Über die Grenzen der Kunst
Die österreichischen Kunstuniversitäten sind - theoretisch - offen für alle, die bei der Zulassungsprüfung zum Studium eine künstlerische Eignung nachweisen. Für die meisten Kunststudien ist formal nicht einmal eine Matura notwendig. Trotz dieser formalen Offenheit sind Studierende aus soziokulturell und ökonomisch unterprivilegierten Lebenslagen selten an Kunstuniversitäten anzutreffen: Wenn sie überhaupt an der Eignungsprüfung teilnehmen, sind ihre Chancen verhältnismäßig gering, die Hürde der Prüfung zu nehmen. Dafür sind meist unausgesprochene Ausschlussmechanismen verantwortlich. Welche das sein könnten, versuchte vor einigen Jahren eine Studie über die Akademie der bildenden Künste Wien herauszufinden.
Zugangsbarrieren zum Kunststudium
2009 wurden - im Auftrag der Arbeitsgruppe für Antidiskriminierung - an der Akademie Bewerber_innen für ein Studium der bildenden Kunst befragt. [1] Dabei wurde nicht nur gefragt, welche Aspekte des Zulassungsverfahrens aus Sicht der Bewerber_innen benachteiligend waren. Ebenso wurden die Zulassungschancen verschiedener Bewerber_innen-Gruppen erhoben.
Darüber hinaus wurden soziale und kulturelle Ressourcen der Interessent_innen ermittelt, die die Chancen zum Bestehen der Prüfung beeinflussen könnten - etwa ob jemand in der Familie der Interessent_innen im Kunst- und Kulturfeld arbeitet, ob die Interessent_innen bereits an künstlerischen Bildungsangeboten teilgenommen und Ausstellungserfahrung haben, oder auch, ob sie mit Studierenden der Akademie bekannt oder befreundet sind.
Türöffner zum Kunstfeld
Zwar fanden sich bei der Befragung keine Hinweise darauf, dass Migrant_innen oder Interessent_innen mit niedriger sozioökonomischer Herkunft bei der Prüfung unmittelbar schlechter behandelt wurden. Allerdings wurde deutlich, dass indirekte Ausschlussmechanismen eine Rolle bei der Zulassung spielen konnten.
Zum Beispiel hatten jene Bewerber_innen, die schon erste Kontakte und Erfahrungen im Kunstfeld gesammelt hatten, größere Chancen auf eine Zulassung als andere. Es zeigte sich, dass diese Kontakte zu Künstler_innen oder Kunststudierenden vor allem bei jenen Bewerber_innen bestanden, deren Eltern Akademiker_innen waren, oder wenn es familiäre Kontakte zum Kunstfeld gab. Diese Kontakte führten wiederum dazu, dass diese Bewerber_innen vor der Prüfung häufiger die Akademie besucht hatten und daher die Professor_innen kannten. Sie waren zumeist besser informiert und konnten auch auf die Unterstützung dieser Kontakte bei der Prüfungsvorbereitung zurückgreifen. Häufig konnten sie etwa die Arbeiten ihres Portfolios mit Personen besprechen, die mit dem Kunstfeld und Kunstuniversitäten vertraut waren. Dadurch erhöhten sich ihre Zulassungschancen.
Interessent_innen mit geringen Kontakten zur Kunst- und universitären Szene - etwa aus Arbeiter_innenhaushalten - kannten die Lehrenden seltener und waren schlechter über die Modalitäten der Eignungsprüfung im Detail informiert. Beispielsweise wussten nur wenige, dass man sich nicht nur allgemein am Institut für bildende Kunst, sondern auch gezielt bei einer Professor_in (oder auch mehreren) bewerben kann. Österreichische Bewerber_innen mit Migrationshintergrund kannten Professor_innen ebenfalls seltener vom Besuch einer Akademie-Klasse oder über Kunststudierende.
Ungleiche Verteilung von Chancen
Demnach waren die Chancen einer Studienzulassung je nach sozialer Herkunft unterschiedlich: Bewerber_innen, deren Familienmitglieder im Kunstfeld tätig waren, hatten - insbesondere wenn diese in Österreich lebten - relativ gute Chancen, selbst Zugang zu einer künstlerischen Ausbildung zu erhalten. Auch Interessent_innen aus Familien mit akademischer Bildung und hohen Berufspositionen hatten eine zweieinhalbmal größere Chance auf einen Studienplatz als jene, deren Eltern niedrige Berufspositionen und Bildungsabschlüsse hatten.
Die soziale Herkunft und die damit verbundenen sozialen, kulturellen und ökonomischen Vorteile prägten auch die Zugangschancen von Migrant_innen. So bewarben sich an der Akademie viele Bewerber_innen aus dem Ausland, die häufig aus akademischen Familien stammten, im Durchschnitt älter als andere Bewerber_innen waren und oft bereits ein Studium abgeschlossen hatten. Auch sie hatten relativ gute Chancen, am Ende der Eignungsprüfung einen Studienplatz zu erhalten.
Anders sah es bei österreichischen Bewerber_innen mit nicht-deutscher Erstsprache oder Eltern ohne österreichische Staatsbürger_innenschaft aus: Von ihnen waren nur wenige bei der Prüfung erfolgreich. Dies galt auch für österreichische Bewerber_innen, die zum Zeitpunkt der Prüfung noch nicht in Wien wohnten und aus den Bundesländern anreisten - von ihnen erhielt kaum jemand einen Studienplatz.
Institutionelle Verantwortung
Insgesamt zeigte sich also, dass die Chancen auf einen Studienplatz deutlich von den sozialen und kulturellen Ressourcen der jeweiligen Bewerber_in abhängig waren - und dass diese Ressourcen ungleich verteilt sind.
Die genannten kulturellen und sozialen Ausschlussmechanismen können jedoch nur dann eine Rolle für den Zugang zu Kunst und Kultur spielen, wenn diesen Aspekten von Seiten der Institutionen Bedeutung zugeschrieben wird. Dass bestimmte Informationen etwa nur durch persönliche Kontakte zugänglich sind, ist ein Nachteil für jene Interessent_innen, die aufgrund ihrer sozialen, regionalen oder nationalen Herkunft vor Studienbeginn noch keinen Fuß in österreichischen bzw. Wiener Kunstinstitutionen haben. Eben hier setzt auch die Verantwortung von Kunsthochschulen für eine Benachteiligung von bestimmten Interessent_innen ein.
Konstruktion von Abweichung
Hinzu kommt, dass natürlich auch künstlerische Bildungsinstitutionen nicht frei von rassistischen, klassistischen und sexistischen Strukturen sind. So zeigen etwa Befragungen von Lehrenden an Kunsthochschulen in der Schweiz und Großbritannien, dass die Beurteilungskriterien der künstlerischen Eignung nicht neutral sind. [2] Bei der Beurteilung kommen u.a. Deutungsmuster zum Einsatz, in die Vorstellungen von ethnischer und ästhetischer Normalität eingelagert sind. Etwa dann, wenn im Abfragen von künstlerischen Vorbildern Erwartungen einfließen, die nur durch die Nennung von Namen aus dem okzidental modernistischen Kontext befriedigt werden können, oder wenn von ethnisch markierten bzw. als markiert konstruierten Menschen erwartet wird, dass sie sich auch künstlerisch in erster Linie mit ihrer Herkunft auseinandersetzen. Dadurch werden jene Personen und künstlerischen Positionen als ungeeignet ausgeschlossen, die von diesen Normalitätsvorstellungen abweichen. Letztere bleiben jedoch selbst unthematisiert und wirken weiterhin als normativ.
Migrant_innen werden in verschiedenen Hinsichten als von der Norm abweichend konstruiert, wie in diesen Studien anhand von Gesprächen mit Mitgliedern von Prüfungskommissionen sichtbar wurde. Auf der einen Seite werden künstlerische Fähigkeiten von Migrant_innen als nicht dem Kanon entsprechend entwertet und der Blick vor allem auf ihre vermeintlichen Defizite gerichtet. Auf der anderen Seite schreiben manche Mitglieder von Zulassungskommissionen Migrant_innen exotisierend spezifische Fähigkeiten zu - etwa durch die stereotype Zuschreibung, sie würden "migrantische Kunst" machen. Übrig bleibt die Migrant_in als Abweichung und Ausnahmeerscheinung.
Ausschlussmechanismen überwinden?
An der Akademie der bildenden Künste Wien gibt es mittlerweile erste Versuche, einen bewussteren und weniger diskriminierenden Umgang mit diesen bekannten Ausschlussmechanismen zu finden. Es gibt Initiativen, die den Erstkontakt für Interessent_innen erleichtern sollen - etwa, indem kurze Besprechungen der Portfolios angeboten werden, mit denen man sich um eine Aufnahme an der Akademie bewerben muss. In der Form von Speed-Datings in verschiedenen (bislang nur Wiener) Schulen werden Schüler_innen auf die Möglichkeiten eines Kunststudiums (auch ohne Matura!) aufmerksam gemacht.
Zudem startete im Oktober 2013 das Projekt "Die Akademie geht in die Schule", das vom Bundesministerium für Wissenschaft und Wirtschaft gefördert wird. Das Ziel dieses fünfjährigen Projekts ist ein doppeltes: Einerseits sollen Jugendliche aus sozial, kulturell oder ökonomisch benachteiligten Kontexten auf die Möglichkeit, Kunst zu studieren, aufmerksam gemacht werden. Auf der anderen Seite will das Projekt diejenigen Menschen, die ihren Weg an die Akademie bereits gefunden haben - sei es als Student_in, als Lehrende_r oder sonstige Mitarbeiter_in -, auf die Mitwirkung an problematischen Normalitätsvorstellungen aufmerksam machen und diese Normalität verändern.
Wer Fragen zum Zugang an die Akademie der bildenden Künste Wien hat oder dabei Unterstützung braucht, ist eingeladen, sich beim Projekt "Die Akademie geht in die Schule" zu melden (Tel.: +43 (1) 588 16-9319; E-Mail: g.oezayli@akbild.ac.at).
Fußnoten
[1] Barbara Rothmüller: "Soziale Barrieren beim Zugang zu einem künstlerischen Studium. Konzeption und Ergebnisse einer empirischen Studie in antidiskriminatorischer Absicht". In: Uta Klein/Daniela Heitzmann (Hg.innen): Hochschule und Diversity. Theoretische Zugänge und empirische Bestandsaufnahme. Weinheim: Beltz Juventa 2012. S. 86-105.
Für eine breitere Aufarbeitung von Gerechtigkeitsproblemen von Zulassungsverfahren und exemplarische künstlerische Auseinandersetzungen damit im Kontext von Zulassungsverfahren siehe: Barbara Rothmüller: Chancen verteilen. Ansprüche und Praxis universitärer Zulassungsverfahren. Wien: Löcker 2011.
Der Endbericht zur "BewerberInnen-Befragung am Institut für bildende Kunst 2009" findet sich auf der Seite www.akbild.ac.at/Portal/akademie/uber-uns/Organisation/arbeitskreis-fur-gleichbehandlungsfragen oder hier als PDF-Download.
[2] Catrin Seefranz/Philippe Saner: Making Differences: Schweizer Kunsthochschulen. Explorative Vorstudie. Zürich: Zürcher Hochschule der Künste 2012.
PDF-Link: http://iae.zhdk.ch/fileadmin/data/iae/documents/Making_Differences_Vorstudie.pdf
Penny Jane Burke/Jackie McManus: Art for a Few. Exclusion and Misrecognition in Art and Design Higher Education Admissions. London: National Arts Learning Network 2009.
PDF-Link: http://blueprintfiles.s3.amazonaws.com/1321362562-AFAF_finalcopy.pdf
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