Links

Statement von PAMOJA: deutsche Fassung / englische Fassung


Fußnote

[1] Grada Ferreira: Die Kolonisierung des Selbst - der Platz des Schwarzen. In: Hito Steyerl/Encarnación Gutiérrez Rodríguez (Hg_innen.): Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik. Münster: Unrast Verlag 2003. S. 146-165.


"Mezzanin" ist ein Teilprojekt von "Intermezzo", entwickelt von maiz und gefördert vom BMBF und Europäischen Sozialfond/ESF.

Rafaela Siegenthalerarbeitet derzeit an ihrer Masterarbeit zum Thema "Antirassistisch-feministische Geschichtserzählung aus Schwarzer Perspektive" am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.
Jennifer Ndidi Iroharbeitet zum Thema der Dekolonialisierung und studiert derzeit Gender Studies an der Universität Wien.