Wir sind auf dem Weg
migrazine.at: In Deutschland gibt es mittlerweile vier Beratungsstellen zu undokumentierter Arbeit. Was tut sich hierzulande?
Rudolf Kaske: Undokumentierte Arbeit ist natürlich auch in Österreich ein Thema. Aus dem Gespräch mit Peter Bremme – dem Mitbegründer der ersten gewerkschaftlichen Anlaufstelle für undokumentierte Arbeit in Deutschland, die von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di eingerichtet wurde – haben wir von der vida sehr viel mitgenommen. Wir stehen aber eher am Beginn. Zunächst geht es um Bewusstseinsbildung, auch innerhalb der Organisation.
Welche Erfahrungen mit undokumentierter Arbeit hat die vida Gewerkschaft?
Rudolf Kaske: Erfahrungen gibt es beispielsweise in der Pflege und Betreuung – wobei es hier in der Zwischenzeit eine "Legalisierung" gab. Im Tourismus ist das natürlich ein Thema, wo wir schon seit sehr langer Zeit Beratungen durchführen, aber es sind letztlich nur Einzelfälle, die uns bekannt sind. Ein weiterer, sehr großer Bereich ist der Haushalt.
Wie steht es um gewerkschaftliche Unterstützung für undokumentiert Beschäftigte?
Rudolf Kaske: Wenn sie sich an uns wenden, dann versuchen wir natürlich zu helfen. Keine Frage.
Martina Fassler: Hier ist Vernetzung sehr wichtig, um zu überlegen, was man aufbauen kann, um zu beraten oder auch, um die Betroffenen zu organisieren. Es gibt beispielsweise immer wieder Anrufe von Leuten, die als Au-Pair arbeiten oder gearbeitet haben und dann hier bleiben, obwohl sie nicht mehr dürfen. Meist bleibt es bei einem einmaligen Anruf, bei dem Auskunft zur rechtlichen Situation gesucht wird, oft auch ohne den Namen zu nennen, und das war's dann. Längere Kontakte gibt es selten. Die jetzt beginnenden gewerkschaftsübergreifenden Überlegungen, die Leute besser zu betreuen, sind ein Anfang.
Rudolf Kaske: Es ist auch nicht so einfach, die Leute aus der Illegalität herauszubringen. Undokumentierte Arbeit heißt: Wenn die Leute sich outen, dann haben sie ein rechtliches Problem. Das hat auch Peter Bremme von ver.di ganz klar gesagt hat. Als ver.di Hamburg eine undokumentierte Hausangestellte vor dem Arbeits- und Sozialgericht vertreten hat, hat es viel Kraft gekostet, dass sie im Land bleiben und bei Verhandlungsterminen aussagen konnte. Rechtlich ist das eigentlich nicht möglich aufgrund der Gesetze, die es in Deutschland und auch in Österreich gibt. Folglich war es für ver.di nicht so einfach, die Ansprüche geltend zu machen. Die Sorge, dass beim Gericht die Fremdenpolizei auftaucht, war immer dabei.
Aber bei dem erwähnten Beispiel ist das letztlich gut ausgegangen …
Rudolf Kaske: Ja, aber – das hat auch Peter Bremme von ver.di gesagt – man müsste hier an der Rechtslage etwas verändern, sonst sind diese ArbeitnehmerInnen immer von Ausweisung und Abschiebung bedroht.
Martina Fassler: Peter Bremme hat auch von einem anderen Fall erzählt: ein Serbe, der im Baugewerbe undokumentiert gearbeitet hat. Er ist nach Serbien zurückgegangen, hat dennoch mit Unterstützung von ver.di seinen Lohn eingefordert und konnte zur Verhandlung anwesend sein.
Während einem solchen arbeits- und/oder sozialrechtlichen Verfahren den Aufenthalt zu sichern, ist enorm wichtig. Wie steht ihr zu einer solchen Forderung?
Rudolf Kaske: Eine spannende juristische Frage. Der Aufenthalt ist zunächst ja quasi illegal. Das heißt, man müsste im Zuge des Verfahrens einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel stellen. Die Frage ist, ob undokumentierte Arbeit ein Rechtsgrund ist, der zu einem Aufenthaltstitel führt.
Karl Delfs: … wie beim Menschenhandel, wo es ein solches rechtliches Fundament gibt.
Rudolf Kaske: Man müsste eine Frist schaffen, sodass z.B. während der Zeit des Verfahrens die Betroffenen nicht abgeschoben werden und die Möglichkeit haben, vor dem Gericht auch eine Aussage zu tätigen, damit ArbeitgeberInnen zur Verantwortung gezogen werden können und die, die undokumentiert gearbeitet haben, auch zu ihrem Recht kommen.
Welche Perspektiven seht ihr zur Verbesserung der Situation von KollegInnen in undokumentierter Arbeit? Welche Forderungen gibt es?
Rudolf Kaske: Bei AsylwerberInnen gibt es bei uns eine klare politische Ansage: Wer AsylwerberIn ist, soll in Österreich auch die Möglichkeit haben zu arbeiten.
Martina Fassler: Im Haushaltsbereich könnte nun die Öffnung des Arbeitsmarktes ein Schritt zur Legalisierung sein. Dazu braucht es aber auch das Bewusstsein der ArbeitgeberInnen, dass es sich um ein Beschäftigungsverhältnis handelt. Bei der 24-Stunden-Betreuung ist letztlich eine Legalisierung erfolgt, wenn auch nicht in einer Form, von der wir als Gewerkschaft sagen können, dass alles bestens ist.
Rudolf Kaske: Im Bereich Altenpflege und Betreuung gibt es übrigens ein gemeinsam mit slowakischen Gewerkschaften initiiertes Projekt.
Martina Fassler: Zusammenarbeit erfolgt vor allem in der Beratung, an die sich vor allem Frauen wenden, egal in welchem Beschäftigungsverhältnis sie sind. Obwohl die meisten selbständig sind, gibt es nun Überlegungen, sie zu vertreten – obwohl die Gewerkschaft in Österreich normalerweise keine Selbständigen vertritt.
Wie schätzt ihr das Lohndumping- und Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz in Hinblick auf die Durchsetzung von gewerkschaftlichen Interessen ein? Was ändert sich am 1. Mai für KollegInnen in undokumentierter Arbeit?
Rudolf Kaske: Damit ist ein wichtiger Schritt gesetzt. Fairerweise muss man sagen, dass wir damit in Europa eigentlich einmalig unterwegs sind. Aber das betrifft natürlich in erster Linie die "legalen" Arbeitsverhältnisse – also, dass der Kollektivvertrag oder der Mindestlohn angewendet wird. Es ändert nichts am Problem der undokumentierten Arbeit.
Wie ist ein Kampf gegen Überausbeutung bei undokumentierter Arbeit möglich?
Rudolf Kaske: Wir haben natürlich versucht, solchen ArbeitgeberInnen das Handwerk zu legen. Ein ganz ein offenes Wort, dieses Beispiel ist mittlerweile gut 15 Jahre her: Wir wussten von einem Restaurant an der Alten Donau, dass dort etwa zehn bis 15 illegal Beschäftigte aus der Slowakei arbeiten. Daraufhin haben wir die Behörden eingeschalten: Arbeitsinspektorat, Polizei und so weiter. Und ich muss ehrlich sagen, ich war bei der Kontrolle dabei – und die Art des Vorgehens war erschreckend für mich! Warum? Die sind ausgebeutet worden, haben teilweise sogar in Zeltbetten geschlafen, wofür ihnen auch noch Geld abgeknöpft wurde. Natürlich wurden sie unter Kollektivvertrag entlohnt. Dann die Kontrolle, und sie sind noch am gleichen Tag – ich habe das auch gesehen – im Bus Richtung Grenze gebracht worden. Der Arbeitgeber hat sich eines gelacht...
Karl Delfs: … und sich die nächsten zehn organisiert?
Rudolf Kaske: Er hat schon eine Strafe bekommen, etwa 100.000 Schilling damals. Gezahlt hat er letztlich, nach dem Berufungsverfahren und weil er ja so ein armer Unternehmer war, glaube ich, 10.000 Schilling [ca. 726 Euro, Anm. d. Red]. Ich muss als Gewerkschafter ehrlich sagen, mir ist es wahnsinnig schlecht gegangen dabei. Denn der Unternehmer hat das wahrscheinlich aus der Portokassa gezahlt, aber die Leute haben ihren Job verloren und sind an die Grenze eskortiert worden.
Und was ist mit Sanktionen gegen ArbeitgeberInnen?
Rudolf Kaske: Nach den geltenden Gesetzen treffen Kontrollen bzw. ihre Folgen in erster Linie die ArbeitnehmerInnen und nicht die ArbeitgeberInnen, die es – so unser Ansatz – als erstes treffen müsste. Die ArbeitgeberInnen werden dadurch eigentlich nicht groß zur Verantwortung gezogen. Die ArbeitnehmerInnen hingegen – egal ob im Haushalt, in der Reinigung, in der Betreuung oder im Gastgewerbe – müssen fürchten, dass, wenn sie das Problem öffentlich machen, sie sofort von Ausweisung bedroht sind.
Karl Delfs: Daher outet sich de facto niemand, weil die Angst bei dieser Personengruppe natürlich sehr präsent ist.
Rudolf Kaske: Hier sind wir natürlich im Spannungsfeld von einerseits Arbeits- und Sozialrecht und andererseits Aufenthaltsrecht. Und über das Aufenthaltsrecht und Innenministerium will ich mich nicht verbreitern, das ist eine andere Geschichte …
Karl Delfs: Aber man kann schon sagen, dass sich im Laufe der Zeit die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür nicht gebessert haben.
Am 1. März 2011 haben erstmals auch in Wien Aktivitäten zum Transnationalen Migrant_innenstreik stattgefunden. Als "Tag ohne MigrantInnen" bzw. "Ein Tag ohne uns" hat der 1. März von den USA ausgehend seit 2006 in einigen Ländern, insbesondere auch in Frankreich und Italien, eine wichtige Bedeutung erzielt. Die vida hat diesen Aktionstag unterstützt. In welcher Form?
Rudolf Kaske: Durch Öffentlichkeitsarbeit, um auf das Thema und den Aktionstag aufmerksam zu machen.
Karl Delfs: Zudem haben wir ins Foyer des Gewerkschaftshauses eines dieser großen Reinigungswagerl gestellt – und da war eben kein Mensch dabei. Das war sehr auffällig und hat auf dem Podest fast wie eine Kunstinstallation ausgesehen. Wir haben ein Plakat darauf angebracht und gefragt, was bedeutet für uns "Ein Tag ohne uns"? Weiters haben wir aus dem 1.-März-Logo Buttons produziert, die dann ÖGB-Bedienstete und vida-Leute bis hin zu den Beschäftigten von ProMente in der Kantine getragen haben. Auf der Kundgebung waren wir auch vertreten. Wobei es uns als Gewerkschafter lieber gewesen wäre, wenn es "Ein Tag ohne uns" geheißen hätte, weil wir natürlich ein anderes Verständnis von Streik haben. Aber es war eine sehr gute Aktion.
Wie ist es dazu gekommen, dass sich die vida beteiligt hat? Was waren die Beweggründe?
Karl Delfs: Wir sind eigentlich regelmäßig in Kontakt mit NGOs. Als das Ansinnen an uns herangetragen wurde, haben wir sofort gesagt, da machen wir mit.
Rudolf Kaske: Die vida vertritt den Verkehrs-, Gesundheits- und Dienstleistungsbereich. Wir haben Berufsgruppen mit einem Anteil an MigrantInnen von bis zu 30 Prozent. Da sehen wir ganz klar, dass viele Wirtschaftszweige gar nicht funktionieren würden, würde es keine MigrantInnen geben. Deswegen ist es uns natürlich ein wichtiges Anliegen, dass die KollegInnen auch eine Stimme haben.
Am 1. März gab es in einigen Betrieben auch entsprechende Betriebsversammlungen. Würde die vida das grundsätzlich auch machen? Am 1. März 2012?
Karl Delfs: Wir haben uns das ernsthaft überlegt. Und – nachdem wir gemeinsam mit dem ÖGB in einem Haus sind – nicht nur als vida. Doch dafür war die Zeit relativ kurz, wir waren erst sehr spät eingebunden. Aber für 2012 haben wir eine Betriebsversammlung ins Auge gefasst und, dass wir jemanden von den OrganisatorInnen einladen, der erzählt, warum der 1. März so wichtig ist und worum es geht.
Beim Transnationalen Migrant_innenstreik ging es sehr stark auch um Rechte und Möglichkeiten von MigrantInnen. Wie arbeitet die vida konkret hierzu?
Karl Delfs: Aktuell haben wir das Projekt "WinAct – winning immigrants as active members". Im Zuge dessen haben wir gemeinsam mit der Forschungsstelle Arbeitswelt (FORBA) und migrare Oberösterreich begonnen, unsere BetriebsrätInnen zu schulen. In einem dreitägigen Seminar ging es darum, BetriebsrätInnen, die schon erfolgreich waren im Organisieren von Menschen mit Migrationsgeschichte, mit anderen BetriebsrätInnen mit weniger Erfahrung sowie den WissenschafterInnen von FORBA zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen.
Natürlich ist es für uns auch wichtig, Menschen mit Migrationsgeschichte zu organisieren und als Mitglieder zu gewinnen. Je stärker sie bei uns Mitglieder sind, umso stärker sind wir insgesamt und können sie auch dementsprechend vertreten. Wir haben Fragen erarbeitet wie: Welche Rolle spielt gewerkschaftliche Vertretung für MigrantInnen? Welche Relevanz hat die Integration von MigrantInnen in die Gewerkschaft? Anschließend haben wir gemeinsam unterschiedlichste Problemkonstellationen und auch Lösungsvorschläge erarbeitet.
Welche konkreten Problemlagen wurden dabei festgestellt?
Karl Delfs: Wir haben eine Reihe von spezifischen Problemen von ArbeitnehmerInnen mit Migrationshintergrund definiert: Prekarität, Jobs mit geringen Qualifikationserfordernissen egal welche Ausbildungen mitgebracht werden, gesundheitsgefährliche Jobs, niedrigere Bezahlung, Diskriminierung, schlechte Arbeitsbedingungen, Frage zu Arbeit und Aufenthalt, Sprachprobleme, Abhängigkeit von der Beschäftigungsbewilligung der ArbeitgeberInnen, Neue Selbständigkeit (in die MigrantInnen in verstärktem Ausmaß hineingedrängt werden), die Tatsache, dass MigrantInnen vielfach im Nieriglohnsektor abeiten usw. usf. Und wir haben festgestellt, dass MigrantInnen Vertretungsanspruch durchaus umfassender sehen, d.h. eine Beratung ausschließlich zum Thema Arbeitsrecht reicht nicht. All diese Bedürfnisse und Forderungen, sind von Menschen mit Migrationsgeschichte in den erwähnten Seminaren definiert bzw. erarbeitet und von den WissenschafterInnen dann dokumentiert worden.
… und welche Konsequenzen zieht ihr daraus?
Karl Delfs: Es ist zunächst wichtig, dass wir unsere BetriebsrätInnen weiterbilden, informieren und sensibilisieren. Wir wollen versuchen – das ist für eine einzelne Gewerkschaft ressourcenmäßig schwer leistbar, aber wir sind gerade in Gesprächen mit anderen Gewerkschaften – eine Beratungsstelle auf die Füße zu stellen, bei der auch zum Aufenthaltsrecht, zur Ausländerbeschäftigung und anderen Themen, die nicht unmittelbar die Arbeitsverhältnisse betreffen, beraten wird. Des Weiteren ist auch daran gedacht, gemeinsame kulturelle Veranstaltungen und Sportveranstaltungen durchzuführen. Und wir wollen versuchen zeit- und bedarfsgerechte Sprachkurse anzubieten. Kurzum: Wir wollen auch mit dem aus den USA kommenden Organizing-Prinzip arbeiten. Perspektivisch wollen wir, in jedem vida-Landesvorstand eine oder einen Migrationsbeauftragten situieren, um dann gemeinsam mit der zentralen Kompetenz zu versuchen, Betriebe mit vielen MigrantInnen zu organisieren.
Rudolf Kaske: Aber wir wollen MigrantInnen nicht nur als Mitglieder hereinholen, sondern wir wollen, dass sie auch Chancen und Möglichkeiten haben, sich selbst zu vertreten. Letzte Woche bei einem BetriebsrätInnen-Kurs habe ich im Pausengespräch KollegInnen mit Migrationshintergrund angesprochen und gefragt, ob sie sich – jetzt nur als Überlegung – vorstellen können Migrationsbeauftragte im Landesvorstand zu werden. Die Begeisterung war eigentlich relativ groß. Bei einer Kollegin aus dem Reinigungsgewerbe zum Beispiel. Die Chance, sich danach selbst zu vertreten, ist – glaube ich – das Entscheidende. Denn es geht auch darum, sich mehr aufgehoben zu fühlen, als wenn jemand anderer mich vertritt.
Martina Fassler: Also keine Stellvertreterpolitik.
Rudolf Kaske: So ist es. Und ich glaube, auf dem Weg sind wir. Und das ist ein guter Weg.
Interview: Daniela Koweindl und Jan Kreisky (PrekärCafé)
Das Interview erschien erstmals im Mai 2011 auf der Website "1. März – Transnationaler Migrant_innenstreik".
Links:
www.vida.at
www.prekaer.at
www.1maerz-streik-net