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Sprache. Macht. Geschlecht.

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von Beatrice Fischer

Seit fast drei Jahrzehnten setzen sich Feminist_innen für die Sicht- und Hörbarmachung von Frauen in der (deutschen) Sprache ein, ohne sich dabei von den zahlreichen Anfeindungen und Kritiker_innen einschüchtern zu lassen. Bis heute wird um einen geschlechtergerechten bzw. fraueneinbindenden Sprachgebrauch gekämpft, denn Sprache gilt als Schlüsselwerkzeug für gesellschaftliche Veränderung, mit dem bestehende (Geschlechter-)Normen und Machtverhältnisse beeinflusst werden können. Sprache ist keine stabile Einheit, sondern flexibel und gesellschaftlich veränderbar – damit kommt ihr auch in der Herstellung gerechter Geschlechterverhältnisse, soweit diese möglich sind, eine wesentliche Rolle zu.

Sprache reflektiert, wer gesellschaftlich (an-)erkannt wird und wer nicht – so bietet etwa die deutsche Sprache für die Bezeichnung der Geschlechter ausschließlich das Maskulinum und das Femininum an. [1] In diesem Sinne beinhaltet geschlechtergerechte Sprache heute längst nicht mehr allein die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern, sondern schließt ebenso die Sichtbarmachung anderer Geschlechtsidentitäten mit ein, die sich in einer dichotomen Geschlechterordnung nicht wiederfinden können oder wollen. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit eine gendersensible Sprache überhaupt möglich ist und ob eine "endgültige" gendersensible Sprachform tatsächlich das Ziel darstellt. Vielmehr scheint der gesellschaftliche Änderungsprozess, der zu einer gendersensiblen Sprache führt und der sich gegen die Ungleichbehandlung und Ausgrenzung von Geschlechtern richtet, von zentraler Bedeutung.

In den meisten Leitfäden zum "richtigen" gendersensiblen Sprachgebrauch werden die Bezeichnungen "geschlechtergerechte", "fraueneinbindende" und "geschlechtsneutrale" bzw. "geschlechtersensible Sprache" weitgehend synonym verwendet. Ich unterscheide hingegen im Folgenden zwischen "geschlechtsneutraler", "fraueneinbindender" und "geschlechtergerechter" Sprache, während "gendersensible Sprache" als Übergriff dient. Diese Kategorien sollen nicht als festgezurrte, ausdefinierte Sprachformen, sondern eher als Strukturierungshilfe verstanden werden, die keinesfalls einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Geschlechtsneutrale Formulierungen

Geschlechtsneutrale Formulierungen – also Sprache, die nicht explizit Auskunft über das Geschlecht gibt – gelten als eine Möglichkeit der geschlechtergerechten Sprachverwendung, die bereits vielfach anzutreffen ist. Geschlechtsneutrale Bezeichnungen umfassen beispielsweise Wörter, die sich aus der Endung "-person" oder "-kraft" zusammensetzen (z.B. "Führungskraft", "Lehrperson"), Wörter, die aus Adjektiven oder Partizipien gebildet werden (z.B. "die Studierenden") oder auch die Verwendung des Partizip Perfekt (z.B. "herausgegeben von") bzw. von Umschreibungen (z.B. "diejenigen, die Studienbeihilfe beziehen" anstatt "Studienbeihilfebezieher").

Die Anwendung geschlechtsneutraler Formulierungen wirkt oft einfacher als die Explizitmachung von Männern und Frauen in der Sprache. Dennoch erweisen sich geschlechtsneutrale Formulierungen als wenig zielführend, wenn es um die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit geht, da sie eher unpersönlich sind und den Geschlechteraspekt nicht sicht- oder hörbar machen. Geschlechtsneutrale Formulierungen wirken meistens nur wenig emanzipatorisch, da das weibliche und andere Geschlechter kaum Platz in der Sprache erhalten und somit das männlich zentrierte Denken und Formulieren nicht explizit hinterfragt wird.

Fraueneinbindende Sprache

Im alltäglichen Gebrauch kennt unsere Sprache nach wie vor nur zwei Geschlechter – Männer und Frauen, also "er" und "sie" bzw. die Endungen "-er" und "-in". Innerhalb dieser dichotomen Einteilung finden sich "klassische" Möglichkeiten des fraueneinbindenden Formulierens, die zwecks der Sichtbarmachung von Frauen in der Sprache eingesetzt werden. Zu den gesellschaftlich weitgehend akzeptierten Formen des fraueneinbindenden Formulierens, die auch in politischen Reden, Nachrichten und öffentlichen Dokumenten Anwendung finden, zählen z.B. das Binnen-I ("MigrantInnen"), der Schrägstrich ("Migrant/innen") und die Doppelnennung ("Migrantinnen und Migranten").

Doch fraueneinbindende Sprache wirkt nicht nur auf der Wortebene, sie führt auch auf diskursiver Ebene zu Verschiebungen, die Frauen sichtbar macht. So wird bei fraueneinbindender Sprache auf die symmetrische Nennung von Männern und Frauen, auf die Vermeidung von Sprachbildern, die stereotype Rollenbilder vermitteln (z.B. "Elternberatung" statt "Mütterberatung"), sowie auf eine nicht-sexistische Sprachverwendung (Vermeiden von Ausdrucksformen wie "das schwache/starke Geschlecht") geachtet. Fraueneinbindende Sprache verändert somit unser Denken, denn Sprache ist immer ein Abbild gesellschaftlicher Verhältnisse.

Diese Formen des fraueneinbindenden Sprachgebrauchs sind erste wichtige Schritte, um Frauen aus der sprachlichen und somit gedanklichen Unsichtbarkeit zu holen und gegen sexistische Diskriminierung einzutreten. Allerdings bleibt fraueneinbindende Sprache einem dichotomen Geschlechtermodell verhaftet, das der identitären Vielfalt nicht gerecht wird. Daher wurden Anfang des 21. Jahrhunderts die Möglichkeiten fraueneinbindender Sprache von queeren Feminist_innen weiterentwickelt. Diese neueren Formen der gendersensiblen Sprachverwendung werden in diesem Beitrag als "geschlechtergerechte Sprache" bezeichnet.

Geschlechtergerechte Sprache

Gendersensibler Sprachgebrauch stellt die normative Vorstellung von zwei sauber getrennten Geschlechtern infrage und fordert mit Nachdruck die Berücksichtigung anderer Geschlechtsidentitäten. Da unser patriarchal geprägtes Sprachsystem nicht nur frauenfeindlich ist, sondern auch weitere Geschlechter schlichtweg ignoriert und somit negiert, wurden insbesondere in queeren Kontexten eine Reihe innovativer Ideen für eine geschlechtergerechte Sprache entwickelt, die der herrschenden Geschlechterideologie eine klare Absage erteilen und "Gendermigrant_innen" Raum in der Sprache geben sollen. Eine solche geschlechtergerechte Sprache zieht dabei keinerlei Grenzen hinsichtlich des Geschlechts, sondern zeigt die Möglichkeiten ihrer kreativen Überschreitung auf.

Der Spaß an der Vielfalt und an der Erarbeitung widerständiger Sprachvarianten, die die Gestaltbarkeit von Sprache aufzeigen, steht hier im Vordergrund. Dabei ist nicht nur von Bedeutung, wie wir etwas formulieren, sondern auch und vor allem was wir sagen oder schreiben. So wird bei geschlechtergerechter Sprachverwendung nicht nur die Sprachoberfläche betrachtet, sondern ebenso – wie auch bei fraueneinbindender Sprache – die Inhaltsebene: Stereotype, sexistische und heteronormative Sprachbilder werden entlarvt und dekonstruiert, während den vielfältigen Lebensrealitäten nun auch auf sprachlicher Ebene Anerkennung zukommt.

Die Repräsentation von Leerstellen

Doch auch Modifikationen und Verunsicherungen auf der Sprachoberfläche haben einen wichtigen Einfluss auf das Aufbrechen der herrschenden binären Geschlechterkonstruktion. Eine mittlerweile in feministisch-queeren Kreisen verbreitete Form geschlechtergerechter Sprache ist das im Jahr 2003 von Steffen Kitty Hermann vorgeschlagene "Performing the Gap", auch "Gender Gap" genannt, das durch einen Unterstrich (z.B. "Schüler_innen"; eine leicht abgeänderte Version wird mit einem Sternchen "*" gekennzeichnet: "Schüler*innen") einen Raum für Geschlechtsidentitäten jenseits von "Mann" und "Frau" öffnet. Der Unterstrich kann nicht nur im schriftlichen Sprachgebrauch sichtbar gemacht werden, auch für die mündliche Sprachverwendung wurde hierzu eine Möglichkeit gefunden: Wird zwischen männlicher und weiblicher Endung eine kurze Sprechpause und zusätzlich eine Handbewegung von außen nach innen gemacht, wird der "Gender Gap" sowohl sicht- als auch hörbar. Ein deutlicher Nachteil dieser Kreation ist, dass sie für blinde und sehbehinderte Menschen nicht nachvollziehbar ist, zudem kann sie nicht in ausschließlich mündlicher Kommunikation ohne Sichtkontakt verwendet werden.

Auch mit der Erfindung neuer Wörter, die bislang Ausgeschlossenes "hereinholen", wird in traditionelle Sprachkonventionen eingegriffen. Dies zeigt sich am Beispiel jüngerer Selbstbezeichnungen wie "Transgender", "transident", "Bio-Mann"/"Bio-Frau" etc. (zahlreiche weitere Begriffe finden sich unter www.queeropedia.com). Das Besondere an diesen Bezeichnungen ist, dass sie in ihrer Bedeutung uneindeutig und beweglich sind, da sie sich nicht von starren Definitionen einengen lassen, sondern je nach "Identitätsgefühl" neu definiert werden können.

Das dritte Geschlecht

In unserer Alltagssprache fehlen nicht nur Bezeichnungen für Menschen, die sich nicht zwischen einem "Mann-" oder "Frausein" entscheiden können bzw. wollen, auch die deutsche Grammatik wirkt hinsichtlich ihres Geschlechtersystems diskriminierend. Daher wird auch an einer geschlechtergerechten Veränderung der Grammatik gearbeitet, etwa mit dem Vorschlag, ein weiteres Personalpronomen einzuführen: "Nin" bezeichnet Menschen, die sich weder als männlich noch als weiblich identifizieren. Dieser Versuch der Transformierung der deutschen Grammatik wurde erstmals im Rahmen der Transgender-Tagung Berlin 2007 präsentiert und unter der Bezeichnung "Sylvain-Konventionen" von Cabala de Sylvain in einem Roman weiterentwickelt. Neben der Etablierung des bereits erwähnten neuen grammatikalischen Geschlechts – "Indefinitivum" genannt – ist es das zentrale Anliegen der Sylvain-Konventionen, die grammatikalische männliche Dominanz im Deutschen aufzulösen.

Im Rahmen der Sylvain-Konventionen werden vier grammatikalische Geschlechter vorgestellt: [2]

Maskulinum männliches Geschlecht der Mann ein Junger (statt "ein Junge")
Femininum weibliches Geschlecht die Frau eine Junge (statt "ein Mädchen")
Indefinitivum liminales und/oder drittes Geschlecht din Lim einin Jungin (neu)
Neutrum sächliches Geschlecht das Tier ein Junges (statt "ein Jungtier")

Das Indefinitivum wird verwendet, wenn das Geschlecht einer Person (noch) unbekannt ist bzw. wenn deren Bezeichnung geschlechtlich uneindeutig gehalten werden soll (und bei der bislang das Maskulinum verwendet wurde). Das Indefinitivum ist ausschließlich auf solche Personen anzuwenden, die sich in der herrschenden Geschlechterdichotomie nicht wiederfinden können. Menschen, die sich – unabhängig von ihren biologischen Geschlechtsmerkmalen – einem eindeutig männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet fühlen, werden mit der grammatikalisch männlichen oder weiblichen Form bezeichnet.

Auch wenn die Sylvain-Konventionen zunächst radikal erscheinen, erweist sich die Kategorie des Indefinitivums bei genauerer Betrachtung als problematisch, stellt sie doch nur eine dritte Kategorie neben dem Maskulinum und Femininum dar. So muss sich das Indefinitivum in die bestehende Geschlechterhierarchie einreihen und löst das hierarchische Geschlechtersystem, das von feministischen und queeren Theoretiker_innen hinterfragt und kritisiert wird, nicht auf, sondern schreibt es im Gegenteil weiterhin fest.

Die in diesem Beitrag genannten Strategien einer gendersensiblen Sprachverwendung sind nur ein sehr kleiner Ausschnitt aus einer Vielzahl an bestehenden und noch zu kreierenden Möglichkeiten, die unsere Sprache bereithält. Es liegt an uns, die vorhandenen Vorschläge zu gendersensibler Sprache anzuwenden, weiter zu experimentieren und andere (queere) Sprachformen zu (er-)finden, um so Widerstand gegen ein diskriminierendes Sprachsystem zu leisten und zu verbreiten.


Fußnoten:

[1] Für die Bezeichnung von Frauen wird in einigen Fällen auch das Neutrum verwendet (z.B. "das Fräulein", "das Mädchen", "das Weib"), was dazu führt, dass Frauen sprachlich zu Objekten gemacht werden. Feminist_innen haben sich schon früh gegen diese Assoziation eingesetzt, die die gesellschaftlich abwertende Sicht auf Frauen widerspiegelt.

[2] Dieses Beispiel ist dem Beitrag "Die SILVAIN-Konventionen – Versuch einer 'geschlechtergerechten' Grammatik-Transformation der deutschen Sprache" von Cabala de Sylvain und Carsten Balzer entnommen (siehe weiterführende Literaturvorschläge).


Weiterführende Literatur/Links:

S_he: "Performing the Gap. Queere Gestalten und geschlechtliche Aneignung". In: arranca #28, 2003, http://arranca.org/ausgabe/28/performing-the-gap

Persson Perry Baumgartinger: "Lieb[schtean] Les[schtean], [schtean] du das gerade liest …". In: Liminalis, 02/2008, www.liminalis.de/2008_02/Liminalis-2008-Baumgartinger.pdf

Cabala de Sylvain u. Carsten Balzer:"Die SYLVAIN-Konventionen – Versuch einer 'geschlechtergerechten' Grammatik-Transformation der deutschen Sprache". In: Liminalis 02/2008, www.liminalis.de/2008_02/Liminalis-2008-Sylvain-Balzer.pdf

Institut für theoretische und angewandte Translationswissenschaft: "Geschlechtergerechtes Formulieren", März 2009, www.uni-graz.at/uedo1www/uedo1www_infos_studierende/uedo1www_zitieren_und_formulieren.htm

Beatrice Fischerstudierte Gender Studies und Translationswissenschaft an der Universität Wien. Seit 2010 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Translationswissenschaft der Universität Graz. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen feministische Translationswissenschaft, Gender und Queer Studies, Translationsdidaktik.