Der Battyman wehrt sich
Der Song "Boom Bye Bye" von Buju Banton von 1992 gilt als erster sogenannter "Battyman Tune" der Dancehall-Szene Jamaikas. "Battyman Tunes" sind Songs, in denen gegen schwule Männer gehetzt, ja sogar zum Mord aufgerufen wird. Lesben kommen – wie so oft in homophoben und männlich dominierten Strukturen – nur selten vor. Die weibliche Sexualität wird marginalisiert, dafür der Sex zwischen Männern auf Analverkehr reduziert und daher als besondere Bedrohung wahrgenommen: Der Ausdruck "Battyman" heißt nichts anderes als "Arschmann".
Beginn der "Stop Murder Music"-Kampagne
Der "Battyman Tune" setzte sich im Laufe der 1990er Jahre durch. Sizzla, Elephant Man, Shabba Ranks, Bounty Killer, Capleton, T.O.K. und viele andere nahmen schwule Männer ins Visier ihrer Songs. Da ist unter anderem davon die Rede, dass jedem "Battyman" eine Kugel durch den Kopf zu schießen sei oder man sie bei lebendigem Leib verbrennen solle.
Durch die Zuwanderung karibischer Migrant_innen nach Großbritannien fanden Ausdrücke wie "Battyman" oder "Chi Chi Boy" ("affektierter Junge") auch Eingang in die britische Subkultur. Daher war es auch ein britischer LGBT-Aktivist, der Mitte der 1990er-Jahre aktiv wurde: Peter Tatchell änderte die namentliche Bezeichnung dieser besonderen Form jamaikanischer Musik in "Murder Music" und startete die Kampagne "Stop Murder Music". Die nachhaltigste Errungenschaft davon war der "Reggae Compassionate Act" (RCA), ein Dokument, das die Musiker dahingehend verpflichtete, auf Hass-Songs zu verzichten und diese nicht auf der Bühne zu performen. Die Kampagne wurde schließlich auch in Deutschland und der Schweiz gestartet.
Fallstricke
In Österreich waren es die Grünen Andersrum, die dieses Thema aufgriffen und mit dem RCA heimische Veranstalter_innen dazu verpflichteten zu garantieren, dass Hass-Songs samt Mordaufrufen nicht gesungen werden. Fast alle Künstler unterschrieben den Vertrag.
Ob all dies etwas nützt, darf allerdings angezweifelt werden. Denn so einfach ist es leider auch wieder nicht. Dies hat vorwiegend folgende fünf Gründe:
(1) Wenn jamaikanische Künstler in Europa auf "Battyman Tunes" verzichten, diese aber in Jamaika wieder voller Freude performen und Interviews geben, in denen sie sich von einer Unterschrift unter dem "Reggae Compassionate Act" distanzieren, hat man dann etwas erreicht? Wenn in Jamaika eine politische Partei mit einem "Battyman Tune" Wahlwerbung betreibt, was hilft dann eine "Stop Murder Music"-Kampagne in Europa? Und allem voran: Wenn in Jamaika nicht nur über Morde an Schwulen gesungen wird, sondern diese auch seit Jahren tatsächlich stattfinden, hat man dann etwas erreicht? Wenn sich jamaikanische Artists verteidigen, indem sie die realen als ein Problem genereller Kriminalität bezeichnen und meinen, die schwulen Opfer seien halt zufällig schwul; oder wenn sie meinen, Europa würde die Songs ohnehin alle missverstehen, denn beim Verbrennen gehe es ja um eine religiöse Läuterung im Sinne der Rastafari-Religion, hat man dann etwas erreicht?
Dies sind Fragen, die sich die Initiator_innen der Kampagne, auch der Autor dieser Zeilen, überall stellen. Und das macht es auch so schwierig. Andererseits sind die Artists von den Einnahmen ihrer Konzerte abhängig. Das ist immerhin eine Chance auf Veränderung.
(2) In Österreich gab es bei allen Fällen, in denen Artists mit homophobem Repertoire auftraten, eine besondere Herausforderung. Bislang mussten immer zuerst Lesben und Schwule laut aufschreien, wenn einer der Sänger gebucht wurde. Die Veranstalter_innen kennen zwar das Problem der "Battyman Tunes", scheinen es aber nach wie vor zu ignorieren. Erst wenn Aktivist_innen anrufen, werden sie aktiv und organisieren schnell eine Unterschrift unter dem RCA. Von einem wirklichen Erfolg der "Stop Murder Music"-Kampagne in Österreich kann erst gesprochen werden, wenn Veranstalter_innen von sich aus aktiv werden. Davon sind wir aber noch weit entfernt.
(3) Oft war die rechtliche Handhabe ein Problem. Bis vor einem Jahr konnte in Wien nur das Wiener Jugendschutzgesetz angewandt werden: Wien hat nämlich als eines der ersten Bundesländer festgeschrieben, dass Jugendliche vor Diskriminierungen und Gewaltaufrufen geschützt werden müssen. So wurden bei einigen Konzerten Ausweiskontrollen durchgeführt, und nur Über-18-jährige durften hinein. Seit etwa einem Jahr ist der Verhetzungsparagraf §283 StGB um den Aspekt der sogenannten „sexuellen Ausrichtung“ erweitert worden. Der Begriff „Aufruf zu einer feindseligen Handlung“ wurde allerdings in letzter Minute wieder gestrichen.
(4) Die Kontrollen vor Ort sind schwierig. Zwar kann ein Artist den "Reggae Compassionate Act" unterzeichnen, aber es sind weder Veranstalter_innen noch LGBTI-Aktivist_innen immer in der Lage, die verwendete jamaikanisch-kreolische Sprache Patois zu verstehen. Glücklicherweise gilt das auch für das Gros der Konzertbesucher_innen.
(5) Die Reggae- und Dancehall-Fans in Österreich solidarisieren sich leider kaum mit der LGBTI-Szene. Aktivist_innen bekommen regelmäßig Mails, in denen sie beschimpft werden, sie würden den Musik-Fans eine schöne Party versauen oder die kulturellen Bedingungen Jamaikas nicht verstehen. In Reggae-Foren wird gegen Lesben und Schwule gewettert, und nur selten mischt sich darin auch mal ein kritischer Ton. Der Wiener DJ Mickey Kodak fühlt sich etwa seit Jahren von Homosexuellen verfolgt. Besonders erschreckend ist, dass seitens der Fans auch Argumente verwendet werden, die man sonst nur seitens der extremen Rechte kennt: Man würde Zensur betreiben und sei gegen Meinungsfreiheit. Dass Mordaufrufe ein Verbrechen darstellen, wird dabei vollkommen ignoriert.
Ist also die "Stop Murder Music"-Kampagne ein Erfolg? Vielleicht. Es ist sicher ein Bohren harter Bretter. Aber immerhin werden "Battyman Tunes" kaum noch veröffentlicht und in Jamaika werden nach und nach auch feministische Künstlerinnen und anti-diskriminierende Acts wahrgenommen. Und das ist gut so.