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Political Correctness im Diskurs

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von Katrin Auer

Angestoßen von den neuen Sozialen Bewegungen breitete sich ab den 1970er Jahren im angloamerikanischen Raum der Anspruch auf einen respektvollen und antidiskriminierenden Sprachgebrauch aus: Sprache sollte der gesellschaftlichen Diversität und historischen Realität gerecht werden und nicht das androzentrische/westliche/christliche/weiße Weltbild weiter reproduzieren. Vor allem in akademischen Diskursen wurde die Forderung nach einer "sensiblen" Sprachpolitik aufgegriffen, die marginalisierte Gesellschaftsgruppen unter veränderten Vorzeichen sichtbar machen sollte. Den Hintergrund dieser Auseinandersetzung bildeten die sogenannten "Canon Wars", in denen die andro- und ethnozentrischen Lehrpläne an den US-Universitäten u.a. von der Frauen- und Civil-Rights-Bewegung kritisiert wurden und die schließlich in Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsmaßnahmen wie "Affirmative Actions" an den Hochschulen mündeten.

In konservativen Kreisen, die an der männlich-weißen Definitionsmacht festhalten wollten, kam es umgehend zur Gegenwehr: Zunehmend eigneten sich die Rechten den Begriff "Political Correctness" (PC), der zu Beginn noch als ironische Selbstkritik unter Linken gebraucht wurde, an und richteten ihn nunmehr diffamierend gegen ihre Gegner_innen. Sowohl in politischen als auch in Alltagsdiskursen wurde "politically correct" fortan als negativ konnotierte Fremdbezeichnung verwendet.

Von der "Political Correctness" zum "Gutmenschen"

Anfang der 1990er wurde die PC-Debatte in den USA vollkommen von den Neokonservativen dominiert, als sie schließlich Europa erreichte. "Political Correctness" tauchte also im öffentlichen deutschsprachigen Diskurs auf, nachdem der Begriff bereits eine inhaltliche Bedeutungsverschiebung erfahren hatte und von einem antifeministischen und rassistischen Backlash geprägt war. Auch hier wurde die Bezeichnung "politisch korrekt" sofort von Rechtsextremen und Konservativen übernommen und ausschließlich als Schimpfwort eingesetzt.

Der deutschsprachige Anti-PC-Diskurs startete Mitte der 1990er auf journalistischer Ebene, in Medien wie der "FAZ" und "Die Zeit". Insbesondere antifaschistischen, antirassistischen sowie feministischen und antisexistischen Positionen wurde umfassend und undifferenziert das Etikett "politisch korrekt" verpasst. Was "PC" war, bestimmten jedoch nicht ihre vermeintlichen Vertreter_innen, sondern eben ihre Gegner_innen. So lässt sich in den Debatten in Deutschland und Österreich keine Stellungnahme finden, in der sich eine Person oder eine Gruppe selbst als "politisch korrekt" bezeichnet hätte.

Um die "politische Korrektheit" personifizieren zu können, wurde unterdessen von den Medien der Terminus "Gutmensch" geschaffen, der ebenfalls sofort negativ besetzt war und ausschließlich als Fremdbezeichnung auftrat. "Political Correctness" und "Gutmensch" wurden als Stigma-Wörter und ideologische Codes verwendet, um damit eine ganze Bandbreite kritischer politischer Positionen pauschal zu verschmähen: Feminist_innen, Antifaschist_innen, Umweltschützer_innen etc. wurden als "politisch korrekt", sprich als "diktatorisch" und "undemokratisch", desavouiert.

Neues Etikett, alter Rassismus

Auch wenn der Begriff der "Political Correctness" heute weniger gebräuchlich ist – die Argumentationsstrategien ihrer Gegner_innen haben sich kaum geändert. Jüngstes Beispiel dafür ist die Debatte rund um das Buch "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin. Klassische Anti-PC-Argumente erleben hier eine Renaissance. So wertete etwa Österreichs konservative Ex-Innenministerin Maria Fekter die Kritik an Sarrazins Thesen in einem Zeitungsinterview als "Phänomen, das mich auch schon lange begleitet hat: Dass eine kleine Gruppe bestimmt, was politisch korrekt ist, was man sagen darf und was nicht. In Wirklichkeit ist das Gesinnungsterror. Da hat sich durch das Buch plötzlich ein Umdenken ergeben. Man kann nicht mit allem einverstanden sein. Aber ansprechen muss man es dürfen." [1]

Sieht man genauer hin, handelt es sich beim PC-Bashing historisch um kein neues Phänomen – in solchen Wehklagen und Angriffen übt sich der rechte Rand schließlich schon seit dem Ende der Nazi-Herrschaft. Inhalte, Muster und Mittel sind dieselben geblieben, nur das Etikett ist ein neues: Heute kämpft mann gegen die "Politische Korrektheit", indem altbekannte antisemitische, rassistische, faschistische und sexistische Ansichten als Ausdruck der Meinungsfreiheit und des angeblich notwendigen Tabubruchs verkauft werden. Ideologische Gegenpositionen zur "Political Correctness" mutieren zu "unterdrückte(n) Wahrheiten, die auszusprechen ein Akt der Zivilcourage und Ausdruck eines unabhängigen Geistes ist". [2]

Neu sind hingegen die Koalitionen, die im Kampf gegen die "Political Correctness" während der letzten beiden Jahrzehnte geschmiedet wurden. Denn nicht nur konservative und rechtsextreme Diskursteilnehmer_innen sehen sich als Verteidiger_innen gegen den "Meinungsterror" – mittlerweile empören sich auch Vertreter_innen aus der gesellschaftlichen und politischen "Mitte" und sogar der Linken über die angeblichen "Denk- und Redeverbote".

Lustiger Tabubruch?

Die herrschende Wahrnehmung der "Political Correctness" und die Konstruktion ihrer Befürworter_innen als "Gutmenschen" lässt die Debatte weit über eine kritische Auseinandersetzung mit Sprache hinausgehen. Zumindest im deutschsprachigen Raum hatte der begriffliche Import der "Political Correctness" noch nie etwas mit Antidiskriminierung zu tun – daher ist es notwendig, eine grundlegende Unterscheidung zu treffen: nämlich zwischen der Auseinandersetzung mit einem nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch auf der einen Seite und dem Meta-Diskurs zu "Political Correctness", wie er insbesondere in Politik und Medien geführt wird, auf der anderen.

In progressiven akademischen und zivilgesellschaftlichen Kreisen haben sich mittlerweile gewisse sprachdemokratische Standards etabliert, und selbst im Mainstream ist ein Wissen über diskriminierende Begriffe vorgedrungen: Es ist bekannt, dass bestimmte Bezeichnungen herabwürdigend, ausschließend und respektlos sind. Trotzdem erfreuen sie sich hartnäckiger Verwendung – oft versehen mit dem Zusatz, dass es ja nicht "so" gemeint sei (wie zum Beispiel bei der "I will m*"-Werbekampagne des Eisherstellers Eskimo vor zwei Jahren).

Für Irritation sorgt übrigens auch die aktuelle Werbung eines Reisebüros, das mit dem Slogan "Berlin … ist politisch korrekt!" Besucher_innen in die deutsche Hauptstadt locken will. Bloß: Warum? Etwa, weil sich Berlin als das politische Zentrum Deutschlands definiert? Weil Bürgermeister Klaus Wowereit offen homosexuell lebt und Berlins "Alternativkultur" zum fixen Bestandteil des Stadtmarketings geworden ist? Dass es sich hierbei um den Versuch einer positiven Umdeutung des PC-Begriffs handelt, darf angesichts der fortwährenden Resistenz gegen seine Grundidee – nämlich ein Gegengewicht zur (rhetorischen) Autorität männlich-weißer Eliten zu schaffen – bezweifelt werden. Stattdessen schlägt sich im zitierten Slogan jener "ironische" Tonfall nieder, mit dem antidiskriminatorische Forderungen bis heute immer wieder ins Lächerliche gezogen werden.


Fußnoten:

[1] Philipp Hacker/Martina Salomon: Innenministerin Fekter lobt Sarrazin. In: Kurier, 4.10.2010, zitiert nach http://europenews.dk/de/node/36023

[2] Karsta Frank: PC-Diskurs und neuer Antifeminismus in der Bundesrepublik". In: Das Argument, Nr. 231, 1996.

Katrin AuerHistorikerin und Politologin, lebt in Steyr/Österreich und Agios Stefanos/Griechenland und ist derzeit in der Privatwirtschaft tätig.