Ausgabe 2010/2

Queer with(out) Borders

Der Bleiberechtstag am 10. Oktober ist Anlass für diesen Themenschwerpunkt, der "Queer Refugees" gewidmet ist – Flüchtlingen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität Gewalt erfahren haben oder solche fürchten müssen. In einem Gemeinschaftsprojekt mit dem feministischen Monatsmagazin "an.schläge" untersucht migrazine.at die Situation von LGBTI-Flüchtlingen (Lesbian, Gay, Transgender, Intersex) vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Asylpolitiken in Europa. Mit diesem Schwerpunkt unterstützen wir die Forderung: Bleibe- und Bewegungsrecht für alle, hier und jetzt!

Fokus ^

Einleitung

von an.schläge und migrazine

Seit den 1990er Jahren schotten sich die europäischen Staaten mit immer restriktiveren Asyl- und Fremdengesetzen gegen Zuwander_innen ab. Auch in der kürzlich von der SPÖ-ÖVP-Koalition vorgestellten Maßnahme der Flüchtlingshaft für Asylsuchende („Mitwirkungspflicht“) und im jüngsten Anschlag auf ein Grazer Asylheim manifestieren sich einmal mehr staatlicher Rassismus und rechte Hetze.

Queer Politics im Exil und in der Migration

von Encarnación Gutiérrez Rodríguez und María do Mar Castro Varela

Was bedeutet "Queere Politik" im Kontext von Asyl und Migration? Wie werden "Ausländerinnen" und "Lesben" vom deutschen Staat "angerufen"? Und welche Auswirkungen hat dies auf die Selbstwahrnehmung und die politischen Handlungsstrategien von immigrierten und exilierten lesbisch lebenden Frauen? Eine kritische Betrachtung der Ein- und Ausschlusslogik im Rahmen des Nationalstaates und ihrer subjektkonstituierenden Wirkungskraft.

Frauen im Exil und in der Migration haben nicht nur mit Unsichtbarmachung und Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts zu kämpfen. Vielmehr sehen sie sich mit ständiger Kontrolle und Regulierung ihres Bewegungsraumes aufgrund des Status als "Ausländerin" konfrontiert. Eine Repräsentation ihrer Stimmen auf politischer oder diskursiver Ebene findet in Öffentlichkeit wie Gegenöffentlichkeit kaum statt. [1] Anthologien wie "Talking Home. Heimat aus unserer Feder.

We are queer, we are … here?

von Petra Sußner

Mit der Einführung der Eingetragenen Partnerschaft für lesbische und schwule Paare im vergangenen Jahr wurde auch das Asylgesetz novelliert. Erstmals erhalten damit gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften asylrelevante Bedeutung. Was zunächst wie ein Fortschritt wirkt, stellt sich bald als zynische Fortsetzung heteronormativer Traditionen dar.

Wir schreiben den 10. Dezember 2009. Amnesty International feiert den Tag der Menschenrechte. Der österreichische Nationalrat beschließt das "Eingetragene Partnerschaft-Gesetz" (EPG). Aber nicht alle jubeln. Warum auch? Wer nicht in einer heterosexuellen Zweierbeziehung lebt, darf auch nicht am Standesamt heiraten. Adoption ist für schwule und lesbische Partner_innen weiterhin nicht möglich. Auch den Möglichkeiten, die ihnen die Reproduktionsmedizin längst bietet, wurde ein rechtlicher Riegel vorgeschoben.

Dutch LGBT Asylum Policy (english)

von Sabine Jansen, COC Netherlands

Although LGBT refugees still face problems in the Netherlands, there have been improvements in the Dutch asylum policy towards LGBTs in recent years.

The first time persecution for reasons of sexual orientation was recognised in the Netherlands was as early as 1981. In that year the High Administrative Court ruled that a gay man from Poland belonged to a particular social group. Nowadays this principle has become EU law, as it is included in the "EU Qualification Directive". However, several specific problems remain, comparable to the problems LGBTs meet in most countries receiving asylum seekers. I will give two examples of the problems I found in Dutch case law and in decisions of the Dutch Immigration Agency (IND).

Fluchtwege freihalten

Interview mit Petra Limberger, Deserteurs- und Flüchtlingsberatung Wien

Die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung Wien unterstützt Asylsuchende mit den unterschiedlichsten Fluchtgründen in rechtlichen und sozialen Fragen. Das überwiegend ehrenamtlich tätige Team versteht seine Arbeit jedoch nicht als bloße Informationsvermittlung, sondern auch als Beitrag, der hiesigen restriktiven Asylpolitik entgegenzuwirken

migrazine.at: Könntest du beschreiben, wie und mit wem die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung arbeitet? Welche Angebote macht euer Verein?

Petra Limberger: Die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung bietet Rechts- und Sozialberatung für AsylwerberInnen, subsidiär Schutzberechtigte – also Personen, denen ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht in Österreich zuerkannt wurde – und anerkannte Flüchtlinge. Darüber hinaus finden bei uns Deutschkurse und ein Deutsch-Konversationsprojekt statt.

"Hello, Mrs. Butler, nice to meet you"

von Katharina Ludwig

Auf Initiative von Queers of Colour thematisierte Judith Butler beim diesjährigen Christopher Street Day in Berlin Homorassismus und Homonationalismus und löste damit eine heftige Debatte innerhalb der LGBTI-Szene aus. Die Aufmerksamkeit, die damit antirassistischen queeren Zusammenschlüsse zuteil wurde, war aber nur von kurzer Dauer.

Am Abend vor ihrem Auftritt beim Christopher Street Day (CSD) steht Judith Butler auf der Berliner Volksbühne, vor der biederen Kulisse des Stücks "Ein Chor irrt sich gewaltig". Nach ihrem Vortrag über "Queere Bündnisse und Antikriegspolitik" applaudiert der dicht gefüllte Saal der US-amerikanischen Philosophin, die wie ein Pop-Star gefeiert wird. Der Moderator lobt Butler dafür, dass sie sich auch politisch handfest äußern könne. Auf der Bühne werden ein paar Fragen an die 55-jährige Theoretikerin gestellt, eine beginnt mit: "Hello, Mrs.

Gefragt: Mehrfachdiskriminierung

von Katharina Ludwig

Eine aktuell durchgeführte Studie von LesMigraS soll multiple Diskriminierung aus der Unsichtbarkeit holen und dazu beitragen, das Unterstützungsangebot für lesbische und bisexuelle Migrant_innen, Schwarze Lesben und Trans*Personen zu verbessern.

Bezieht sich das Mobbing meiner MitschülerInnen auf meine Hautfarbe oder auf meine Sexualität? Ignoriert die Polizei meine Beschwerde aufgrund meines Geschlechts, wegen meiner (vermeintlichen) Religion oder wegen meines Alters? Gewalt lässt sich oft nicht an einer einzigen Identitätszuschreibung oder Kategorie von Diskriminierung festmachen – umgekehrt bleiben gerade solche verketteten Gewalterfahrungen häufig unsichtbar, weil z.B.

No Dead End (english)

Interview with Mahshad Torkan

"Cul de Sac" is a docudrama based on the true life story of LGBT activist and filmmaker Kiana Firouz, who fled from Iran to the UK. Mashad Torkan, co-writer/director/producer of "Cul de Sac", talks about the Iranian queer underground and how the movie contributed to the shift in the legal and public discourse on asylum in the United Kingdom.

migrazine.at: What does it mean to be lesbian/queer woman in today's Iranian society? How do they survive?

Crossover ^

Der dritte Ort

Interview mit Barbara Eder

Mit dem Aufstieg der "Graphic Novel" als "ernster" Comic-Gattung sind auch Erzählungen über das Leben in der Migration bzw. Diaspora verstärkt ins Blickfeld gerückt. Ein Gespräch über Fremdheitserfahrungen in Bildern, die Perspektive der "Autofiction" und die Kunst des Comics, Unsichtbares sichtbar werden zu lassen.

migrazine: In den 1980ern setzte sich der Begriff "Graphic Novel" auch im deutschsprachigen Raum durch, Comic-Romane wie "Maus – Die Geschichte eines Überlebenden" von Art Spiegelman gelten als Klassiker dieses Genres. Ist es Zufall, dass die "grafischen Novellen" oder AutorInnen-Comics, wie sie auch genannt werden, häufig autobiografisch inspiriert sind und "Fremdsein" zum Thema haben?

Tolérance Zéro für Roma

von Vina Yun

Im August begann Frankreich mit der Massenabschiebung hunderter Roma. Doch Staatspräsident Nicolas Sarkozy steht mit seiner Law & Order-Politik nicht alleine da: In ganz Europa wächst die antiziganistische Stimmungsmache.

Der Pariser Elysée-Palast Ende Juli: Nach einer Krisensitzung mit Staatspräsident Nicolas Sarkozy kündigt Innenminister Brice Hortefeux an, binnen drei Monaten die Hälfte der informellen Roma-Wohnsiedlungen im Land, also rund 300, abreißen zu lassen. Darüber hinaus verkündet Hortefeux: "Wir werden quasi umgehend damit beginnen, Roma, die die öffentliche Ordnung stören oder straffällig werden, nach Bulgarien oder Rumänien rückzuführen." Bis Ende August sollen insgesamt rund 700 Roma "in ihre Heimat" geflogen werden.

Comix von jüdischen Frauen – Das "Wimmen’s Comix Collective"

von Trina Robbins

Der Comic als "jüdisches" Medium stand im Mittelpunkt der Ausstellung "Helden, Freaks und Superrabbis. Die jüdische Farbe des Comics", die bis vor kurzem im Jüdischen Museum Berlin zu sehen war. Trina Robbins, feministische Comic-Künstlerin der ersten Stunde, zeichnet im folgenden Beitrag die "Herstory" des Comics aus der Perspektive der jüdischen Diaspora in den USA nach. [*]

San Francisco 1970, Geburtsstunde der Underground-Comix-Bewegung: ein reiner Männerverein. Für die meisten Comic-Autoren aus der San Francisco-Alternativszene war es quasi ein Muss, Gewalt gegen Frauen darzustellen und als lustig zu verkaufen – zum Teil als Reaktion auf die repressiven Vorschriften für Mainstream-Comics, dem "Comics Code", zum Teil getreu des Hippie-Credos, alles total locker anzugehen, und ganz eindeutig schwer unter dem Einfluss der frauenfeindlichen Comix der großen Ikone des Anti-Establishments, Robert Crumb.

Dialog mit dem Ich

von Olivera Stajić

In der grafischen Novelle "Nylon Road" verarbeitet die Comic-Zeichnerin Parsua Bashi ihre eigene Lebens- und Migrationsgeschichte zwischen dem Iran und der Schweiz.

2004 verlässt Parsua Bashi ihre Heimat, um "eine weitere Iranerin in Zürich" zu werden. Mit 37 Jahren will sie im Westen ein neues, von den Schatten der Vergangenheit losgelöstes Leben beginnen. Nach der ersten Phase der vermeintlichen Eingewöhnung an die neue Lebenswelt will sie alles richtig machen: Deutsch lernen, Job und FreundInnen finden und dabei natürlich die Verbindung zur alten Heimat aufrechterhalten.

Migration in Bildern

von Gudrun Rath

Das Berliner Kollektiv Migrantas übersetzt Erfahrungen der Migration in "sprechende" Piktogramme und trägt diese in urbanen Interventionen auf die Straße.

Im Winter 2003 treten sie zum ersten Mal an die Oberfläche des Stadtbildes und halten den Zeichen des urbanen Raums ihre eigene Sprache entgegen. Diese überschreitet sprachliche Barrieren, sie ist eine Sprache für alle: eine "visuelle Sprache der Migration", wie das Berliner Kollektiv Migrantas ihre Piktogramme beschreibt.