Glossar der politischen Selbstbezeichnungen (Teil 2)
Von A bis Z: Ein "Talking back from the margins" (bell hooks). Teil 2 der Glossar-Serie.
Teil 2: Bitch, Lady, Migrantin, Secondas
Whatcha talk? Whatcha say? Huh?
She’s a bitch
When you say my name
Talk mo’ junk but won't look my way
She’s a bitchsize>
See I got more cheese
So back on up while I roll up my sleeves.
Missy Elliott: "She’s a Bitch" (1999)
Ich bin ’ne Bitch!
Du meinst, dass du mich disst, nennst du Ficker mich Bitch? Junge die Wahrheit ist –
Ich bin ’ne Bitchsize>!
…
Du willst wissen was ne Bitch ist, ha? Komm ich zeig dir was 'ne Bitch ist!
(Bitch ist …)
Eine Fotze, unrasiert
Einen Macho wie ein Köter kastrieren
Mit fünf Jahren schon masturbieren
Mit zwölf seine Jungfernhaut verlieren
Mit Kopftuch eine Kippe zu rauchen
Seinem Vater nicht alles zu glauben
Ein Leben von Affäre zu Affäre
Dass ich mich vom Bitchen ernähre!
Lady Bitch Ray: "Ich bin ’ne Bitch" (2007)
Wann hast du begonnen, dich selbst als ,Bitch‘, als Hure zu bezeichnen?
Ich kann mich noch genau erinnern, wann und wo das war: 1984 in Philadelphia, im Spectrum. Ich ging auf die Bühne und sagte: "Stellt die Musik ab, macht die Lichter aus …‚ ’cause … I … am … one … bad … bitchsize> … so throw your hands up, throw your hands up!" Die Leute haben getobt. Eine Bitch kann eine starke Frau sein, die bewundert und beneidet wird. Sie ist selbständig und erhält sich selbst und einen gewissen Lebensstil, ohne dafür mit einem Mann ins Bett zu gehen. So eine Art Bitch bin ich. Das Wort für sich selbst neu zu bestimmen, ihm eine neue Bedeutung zu geben, heißt, ihm seine vorgefertigte negative Zuschreibung zu nehmen. Wenn sie dich beschimpfen, spürst du den Schmerz nicht mehr. Und wenn das Wort nicht mehr funktioniert, müssen sie ein neues suchen. Eine Hure war ich von Anfang an. (…) Mittlerweile sind ihnen die Schimpfworte ausgegangen.
Roxanne Shanté: "I Am One Bad Bitch", in: Anette Baldauf/Kathrina Weingartner (Hg.innen): Lips. Tits. Hits. Power? Folio: Wien/Bozen 1998.
Als Reaktion auf den unsäglich vereinnahmenden Medienhype eigneten sich ehemalige Riot Grrrls den Begriff "Lady" an und zelebrierten das erste Ladyfest im Jahre 2000 in Olympia, Washington. Wie "Girl" ist auch "Lady" als Rückeroberung zu verstehen – so wie man sich zuvor "bitch" oder "slut" subversiv angeeignet hatte (…). Eine Ladysize> ist eine Frau, die Respekt einfordert, sich ihrer Fähigkeiten bewusst ist und nicht mehr um Anerkennung kämpfen muss. Dabei wird "Lady" keineswegs biologistisch verstanden, sondern bezieht gezielt queere und transgender Personen mit ein, denn schließlich ist eines der Ziele des Ladyfests die Aufhebung von Zwangsheterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit.
Pressegruppe des Ladyfest Hamburg 2003, zitiert in "ak – analyse + kritik", Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 474/2003.
LaD.I.Y.fest is a non-profit, volunteer run "Do It Yourself" (D.I.Y.) festival of music, art, film, discussions and workshops organized and orchestrated by feminist activists, artists and musicians of various genders. It helps to showcase the skills and talents of a diverse group of groundbreaking feminist people working in the arts, community building and activism. It is a participatory festival, and most importantly, a community festival that is bound together within a worldwide network.
The history of Ladyfest traces back to the Riot Grrrl movement in the US which took place in the beginning of the 90’s. When the term "girl" became more and more adopted by both the fashion and music industries, the grrrls took matters into their own hands and created the tougher and more mature "lady"size> to create a new subversive term that they could better relate to. They formed a more fitting and independent identity to show that feminism could be cool, refractory, sexy and nasty at the same time. After the first Ladyfest 2000 in Olympia, the idea soon spread to England, Italy, The Netherlands and Germany.
aus: "About LaD.I.Y.fest Berlin", zitiert von der Homepage
Gelegentlich ist allerdings nicht mehr so klar, was sich hinter der Kategorie "Frau" verbergen soll. Mit dem Begriff "Lady" ist dies nun auch nicht mehr unbedingt notwendig. Denn die bürgerliche Weiblichkeit – die feine, wohlerzogene, feminine Frau –, für die Lady steht, kann damit ohnehin nicht affirmativ gemeint sein. Vielmehr bietet die ironische Selbstbezeichnung und Aneignung eines respektablen Begriffs bietet die Möglichkeit, sie zu unterwandern. Eine Ladysize> muss nicht mehr um Anerkennung kämpfen und kann sich daher mehr erlauben – möglicherweise sogar über das "Frau-Sein" hinausgehend.
aus: "was heisstn lady", zitiert von der Homepage Ladyfest Wien 2004.
Die Bestimmung unserer eigenen politischen Identität als Migrantinnen verstehen wir als Gegenentwurf, als Bezeichnung eines oppositionellen Standorts. Wir sind uns der Gratwanderung bewußt, auf die wir uns begeben, wenn wir eine strategisch gedachte Identität konstruieren, die möglicherweise für einige ausschließend und für andere wiederum einengend wirkt. Doch erscheint es uns wichtig, dass über die Position, die wir einnehmen, die Einwanderungsgeschichte und -politik dieses Landes in den Mittelpunkt rückt.
Dabei geht es auch darum, die herrschenden Kulturalisierung von sozialen Unterschieden in Frage zu stellen, die uns auf die Position der "Anderen" und "Fremden" verweist. Indem wir dagegen versuchen, eine Migrantinnen-Politik zu bestimmen, die sich nicht in nationalen oder kulturellen Räumen verortet, sondern Widerstandsmöglichkeiten innerhalb der gesellschaftlichen Widersprüche aufsucht, möchten wir die Logik der Spaltung des ,Eigenen“ vom "Fremden" (und umgekehrt) aufbrechen und aus der uns zugeschriebenen Objektposition heraustreten.
Die Notwendigkeit einer solchen Politik wurde uns unter anderem nach dem fünften Studienkongress Schwarzer Frauen (in Frankfurt, Bielefeld und Berlin) im Sommer 1991 klar, an dem einige von uns teilgenommen hatten. Damals kamen wir zu dem Schluß, uns als Migrantinnen zu organisieren. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die meisten von uns als "Schwarze Frauen" verstanden, das heißt als Frauen, die nicht nur über Sexismus Unterdrückung, Ausbeutung und Ausgrenzung erfahren, sondern auch über rassistische Praktiken. Während des Kongresses wurde uns klar, daß die Kategorie "Schwarz" unsere spezifischen Erfahrungen nicht fassen kann. Denn zum einen ist unsere Hautfarbe nicht schwarz und zum anderen bringt diese Kategorie den Grund für unsere Anwesenheit in Deutschland nicht zum Ausdruck. Der Begriff Migrantinsize> dagegen kennzeichnet den Schritt der Immigration, den zum Teil unsere Eltern oder auch wir selbst machten, vor allem aber unterstreicht er die politisch-soziale Komponente des Vergesellschaftungsprozesses. Am Beispiel der Migration wird die Funktion des Rassismus in der nationalen und internationalen Arbeitsteilung deutlich.
FeMigra (Feministische Migrantinnen, Frankfurt): "Wir, die Seiltänzerinnen. Politische Strategien von Migrantinnen gegen Ethnisierung und Assimilation", in: Cornelia Eichhorn/Sabine Grimm (Hg.innen): Gender Killer. Texte zu Feminismus und Politik. Edition ID-Archiv: Berlin/Amsterdam 1994.
Als Secondassize> bezeichnen wir junge Frauen, welche den Migrationsentscheid nicht selber gefällt haben. Sie sind mithin nicht aus eigener Initiative migriert, sondern wanderten als Kind oder Jugendliche mit ihren Familien in die Schweiz ein, zogen in Folge des Familiennachzugs zu ihren Eltern in die Schweiz oder wurden hier geboren, besitzen aber ausländische Wurzeln, weil ihre Eltern in die Schweiz migrierten. Ob sie inzwischen über einen Schweizer Pass verfügen oder nicht, ist dabei nicht ausschlaggebend.
zitiert aus "Dokumentation Café Secondas", von der Homepage Café Secondas
Wir Secondassize> und Secondos sind meist in der Schweiz geboren, haben fast unser ganzes Leben hier verbracht, sind hier zur Schule gegangen und haben hier eine Ausbildung absolviert. Bei den Lehrstellen sind wir laut Statistik trotzdem zweite Wahl. Genauso wie unsere eingewanderten Eltern gelten wir für viele in der Schweiz als Ausländerinnen und Ausländer. Dabei sind 43 Prozent von uns eingebürgert – trotz eines Verfahrens, das je nach Kanton und Gemeinde verschiedenste Kriterien beinhaltet, so gesehen keineswegs gerecht ist und oft sogar Willkür zulässt. Die anderen 57 Prozent von uns wollten oder durften nicht Schweizer(innen) werden – und damit weder abstimmen noch unbegrenzt ins Ausland gehen, ohne das Aufenthaltsrecht zu verlieren.
Die meisten von uns sind ziemlich angepasst, gut integriert und zum Glück nicht komplett assimiliert. Wir können und wollen uns nicht für die eine oder andere Kultur entscheiden, die wir unfreiwillig in uns tragen. Doch wir können eine Brücke sein zwischen immigrierten Ausländer(innen) und Schweizer(innen), weil wir selbst beides sind: irgendwie Ausländer(innen), irgendwie Schweizer(innen). "Secondo" oder "Seconda" ist eine etwas spezielle Identitätskategorie. Zwar sind wir untereinander keineswegs gleich, sondern sogar sehr verschieden, dennoch verbindet uns im Schweizer Alltag vieles.
Netzwerk Secondo – Informationsplattform für die Zweite Generation"
1.4 Millionen Menschen ohne Schweizer Pass leben zurzeit in der Schweiz. Die grosse Mehrheit besitzt eine Niederlassungsbewilligung, hat hier Wurzeln geschlagen, gedenkt hier zu leben. Es macht keinen Sinn, 28% der Bevölkerung dem demokratischen Prozess fernzuhalten. Das Stimm- und Wahlrecht für MigrantInnen ist längst überfällig, wir von den Second@ssize> Plus setzen uns dafür ein.
Über wie viele Generationen ist Mann/Frau noch Ausländer/in? Die restriktive Einbürgerungspolitik der Schweiz verfälscht die Zahlen der Ausländerstatistik. Diese fiktiven Zahlen sind wiederum ein gefundenes Fressen für all jene, die Fremdenhass schüren. Eine liberale Einbürgerungspolitik nach dem Prinzip des Jus solis tut Not.
Von der Defensive zur Offensive. Wir setzen uns für eine aktive Migrations- und Gleichstellungspolitik ein: Machen wir uns keine Illusionen: Für die Anliegen der MigrantInnen wird es nie eine Hochkonjunktur geben. Es ist demnach sinnlos auf bessere Zeiten zu warten. Ständig nur auf die Hetze der Rechten reagieren, ist höchst kontraproduktiv. Jetzt müssen wir den Takt angeben, sich aktiv als MigrantIn für die Anliegen der MigrantInnen einsetzen. Dazu braucht es Vorstösse in den Räten und Diskussionen an der Basis. Kurzum es braucht den politischen Willen, auch in "schlechten" Zeiten zu den MigrantInnen zu stehen, und das Bewusstsein, dass Migrationspolitik keine Randgruppenpolitik ist. Wir haben einen beträchtlichen Leistungsausweis. Was wäre die Schweiz ohne Migrantinnen und Migranten? Ohne ihr Wissen, ihre Kulturen, ihre Arbeit, ihre Steuern, ihre Zahlungen an die Sozialleistungen?
Wir nehmen jetzt aktiv am politischen Geschehen der Schweiz teil! Nur zu oft wird über unseren Köpfen hinweg und zumeist auf unsere Kosten politisiert. Dass auch MigrantInnen eine eigene Meinung haben, nicht nur was Migrationspolitik anbelangt, scheinen die wenigsten wahrhaben zu wollen. Das Bild der MigrantInnen in den Medien und in der Gesellschaft ist negativ geprägt. Die Ansätze der PolitikerInnen und der Institutionen sind dementsprechend defizit- und problemorientiert. Wir wollen unsere Meinungen frei äussern und stehen für ein neues Bild der Migration ein.
Teil 1 der Glossar-Serie: Afro-deutsch, Krüppelin, Queer, Schwarz, Tschusch.