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Bluten - für wen?

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von Kathrin Hagemann

"Krass, das hatte ich nicht erwartet. Ich darf eigentlich nicht spenden. Ich sollte wieder gehen. Wäre ja auch einfach, ich habe mich noch bei niemandem gemeldet, niemanden wird das stören. Aber ist meine Betroffenheit von den Kriterien nicht ziemlich marginal? Und 'Lebensgemeinschaft', was soll das heißen? Oben heißt es ja 'Partnerschaft', also muss das hier was anderes sein. Meinen die wirklich WG? Fuck, ich darf nicht spenden. Die wollen mich nicht. Die brauchen zwar unbedingt Leute, die spenden, 'Ihre Spende rettet Leben' und so, aber mich wollen sie dann doch lieber nicht. Dabei hab ich ein total kleines Risiko. Und ich war doch immer gesund."

Dies sind meine gemischten Gefühle, als ich im Sommer 2012 zum ersten Mal Blut spenden will - und mich im Wartezimmer mit einem dreißig Items langen Fragebogen konfrontiert sehe, der meine Überzeugung, "immer gesund gewesen" zu sein, grundlegend in Frage stellt. Ob ich in den letzten Jahren in diesem oder jenem Land war, mit wem ich Sex hatte - und wenn nicht ich, dann vielleicht jemand aus meiner "Lebensgemeinschaft"? [1]

Ich war wohl davon ausgegangen, bei der Blutbank des Krankenhauses mit Dankbarkeit aufgenommen zu werden. Werden Blutspenden nicht immer dringend gebraucht? Stattdessen überkommt mich beim Durchlesen des Fragebogens das Gefühl, dass ich gar nicht hier sein sollte. "Denken Sie bitte daran, dass Ihr Blut an Säuglinge gegeben wird", sagt die Spendeärztin, als ich ihr - zusammen mit zwei anderen Erstspender_innen - beim "Aufklärungsgespräch" gegenübersitze. "Ja, deshalb bin ich doch hier!", könnte ich rufen: "Geben Sie mein Blut einem Säugling, der es braucht!" Aber was sie meint, ist natürlich: "Sagen Sie die Wahrheit über Ihre gesundheitlichen Risiken, sonst gefährden Sie Andere." Ich will niemanden gefährden. Aber ich will auch unbedingt Blut spenden.

Von "Minderwertigen" zu "Risikogruppen"

In den folgenden Wochen erfahre ich aus Gesprächen mit Freund_innen und Bekannten, dass viele von ihnen schon bei der Blutspende abgewiesen wurden. Etwa weil ihr Geburtsort laut Blutspendedienst in einem "Malaria-Risikogebiet" liegt - als solches wird auch mal großzügig der ganze afrikanische Kontinent klassifiziert. Oder weil sie klein und leicht sind, einen niedrigen Blutdruck oder Neurodermitis haben. Weil sie ein Antidepressivum nehmen. Weil sie eine gleichgeschlechtliche Beziehung führen. In Anbetracht der gewaltvollen Ideologien, die bis heute auf Vorstellungen von "unterschiedlichem Blut" aufgebaut werden, schockiert und verletzt dieser Ausschluss.
Zwar hat sich etwas verändert: Während "Rassen"lehre, Eugenik oder Genetik davon ausgehen, dass Menschen mit angeborenen "Qualitätsunterschieden" zur Welt kommen - die sich angeblich aus Körpermerkmalen, Blut oder Genmaterial herauslesen lassen -, werden Menschen nun durch ihr Verhalten, ihre Sexualpraktiken oder ihren Aufenthaltsort zu "Risikoträger_innen". Ist es Zufall, dass dieses Verfahren weitgehend die gleichen Menschen trifft, denen die Biomedizin auch schon in früheren Jahrzehnten "Minderwertigkeit" oder "Abartigkeit" unterstellt hat? [2]

"Jeder Tropfen rettet Leben", heißt es in Kampagnen, Blutspender_innen werden - scherzhaft oder ernsthaft - als "Held_innen" bezeichnet. [3] Doch das Blut von Menschen, die schon mal mit Sex Geld verdient haben, sich länger in einem "Risikogebiet" aufgehalten haben oder eben - wie im jüngsten Beispiel aus Österreich, das Veronika Siegl in ihrem Beitrag beschreibt - als Mitglieder einer muslimischen Gemeinde zur Blutspende kommen, stellt offenbar keine Unterstützung oder Rettung dar, sondern eine Gefahr.

"Risikominderung" oder Diskriminierung?

Natürlich gibt es medizinische Begründungen für den Ausschluss von der Blutspende: Niemand soll sich durch eine Bluttransfusion mit einer Krankheit anstecken. Und andere Kriterien - wie Blutdruck oder Hämoglobinwert ("Eisenwert") - sollen Spender_innen davor schützen, sich durch die Spende selbst zu schaden. Zudem müsse gewährleistet sein, dass Spender_innen die Bedingungen und Risiken der Blutspende verstehen und sich in einem vertraulichen Rahmen dafür oder dagegen entscheiden können (was in der Praxis jedoch häufig nicht der Fall ist). Dass immer wieder blinde oder gehörlose Menschen abgewiesen werden, weil der Blutspendedienst nicht über die passenden Kommunikationsmittel verfügt, kann leider auch als Fortsetzung der Barrieren im sonstigen öffentlichen Leben gesehen werden. [4]

Der Medizin gegenüber den Vorwurf der Diskriminierung zu erheben - ein Begriff, mit dem in manchen Fällen Kompensation für strukturelle Unterdrückung eingefordert werden kann -, ist allerdings gar nicht so einfach: Ist die Funktionsweise von Krankheit und Ansteckung nicht wissenschaftlich erwiesen? Gibt es nicht Studien, die statistische Wahrscheinlichkeiten belegen? Medizinisches Wissen entzieht sich scheinbar einer sozialkritischen Analyse.
Kritische Stimmen entgegnen: Medizinische Institutionen stellen nicht Risiken fest - sondern sie entscheiden darüber, was "akzeptable Risiken" [5] sind, und diese Entscheidung könne voreingenommen ausfallen. So äußert etwa das Paul-Ehrlich-Institut [6] in Reaktion auf einen Diskriminierungsvorwurf im Jahr 2012: Wer in Afrika geboren sei, dürfe durch eine Entscheidung der Spendeärzt_innen von der Blutspende ausgeschlossen werden, da es keine Tests gebe, die Malaria zweifelsfrei ausschließen könnten. Es bestehe ein "Restrisiko".

Jedoch drängt sich der Eindruck auf, dass solche "Restrisiken" sehr unterschiedlich gewichtet werden. Mich (weiß und mit bildungsbürgerlichem Studierenden-Habitus ausgestattet) winkt die Spendeärztin jedenfalls letztendlich durch: "Ach so, Ihre Mitbewohner - aber mit denen haben Sie doch bestimmt keinen Intimkontakt, oder?" Das "Restrisiko", dass dem doch so sein könnte, scheint sie nicht zu interessieren.

Die selbstlose Blutspende

Vielleicht sitze ich einem Missverständnis auf, wenn ich mir die Blutspende als öffentliche Institution vorstelle, an der grundsätzlich jede_r teilnehmen kann - und bei der Ausschlüsse nur bedauerliche Ausnahmen sind. Weitgehend etabliert ist die Überzeugung, dass Blut zu spenden ein solidarischer Akt innerhalb einer Gemeinschaft oder einfach nur gegenüber "Mitmenschen" ist. Das beruht auf dem ehrlichen Anliegen vieler - oft, weil sie selbst die Situation erlebt haben, dass ein nahestehender Mensch Blut benötigt. Es ist jedoch auch ein PR-Erfolg.

Seit den Anfängen des Transfusionswesens wird die Blutspende in Kampagnen als uneigennütziges "Geschenk" beworben. Es kann dem tapferen Soldaten des eigenen Landes zugutekommen oder - wie in einer Kampagne des Deutschen Roten Kreuzes verbildlicht - eine glückliche Familie davor bewahren, buchstäblich auseinandergerissen zu werden. Gleichzeitig bildet diese Darstellung ein Argument gegen die Bezahlung von Blutspender_innen. International dominante Staaten und Verbände wie die WHO bewerben die unentgeltliche und freiwillige Blutspende mit dem Argument, dass die Qualität des gesammelten Blutes besser sei als bei bezahlten Spenden. Niemand soll aus den "falschen" Motiven teilnehmen.

Blut als bioindustrielle Ware

Dass die Rhetorik der "guten Tat" vermeintlich jede_n anspricht, bedeutet aber nicht, dass auch alle gemeint sind. Ein Blick auf die ökonomischen Hintergründe der Blutspende macht deutlich, dass sie nicht trotz der Ausschlüsse gut funktioniert - sondern auch durch sie. So spricht sich der "Arbeitskreis Blut" - ein Gremium, das Behörden zum Thema Blutsicherheit berät [7] - im Jahr 2013 dafür aus, den Blutspende-Ausschluss von Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), zu lockern. Ein Hindernis gibt es jedoch: "Einigen Spendeeinrichtungen liegen [...] schriftliche Stellungnahmen der Plasmaindustrie vor, aus denen deutlich wird, dass für die Abnahme von Plasma [...] ein Dauerausschluss von MSM weiter gefordert wird. Daher befürwortet der AK Blut eine Änderung der Hämotherapierichtlinien, sofern die internationale Verkehrsfähigkeit von Plasma zur Fraktionierung als Ausgangsstoff für Plasmaderivate gewährleistet bleibt." [8]
Demnach kann der Ausschluss von MSM nur aufgehoben werden, wenn in Deutschland gesammeltes Plasma weiterhin weltweit exportiert werden kann - er wird zu einem Qualitätsmerkmal erhoben.

"Zero Risk Policies" sind also nicht nur die Ursache genereller Voreingenommenheiten oder einer fehlgeleiteten Ansteckungsparanoia, sondern auch eine pragmatische wirtschaftliche Entscheidung. Sobald ich mein Blut einem Blutspendedienst überlasse, wird es zum "Blutprodukt" weiterverarbeitet und kursiert dann als Arzneimittel, das an ein Krankenhaus verkauft werden kann, oder als Rohmaterial für die Forschung oder Industrie. Als Ware also. Hier geht es nicht darum, möglichst vielen die Teilhabe zu ermöglichen, sondern darum, Blut zu erhalten, das als möglichst "sicher" deklariert werden kann.
Selbst wenn ich mein Blut abgebe, ohne eine Gegenleistung zu erwarten: Ich vertraue es Organisationen an, die es ökonomisch verwalten und möglicherweise damit Gewinn machen, indem sie es innerhalb des Gesundheitssystems an Menschen weitergeben, die es brauchen. Und selbst wenn ich eine Gegenleistung erwarten würde (abgesehen von kostenlosen Getränken und Essen bei der Spendeaktion und den Bildern von lächelnden Kindern an der Wand, die Dankbarkeit vermitteln sollen): Verglichen mit dem Marktwert meines Blutes sind die zwanzig Euro, die ich bei manchen Blutspendediensten als "Aufwandsentschädigung" erhalten kann, eine geringe Summe.

Nützliche Inklusion

Es geht mir hier um mehrere Kritikpunkte an der Blutspende, wie sie in den westeuropäischen Kontexten, die ich kenne, organisiert ist: Menschen wird der Zugang zu einer solidarischen Praxis verwehrt. Von mir wird erwartet, dass ich mein Blut verschenke, bevor andere damit Geld verdienen. Und die Vorstellung davon, wer "gesund", "krank" oder eben eine "Risikogruppe" ist, hat sehr viel mit Rassismus, Klassismus, Ableismus und Sexismus zu tun.

Dabei kann es eine Form radikaler Solidarität sein, etwas vom eigenen Blut abzugeben. Bei der Forderung, mehr Menschen zur Blutspende zuzulassen, ist es aber wichtig, die Hintergründe dieser Institution im Blick zu behalten und nicht zu vergessen, dass sie (historisch, symbolisch und praktisch) eng mit nationalen und kapitalistischen Interessen verknüpft ist. Wem nutzen also Forderungen nach Inklusion, und wem nicht?

In Deutschland wird - wie zuletzt im Sommer 2013 - am häufigsten die Frage des Ausschlusskriteriums "Männer, die Sex mit Männern haben", öffentlich kritisiert. Dabei ist ein wiederkehrendes Motiv die Normalisierung einer (weißen und gut situierten) schwulen Identität. "Wurden früher noch homo- und bisexuelle Männer mit Prostituierten, Häftlingen und Junkies in einer Fußnote in einen Topf geworfen, werden Männer heute nach Intimkontakt mit anderen Männern gefragt", wird in einem Artikel in der "taz" festgestellt. So setzt der Bericht - der eigentlich den Ausschluss der einen Gruppe von der Blutspende anprangern will - voraus, dass die anderen zu Recht als "Risikogruppen" gelten.

Solidarisch teilen

Außerdem fällt mir auf, dass die Blutspende als Beweis körperlicher Leistungsfähigkeit verstanden wird. Bluten und Anerkennung dafür bekommen? Das klingt im Vergleich zur Menstruation eher ungewohnt. Wenn aber die Konfrontation mit der Nadel als Mutprobe und das regelmäßige Spenden als "Marathon" beschrieben werden [9] und Blutspende-Kampagnen im Kontext von Sportvereinen und Langstreckenläufen auftauchen, wirft das die Frage auf, welche Dynamiken der Leistungsgesellschaft hier verstärkt werden.

Schließlich lässt auch die Forderung, die Blutspende für alle zu öffnen (und Blut nur auf der Grundlage von Tests auszuschließen), die Frage offen: Wer hat Zugang zum Gesundheitssystem und zu diesem Blut? Es gibt viele konkrete und pragmatische Forderungen, die in Bezug auf die Blutspende gestellt werden können und sollten. Dies soll jedoch ein Plädoyer dafür sein, auch die Frage im Sinn zu behalten, wie existenziell wichtige Dinge anders und solidarisch geteilt werden können.



Fußnoten

[1] Fragebögen unterschiedlicher Blutspendedienste sind online einsehbar, zum Beispiel: Blutspendedienst Nord-Ost des Deutschen Roten Kreuzes (PDF) oder Uniklinik Freiburg (PDF), in deren Fragebogen auch die Ausschlusskriterien detailliert aufgeführt sind.

[2] Mit "Biomedizin" (oft als "Schulmedizin" bezeichnet) ist die vergleichsweise junge Medizintradition gemeint, die in Westeuropa dominant ist und - u.a. durch (neo-)kolonialistischen Export - auch weltweit praktiziert wird. Die Biomedizin hat sich nie jenseits von Herrschaftsverhältnissen bewegt, sondern war an der Schaffung dieser Verhältnisse beteiligt.

[3] Siehe YouTube-Clip zur Kampagne der WHO "Every blood donor is a hero"

[4] Jörg Isringhaus: "Kritik an der Uniklinik Essen: Gehörlose dürfen kein Blut spenden", RP Online, 24.6.2013. Ein Fall vom Ausschluss einer blinden Person von Blutspende-Aktionen liegt dem Antidiskriminierungsbüro Sachsen vor.

[5] Vgl. Charlotte Galarneau: Blood Donation, Deferral, and Discrimination. In: The American Journal of Bioethics, 2/2010.

[6] Das Institut ist Teil des Bundesgesundheitsministeriums und mit der Aufgabe der "Hämovigilanz" (haíma - Blut, vigilare - wachen) betraut.

[7] "Dem Arbeitskreis Blut gehören Vertreter der Bundesärztekammer an, des Deutschen Roten Kreuzes, der Arbeitsgemeinschaft der Ärzte staatlicher und kommunaler Bluttransfusionsdienste, des Bundesministeriums der Verteidigung, der einschlägigen Fachgesellschaften, der pharmazeutischen Industrie, der Aufsichtsbehörden der Länder sowie der Verbände, in denen sich Hämophilie-Patienten zusammengeschlossen haben. Zusätzlich sind das zuständige Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie das Paul-Ehrlich-Institut als ständige Gäste im Arbeitskreis Blut vertreten."
Quelle: www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/AK_Blut/ak_blut_node.html

[8] Mitteilungen des Arbeitskreises Blut des Bundesministeriums für Gesundheit, 2013: "Befristete Rückstellung von der Blutspende bei Personen mit sexuellem Risikoverhalten"

[9] Interviewzitat eines Plasmaspenders in meiner Arbeit zum Thema, vgl. pourquoisaigner.blogsport.eu.

Leseempfehlungen rund um das Thema Blutspende

AG Rassismus in den Lebenswissenschaften (Hg.): Gemachte Differenz: Kontinuitäten biologischer "Rasse"-Konzepte. Münster: Unrast Verlag 2009.

Kieran Healy: Last Best Gifts: Altruism and the Market for Human Blood and Organs. Chicago: University of Chicago Press 2010.

Andrea Heinz: Wiener Blut. In: an.schläge, 5/2009

Uli Linke: Blood and Nation: The European Aesthetics of Race. Philadelphia: University of Pennsylvania Press 1999.

Mona Motakef: Körper Gabe: Ambivalente Ökonomien der Organspende. Bielefeld: transcript Verlag 2011.

Emilia Sanabria: Alleviative Bleeding: Bloodletting, Menstruation and the Politics of Ignorance in a Brazilian Blood Donation Centre. In: Body & Society, 15 (2), 2009, S. 123-144.

Nicholas Whitfield: Who Is My Stranger? Origins of the Gift in Wartime London, 1939-45: Who Is My Stranger? In: Journal of the Royal Anthropological Institute 19, May 2013. S. 95-117.


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Kathrin Hagemannhat Soziokulturelle Studien in Frankfurt/Oder studiert und lebt in Berlin. Im Moment beschäftigen sie Programmiersprachen, der NSU-Prozess und das Weiterspinnen ihrer abgeschlossenen Masterarbeit "Ausgeliefert oder aufgehoben? Die Vital Publics der Blutspende". Sie sammelt Interessantes zum Thema auf dem Blog pourquoisaigner.blogsport.eu und freut sich über Lese-Empfehlungen besonders zu Medizin, Herrschaft und Pathologisierung.