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Cura-tierte Problemfelder

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von Lisa Bolyos

Cura, die römische Göttin der Fürsorge und Pflege, formt aus Erdreich ein Figürchen und ersucht Jupiter um seinen Odem, um das Ding zum Leben zu erwecken. Der macht zwar mit, will aber dafür über dieses erste menschliche Wesen bestimmen. Dasselbe begehrt jedoch auch Tellus, die Gottheit der Erde. Saturn, der den Streit schlichten soll, beschließt daher Folgendes: Stirbt das Wesen, bekommt Jupiter dessen Geist wieder und die Erde seinen Körper, während sich die Sorge dem Verlauf seines Lebens widmen soll. Die kleine Gestalt erhält vom großen Richter den Namen "homo", weil sie aus Erde, Humus, gemacht ist.

Der Mensch, eine sorgenverbrämte Bodenschicht? So will es die Fabel. Was es mit der Sorgearbeit, ihren Bedingungen und Lohnzahlungen, ihren Subjekten und deren Verhältnissen zueinander in der fabelfreien Realität auf sich hat, dieser Frage gehen sieben künstlerische Position(ierung)en im Rahmen der Ausstellung "Jenseits des Helfersyndroms III" nach, die – in leicht abgewandelter Form – von Berlin in die Wiener Räumlichkeiten der IG Bildende Kunst gewandert ist.

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"Migrant Care Workers" / Simon Rawles / Fotosserie, s/w, 2008, UK

(De-)Othering Mothering

Einer der Ausstellungsbeiträge, der Film "Bernburger Straße" von Sibylle Hofter, zeigt – wie Schulfernsehen, das ein wenig zu realistisch geraten ist – den Weg der Windel von der Fabrik bis zu seinem Gebrauch in der Pflege und parallelisiert dabei Produktions- und Reproduktionszyklen rund um den Babypopo. In Zeitraffer versucht die Mutter in der Rolle der Care-Arbeiterin gleichzeitig das Kind, die Wohnung und das Büro zu versorgen, während in der Fabrik – unter den konzentrierten Blicken eines Arbeiters – die frischen Windeln im fordistischen Takt vom Fließband rattern. Windel her, Windel an, Windel voll, Windel ab. Die Arbeitsrhythmen überschlagen sich, Tag und Nacht folgen einander in unaufhörlicher Wiederholung, und täglich grüßt das Windeltier.

Eine andere Form der Mutterschaft wird in Janina Möbius' Dokufilm "Lotería" thematisiert: Weiße Kulturschaffende in Mexiko und ihre Kinderfrauen, die "Nanas", sprechen in quer geschnittenen Interviewsequenzen über die Arbeit der jeweils anderen und ihr Verhältnis zueinander. Im Unterschied zu Hofters Beitrag ist hier die Überarbeitung keine Folge der Geschwindigkeit, sondern die Ausbeute eines engen sozialen Verhältnisses. So einfach ist die Trennung zwischen Pfleger_in und Pflegenehmer_in nämlich nicht, wenn beide, wie mehrfach betont wird, "zur Familie gehören".

Als einziger Ausstellungsbeitrag benennt "Lotería" Klasse und Rassismus als zentrale Bedingungen für das beschriebene Arbeitsverhältnis: Zum einen dokumentieren die Bilder eine weiße Mittel- bzw. Oberschicht als Arbeitgeber_in und nicht-weiße Frauen aus einer sozial schwächeren Klasse als Arbeitnehmer_innen und siedeln sie allesamt in einer Migrationsgesellschaft an. Zum anderen wenden die ehemaligen Kinder eine perfide Sprechart an, die die Arbeitshierarchien qua vorgetäuschtem Respekt gegenüber einer projizierten "Ursprünglichkeit" der Kinderfrauen gleichsam naturalisiert. Um die unterschiedlichen ökonomischen Zugehörigkeiten nicht benennen zu müssen, werden die Kinderfrauen von ihren Ex-Pflegekindern als Rückbindung an die in ihrer unzivilisierten Bodenständigkeit schöne Welt beschrieben: "Diese einfachen Frauen, die ihre Leben mit uns verbracht haben", träumt eine Filmschaffende vor sich hin, während es ein Regisseur in einem parallel geschaltenen Frame auf den Punkt bringt: "Die sind sehr verwurzelt."

Eine klassischere Strategie der Verfestigung von Hierarchien durch kulturelle Zuschreibung kann kaum demonstriert werden. Die den Kinderfrauen zugeschriebene Allmacht wiederum schafft beinahe den Bogen zur Mythologie der Cura-Fabel. Eine besonders engagierte Kulturarbeiterin, die ihrer Nana entwachsen ist, geht so weit zu behaupten: "Der gesamte Feminismus (…) hat seine Wurzeln in der Arbeit dieser Frauen, die uns aufgezogen haben." Der gesamte weiße Feminismus?, fragt sich die Zuseherin und schluckt.

Ganz unmythologisch berichtet eine der Hausangestellten darüber, wie sie seit vierzig Jahren bei einer Familie gearbeitet hat, plus Nebenjobs, und dann, nach Auseinandersetzungen mit dem Familienvater, zur Familie der mittlerweile erwachsenen Tochter wechseln sollte. Das sei schwierig, denn hier funktioniere alles anders. Aber einen Ausweg gebe es auch nicht, denn "das ist meine Familie, auch wenn ich eigentlich eine eigene Familie habe". Die Abhängigkeit, die über ein intimes Arbeitsverhältnis hergestellt wird, wird offenbar und bleibt ambivalent bis zum Magenkrampf. 

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"Assistenz" / Cüneyt Balkan, Sabine Gradtke und Askı Kıı / 5 Fotoaufsteller, 2010, D

Ganz schön Schoko-Kot

"Scheißen" steht lakonisch und unzweideutig auf dem Glas-Etikett einer bekannten Schokoaufstrich-Marke. Unappetitliches Adbusting? Weit gefehlt – hier wird gestreikt. Eine Installation, die einem kleinen Archiv gleicht, erzählt vom jüngsten "Scheiß-Streik" der Pflege- und Assistenzarbeiter_innen in Deutschland. Auf der Kampagnen-Website und in der aufliegenden Pressemappe können Ablauf und Forderungen, Strategien und Reaktionen nachgelesen werden. Dazwischen stehen, hübsch aufgereiht, Kotröhrchen, deren Bedeutung sich erst beim Durchsehen der Protokolle und Briefe aus dem Polizeipräsidium erschließt: Nachdem Pflegearbeiter_innen im Frühjahr 2009 dem Aufruf gefolgt waren, als Zeichen des Protests gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen gefüllte Kotröhrchen an diverse Pflegedienstanbieter_innen, Zeitarbeitsfirmen und politische Entscheidungsträger_innen zu schicken, fühlte sich ein Adressat bemüßigt, einen Rechtsstreit anzustrengen: Der Inhalt des Röhrchens in seinem Postkasten wäre nicht nur beleidigend, nein, ihm wäre vom Kotgeruch derart übel geworden, dass er auf Körperverletzung klagte. Zur Belustigung der Ausstellungsbesucher_innen musste das Polizeipräsidium jedoch feststellen, dass nach eingehender Analyse ("keine Verfärbung, Verdünnung oder Verdickung des Inhalts zu beobachten") und Übergabe an ein Fachlabor der Röhrchen-Inhalt als Schokoladenmischung identifiziert werden konnte. Schöne Scheiße.

Natürlich hat das Kokettieren mit dem Scheiß-Wort in seiner Doppelbedeutung eine gewisse Kraft – es verhilft zu medialer Aufmerksamkeit und verbindet Form und Inhalt auf eine scheinbar adäquat vulgäre Weise. Wären da bloß nicht diese leidigen Subjekte der Versorgung. Scheiß-Lohn: ja; Scheiß-Bedingungen: ja; aber: Scheiß-Arbeit?

Jenseits der guten Kritik

Was tatsächlich Grund zur viel zitierten Sorge bereitet, ist der "unbeholfene" Umgang der Kurator_innen mit der Kritik an der vorangegangenen Ausstellung "jenseits des helfersyndroms II", die im Herbst 2010 in Berlin zu sehen war Damals wurden Konzeption und (nicht-barrierefreie) Umsetzung als Beleidigung derjenigen kritisiert, die Pflege in Anspruch nehmen oder nehmen müssen. Auf fünf großen Bildtafeln, die Szenen aus der Pflege visualisieren sollen, wurden (und werden) Pflegearbeiter_innen nicht als von schlechten Arbeitsbedingungen, sondern von unzumutbarer Arbeit betroffen dargestellt. Die Hände einer Pflegerin ziehen ein Leintuch glatt, auf dem ein Kotfleck zu sehen ist. Eine Person, deren Kopf vom Bildrand abgeschnitten wird, hängt schlaff in einem Rollstuhl, eine Alkoholflasche weist auf das Suchtproblem der Pflegenehmer_in hin. Gewitzt dargestellt sind wiederum die Pfleger_innen selbst, die trotz harter Umstände noch über Urinflaschen und Bakterienbefall lachen können.

In einer Stellungnahme zur Berliner Ausstellung schrieb der ak mob (Arbeitskreis mit_ohne Behinderung): "Diese Missachtung behinderter Menschen zeigt sich für uns auch in den Bildmotiven. Behinderte Menschen tauchen dort nur als Objekte von Pflege auf. Sie machen Arbeit, Dreck, Sorgen, beuten und nutzen andere aus und erzeugen Ekel. 'Sexy' sind sie dabei natürlich nicht. Bedient wird ein Bild von Behinderung, das wir zuhauf in Medien und Alltag finden."

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"Loteria" (Filmstill: Drei Nanas) / Janina Möbius / Dokumentarfilm, Video, 60 min, 2009, D/Mex

Dass eine Ausstellung die Arbeitsbedingungen der Pfleger_innenschaft benennt und politische Forderungen stellt, ist großartig. Dass die Auseinandersetzung trotz langjähriger, von organisierten Pflegenehmer_innen angestoßener Diskussion über das Verhältnis zwischen Pflegenden und Gepflegten (die nicht zuletzt in emanzipierteren Praxen wie etwa der persönlichen Assistenz und verschiedenen Formen politischer Mitsprache/Partizipation mündete) auf einer solchen simplifzierenden Ebene stattfindet, ist wohl beleidigend – aber auch erstaunlich. Schließlich gehört es zu den banalsten Erkenntnissen über Care-Arbeitsverhältnisse, dass dem_der Arbeiter_in eben kein Fabrikserzeugnis, keine Ware gegenübersteht, sondern eine wie sie zum Denken, Fühlen und sich politisch Organisieren fähige Person.

Die Kritik wurde in Berlin berücksichtigt, indem zu Ende der Ausstellungszeit eine Podiumsdiskussion organisiert wurde, zu der auch Vertreter_innen des ak mob eingeladen waren. Der Ausstellung selbst wurde zur Wiederaufnahme in Wien eine Arbeit beigefügt, die den Pflegenehmer_innen im wahrsten Sinn des Wortes ein Gesicht verleihen sollte. Simon Rawles "Migrant Care Workers" porträtiert in einer Schwarz-weiß-Bildserie die titelgebenden Pfleger_innen gemeinsam mit den meist alten Leuten, die ihre Dienste in Anspruch nehmen. Dieser gelungene Beitrag macht beide Hierarchie-Achsen sichtbar: die der migrantischen Arbeit und weißen Inanspruchnahme sowie die der Bedürftigkeit und Unterstützungsleistung. Dennoch kann sie nicht die gesamte Last der berechtigten Kritik auffangen. Und sie ist sowohl in ihrer Positionierung im Raum als auch in ihrer inhaltlichen Schlagrichtung ("So sind halt die Pflegeverhältnisse mit ihren Vor- und Nachteilen") kein ausreichendes Gegengewicht zur fehlenden Solidarität mit den Pflegenehmer_innen inklusive all ihrer zugeschriebenen und/oder realen Attribute.

Letztlich produziert die Ausstellung ein politisches Schwindelgefühl. Ja zum guten Arbeitskampf in der schlechten Gesellschaft! Und ja zur Kunst als Vermittlungsform politischer Kämpfe! Aber auch ja zu etwas mehr Kritik- und Reflexionsfähigkeit. "Nothing about me without me" war ein Slogan der US-Disability-Bewegung, und den kann mensch langweilig und old-school finden, aber ein heißer Tipp ist er trotzdem.

 

bis 29. Juli 2011:

Jenseits des Helfersyndroms III. Künstlerische Positionen zu Care Working und Assistenz
kuratiert von Muchtar Cheik Dib, Carsten Does, Anne Frisius und Johanna Harbeck
mit Arbeiten von Cüneyt Balkan, Sabine Gradtke und Askın Kırım, Chami, Sibylle Hofter, Christoph Korn, Janina Möbius, PC 30-V, Simon Rawles

Galerie IG Bildende Kunst
1060 Wien, Gumpendorfer Straße 10–12
Di–Fr 13–18.00 Uhr

Lisa Bolyosist Redakteurin bei der Straßenzeitung "Augustin" und für die Öffnung aller Außengrenzen.