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Gedankenstriche. Literarisches Schreiben jenseits der Muttersprachlichkeit

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von Ovid Pop und Radostina Patulova

Warum in einer Sprache schreiben, die mensch nicht perfekt, intuitiv, naturgemäß beherrscht? Was ist Perfektion und ist es notwendig eine Sprache zu beherrschen um Literatur zu schreiben, sprachlich kreativ zu sein? Soll es - von der Wiege bis zu Bahre - nur das Eine geben und das enge Korsett des Richtigen nie aufgebrochen werden? 

Warum in einer Fremdsprache schreiben? Auch weil wir hier leben, im deutschsprachigen Raum. Durch den (Kunst)Griff der Sprache nehmen wir teil, gestalten die Welt um uns herum mit. Erst auf der gemeinschaftlichen Tafel werden die komischen Klänge zu eigenen Wörtern - in einer Art Sprachophagie nehmen wir die Wörter zu uns, (ver)kosten, kauen daran, eignen uns an, zerkauen, spucken aus.  Immer schon, es war ja auch mit unserer ersten Zunge nicht anders. Sobald man zu fragen beginnt, entzweien sich die Wege und die Eindeutigkeit schwindet...

In einer Fremdsprache sich fallen lassen: Ohne eine sprachliche Aufsichtsbehörde im Nacken die Finger auf die Tasten los lassen, mit dem Stift so lange spielen bis die Wörter mit einander zu tanzen beginnen, auf die Wellen der Sprachklänge surfen, dribbeln. Den eigenen Sprach-Wünschen, -Phantasien und -Melodien freien Lauf lassen. Die Regeln dürfen ausruhen, Vorrang hat ein Mal mehr das Umspielen. 

Den Akt des Schreibens in all seiner Rauheit und Lebendigkeit wieder- und weitergeben, mit der deutschen Sprache aus der Kraft des Unperfekten experimentieren, Texte in ihrer Borstigkeit lassen, die Sprache gegen jedliche# Vereinheitlichung verteidigen und somit sie in die Freiheit einer wieder möglich gewordenen Entwicklung entlassen, dafür kamen wir im/als kollektiv 1 zusammen: Das Warum zu verlassen und sich auf die Suche nach dem Wie zu begeben, sich das „Ohr“ dafür zuwachsen lassen.

Mit der Logik der aufgezwungenen Scham und des bitteren Aufschubs (wenn ich soweit bin...) brechen - und  schreiben, hier und jetzt. Mit dem was man heute  kann, mit dem jeweiligen, begrenzten Vermögen der Gegenwart. Zugleich: sich mit der inneren und äußeren Verbotsbehörden nicht abfinden, die Freude an den Mehrsprachen spüren, zulassen, sie beim Schreiben hinauswachsen lassen, trotz allen Hemmungen und Verbote, die sonst im öffentlichen Raum mit dem Gebrauch der „genormten Sprache“ einherkommen. Denn jede und jeder bringt eine eigene, meist verletzte, Mehrsprachigkeit mit. 

Meine Sprache, eure Sprache, die Sprache der Deutschen, die Sprache der Straße, der Jugendlichen usw. Als ob die Sprache einer geschlossenen Einheit zuzuordnen wäre. Doch sieht jede Migrant*in, die gerade dabei ist, eine Sprache in ihrem Anwendungssprachraum zu lernen, wie Muttersprachler*innen je nach Artikulations- und Vorstellungsvermögen die Sprache biegen. Die harte Arbeit als Migrant*in, das Gehör zu schärfen, es von Person zu Person neu anzustimmen, damit der Austausch weiter erfolgen kann, wird meistens unsichtbar gemacht. Sprachen sind lebendige Artikulationsübungen, die sich mit den Ausprägungen des Körpers und mit der umständlichen Location permanent färben. In dem sie im menschlichen Körper verankert ist, in dem sie von der jeweiligen Situation abhängt, entspringt die Sprache dieser materiellen Basis und hat einen finiten Charakter - ist die spontane Durchführung auf der Zunge von Körper, Location, Ansprechspublikum...  In fremdesfeindlichen Kontexten bekommen zweitsprachige Menschen diese materielle Komponente, die in der Sprache mitschwingt, zu spüren. Oft wird sie als Vorwand für die Entwertung der Ansprechpartner*in missbraucht. Eine Verneinung des Anderen seitens der Sprachrassist*innen die möglich ist, ohne dass die Sprachrassist*innen jemals zugeben, die Person in ihrer Personhood anzugreifen. In diesem Lichte betrachtet gleicht eine Sprache vielmehr einer Maschinerie oder einem (Reichs)Gebiet, wo die Güterwege sich mit den Militärzonen kreuzen, wo Aussichts- und Überwachungstellen den Boden markieren und beleuchten. In dem deutschsprachigen Raum erfindet seit zwei Jahrzenten z.B. die türkische 2nd Generation verschlungene Wege (kanak sprak2 usw.), die Dreiheiligkeit Sprache/Boden/Ethnie literarisch infrage zu stellen... Immerhin greift kanak sprak auf die Sprachbräuche einer sozialen Gruppe mit einer eigenständigen Geschichte in Deutschland der Nachkriegszeit zurück, doch literarische Mehrsprachigkeit braucht nicht mal das – eine einzige Kraft, die auf den schöperischen Strängen der Sprache(n) hockt, reicht.

Auf dem literarischen Boden spielt ErstSprache manchmal eine denkwürdige Rolle. Manchen hält sie bereits Karte und Kompass parat, andere dürfen den Weg der Vorfahren gehen, während wieder andere sich gezwungen sehen, sich durch die Dickicht der (sprachbehördlichen) Hürden durchzuschlagen. Egal welchen Weg eingeschlagen wird, führt er immer von dem Befremdenden zu dem Eigenen, sonst bleibt Literatur eine Spielerei oder wie es Rabindranath Tagore einmal formulierte, sonst sind wir, die Schreibenden, wie jene Fischer, die sich im eigenen Netz fangen. Im Übrigen sind Schreibende in unserem Verständnis Sprachforscher*innen. Für solche Schreibübende ist  die vorgegebene Erstsprache der Sozialisation ein Hindernis, von dem mensch sich erst lösen muss, um überhaupt zu etwas Eigenem zu gelangen. Als Literaturpraktikant*in ist mensch immer am Anfang auf Null in der Sprache, die neu geschmiedet werden muss. Der migrantische Aneignungsprozess der literarischen Sprache hat viele Nachteile – sprachliche und übersprachliche. Doch einer der Vorteile ist, dass die Aneignung die Bewegung von Fremdheit zum Eigenen, von Stille zur Form in ihrer Radikalität auf sich nimmt. Die Brüche und Umbrüche sind diesem Prozess eingeschrieben, sind Brücken. Die Ausdrucksfähigkeit der Zweitsprache leiht etwas aus diesen Umbrüchen oder vielleicht ist angebrachter zu sagen, die Umbrüche verleihen der Zweitsprache etwas aus ihrer bahnbrechenden Last. Unter den Flüchtlingen, Migrant*innen, displaced persons auf der Welt wächst  eine unerkannte Sprachavangarde. Und die Literaturen der sogenannten Großsprachen in Europa mit ihrer monolingualen, grammatikzentrierten Besessenheit beben. 

kollektiv sprachwechsel hat sich entlang der Wellen, die diesem Sprachbeben nachgehen, gebildet. Wir sind Stimmen, die vertraut mit den tektonischen Platten der Mehrsprachigkeit umgehen. Bereits in einen Zug eingestiegen von wessen Fenster aus wir das weiße Taschentuch des Abschieds in Richtung Einsprachigkeit schütteln. Denn wir wissen, dass eine Sprache nicht einfach die genormte Artikulation von Lauten ist. Sie ist vielmehr die Ordnung der Bilder, Gefühle, Ideen, die kollektiven Ausdruck finden und jede der*die einen Sprachwechsel vollzieht, weiß, dass jene erste Welt, unter deren Dach mensch sich einst zuhause fühlte, schwindet. Nicht die Aneignung der anderen Sprache ist unter diesem freien Himmel die große Hürde, auch wenn dies manchmal enormen persönlichen Aufwand benötigt. Einen bislang noch nicht existierenden Raum in der neuen Sprachwelt schaffen ist ungemein schwieriger. Bei diesem Unterfangen müssen mitgebrachte Themen, Motive, Assoziationen, Literaturpfade und sichere Techniken zurück gelassen werden. Oder sie werden gekappt... Nur quer, über Hintertüre und nur wenn eine günstige Stunde schlägt, gedeiht der Grenzübergang zwischen den Sprachen seine schönen Blumen, die die Sprache literarisch erneuern. 

Dazu färben die Wege, über die die zweitsprachigen Schreibenden zur Sprache kommen, den Umgang mit dem Fluss der Wörter. Ob jemand beim Sprechen in der Restaurantküche abwäscht oder den Glanz der Gewölbe einer Akademie bewundert, bleibt nicht ohne Folgen. Wir können den betäubenden Lärm in der Schweizer Uhrenfabrik spüren, mit dem die Arbeiter*innen – darunter die zweitsprachige Schriftstellerin Agota Kristof – leben und sprechen mussten. Das Hintergrundkreischen und-pochen des Alltags hinterlässt Spuren: die Sprache wird zerfetzt, sie würgt; existenzielle Unsicherheit, Wut und Hoffnungslosigkeit halten Einzug. So führt der soziale Weg in die Literatur meist über unterbrochene Leben – Leben deren Träume an einem Ort geboren und an einem anderen erfüllt werden, wenn es dazu kommt. 

Radostina Patulova & Ovid Pop sind Mitbegründer*innen von kollektiv sprachwechsel: Literatur in der Zweitsprache. Im Herbst 2021 veranstaltete das kollektiv das Literaturfestival Bridging the Tongues in Wien. 

# ja, eine Mischung aus dem jede und jegliche

Fußnoten

1 Kanak sprak ist ein deutschsprachiger Soziolekt, der von den türkischsprachigen Menschen Ende der 1980-er geschaffen wurde. Aus dem heraus hat sich eine ganze Literatur entwickelt. 

2 kollektiv sprachwechsel: Literatur in der Zweitsprache existiert seit mittlerweile mehr als fünf Jahren, uns eint keine einheitliche ästhetische Position, dafür aber die Tatsache, dass wir den Alltag auf Deutsch teilen (unter anderen Sprachen) und es erst im Erwachsenenleben zu uns kam. Wir bleiben lose verbunden und sind innig genug, um immer wieder zu streiten und dabei offen zu bleiben sich zu inspirieren und zu unterstützen. Es ist uns ein Anliegen, eine Gruppe zu sein, in der unterschiedliche Zugänge Platz haben. Nicht nur, dass sich einige Kolleg*innen stärker im literarischen Feld verorten, auch die Frage danach, wie mensch mit Sprachebenen, Stils, „Fehlerhaftigkeit“, „Richtigkeit“ usw. umgeht, ist eine nicht zu Ende diskutierte. Das finden wir weiter anregend und lassen gerne immer wieder unterschiedliche Texturen nebeneinander gedeihen und wuchern. Webseite: http://www.kollektiv-sprachwechsel.org/

Radostina PatulovaKulturwissenschafterin, Kuratorin und freie Autorin. Vielseitiges Schaffen als Kulturarbeiterin an der Schnittstelle von Theorie-, Kunst- und Textproduktion. Mitbegründerin von kollektiv sprachwechsel: Literatur in der Zweitsprache.
Ovid PopSprachwechsler; arbeitet mit Text, Ton und Video. Schreibt dreisprachig: Prosa, Essays und Gedichte auf Rumänisch, Deutsch und Englisch. Seine Texte wurden ins Französisch, Deutsch, BKS, Ungarisch u.a. übersetzt. Ovid Pop ist als transnationaler Kulturarbeiter im Kunstbereich tätig.