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Arbeiten ohne Papiere - nicht ohne Rechte

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von Sandra Stern

In Österreich existieren aktuell ganze 28 verschiedene Aufenthaltstitel, die Migrant_innen den regulären Zugang zum Arbeitsmarkt verwehren bzw. den Zugang für sie einschränken. Ein Umstand, der Migrant_innen in informelle Sektoren drängt und sie gegenüber Arbeitgeber_innen leichter erpressbar und ausbeutbar macht. Ob als Putzfrau, Kindermädchen oder Pflegekraft in einem privaten Haushalt, als Erntehelfer_in in der Landwirtschaft, auf der Baustelle, in der Gastronomie oder in der Sexarbeit: Undokumentierte Arbeit ist meistens unsicher, schlecht bezahlt und gefährlich.

Ein typisches Merkmal für undokumentierte Arbeit sind extrem lange Arbeitszeiten: Zehn bis zwölf Stunden am Tag, und das an sechs bis sieben Tagen die Woche, sind weit verbreitet. Undokumentierte Arbeitnehmer_innen erhalten in der Regel extrem niedrige Stundenlöhne, die weit unter dem jeweiligen Kollektivvertrag liegen. In Privathaushalten etwa sind Stundenlöhne bis zu einem Euro keine Ausnahme. Aber auch Lohnbetrug, das Nicht-Einhalten von Schutzstandards, Kündigung im Fall von Krankheit, Unfall oder fortgeschrittenem Alter sowie körperliche und sexuelle Übergriffe sind hier immer wieder anzutreffen.

Hemmschwellen abbauen

Trotz einer vielfältigen Beratungslandschaft in Wien gab es bislang kein Angebot, das sowohl arbeits- und sozialrechtliche als auch aufenthaltsrechtliche Beratung zusammengeführt hat. Im Juni 2014 wurde diese Lücke geschlossen: In der neuen UNDOK-Anlaufstelle [1] im zweiten Wiener Gemeindebezirk können sich undokumentierte Arbeitnehmer_innen informieren und beraten lassen - kostenlos und in mehreren Sprachen.

Die Betroffenen können sich auch Unterstützung holen, wenn es darum geht, arbeits- und sozialrechtliche Ansprüche - auch vor Gericht - durchzusetzen. Denn unabhängig davon, ob man mit oder ohne Papiere arbeitet: Sozialversicherungsgesetze, Arbeitsrecht und kollektivvertragliche Mindeststandards gelten für alle Arbeitnehmer_innen.

Expertise bündeln, Bündnisse aufbauen

Mit UNDOK wurde eine Bündnisstruktur geschaffen, die an der Schnittstelle von undokumentiert Arbeitenden, Gewerkschaften, Arbeiterkammer, NGOs aus dem fremden- und asylrechtlichen Bereich und antirassistischen Aktivist_innen agiert (siehe auch Mitglieder und Kooperationspartner_innen des UNDOK-Verbands). Vor allem letztere gaben den Anstoß für die Gründung von UNDOK.

Anknüpfend an frühere Versuche, die Gewerkschaften Gewerkschaften für das Thema zu sensibilisieren, startete die Initiative PrekärCafé. Ende 2009 die Kampagne "Undokumentierte Arbeit, Gewerkschaften und Organisierung". Sie sollte öffentliche Aufmerksamkeit für die Notwendigkeit eines spezifischen gewerkschaftlichen Beratungs- und Unterstützungsangebots für undokumentierte Arbeitnehmer_innen schaffen, wobei sich die Aktivist_innen auf bereits bestehende Anlaufstellen in Deutschland und der Schweiz bezogen (siehe auch den migrazine.at-Schwerpunkt 2010/3 "Rechte ohne Papiere").

Es waren auch antirassistische und basisgewerkschaftliche Aktivist_innen, die im März 2011 den "Arbeitskreis Undokumentiert Arbeiten" (AK Undok) ins Leben riefen. Ziel war es, unterschiedliche Akteur_innen, die sich in diesem Feld engagieren, miteinander ins Gespräch zu bringen und zu vernetzen. In diesem Rahmen konnten erste gemeinsame Erfahrungen in der Unterstützungsarbeit des ehemals undokumentiert arbeitenden Kollegen Zoheir S. gesammelt werden.

Um den Lohn betrogen

Derzeit hat die UNDOK-Anlaufstelle wöchentlich an zwei Halbtagen geöffnet. Und das Interesse ist groß. Mittlerweile gibt es bereits über 120 Beratungsfälle. Das häufigste Problem, mit dem Kolleg_innen zu UNDOK kommen, sind vorenthaltene Löhne bzw. Bezahlung unterhalb des geltenden Kollektivvertrags. So wie im Fall von Frau C.: Sie kam aus Kroatien nach Österreich und arbeitete im Gastgewerbe. Sie wusste nicht, dass für sie als kroatische Staatsbürgerin bis spätestens 2020 eine Übergangsfrist für den österreichischen Arbeitsmarkt gilt, die ihren Arbeitsmarktzugang einschränkt. Ihr Arbeitgeber hatte ihr versprochen, er würde sie bei der Sozialversicherung anmelden. Frau C. arbeitete über sechs Wochen ohne einen einzigen freien Tag. Wenn es keine Arbeit gab, wurde sie nach Hause geschickt. An manchen Tagen musste sie mehr als zehn Stunden arbeiten. Sie forderte ihren ausstehenden Lohn ein, doch der Arbeitgeber wich ihr aus.

Nachdem sie in den folgenden Wochen mehrmals den ausstehenden Lohn eingefordert hatte, beschuldigte sie dieser, nicht gearbeitet zu haben. Letztlich beendete der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis. Frau C. wandte sich an die UNDOK-Anlaufstelle, die sie über ihre Rechte informierte und sie dabei unterstützte, ihre arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche einzufordern - mit Erfolg. Da jedoch das Unternehmen in der Zwischenzeit in Konkurs gegangen war, erhielt Frau C. den ausstehenden Lohn, Sonderzahlungen, Urlaubsersatzleistung sowie eine Kündigungsentschädigung vom Insolvenzentgeltfond.

© migrantas© migrantas

Ein weiteres Problem undokumentiert Arbeitender ist - besonders relevant bei Arbeitsunfällen - die fehlende Krankenversicherung, wie etwa im Fall von Herrn R. Als serbischer Staatsangehöriger darf er nur für drei Monate visumsfrei nach Österreich einreisen und verfügt über keinen regulären Zugang zum Arbeitsmarkt. Trotz anders lautender Versprechungen seines Arbeitgebers wurde er von diesem nicht bei der Sozialversicherung angemeldet. Folglich arbeitete er, ohne es zu wissen, ohne Arbeitspapiere im Autohandel. Als er im Zuge von Bautätigkeiten einen schweren Arbeitsunfall erlitt, rief sein Arbeitgeber nicht die Rettung an - stattdessen beauftragte er einen anderen Arbeiter damit, Herrn R. umzuziehen und ihn ins Spital zu bringen. Grund: Es sollte nicht wie ein Arbeitsunfall aussehen.

Im Krankenhaus mussten Herrn R. zwei Zehen amputiert werden. Und erst dort wurde er darauf aufmerksam gemacht, dass er nicht krankenversichert ist. Nach seinem Krankenhausaufenthalt erhielt er eine Spitalsrechnung von 43.000 Euro. Mit Unterstützung der UNDOK-Anlaufstelle erreichte Herr R. eine rückwirkende Krankenversicherung, die die Kosten für die Spitalsaufenthalte übernahm. Auch seine arbeitsrechtlichen Ansprüche machte er geltend. Da sein Arbeitgeber der Zahlungsaufforderung durch die UNDOK-Anlaufstelle jedoch nicht nachkam, brachte die Arbeiterkammer Niederösterreich Klage vor dem Arbeits- und Sozialgericht ein. In der Zwischenzeit konnte Herr R. einen Großteil seiner arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche durchsetzen.

Organisiert gegen Ausbeutung

Neben Beratung und Begleitung bietet UNDOK auch Workshops für undokumentiert Arbeitende sowie für Multiplikator_innen an. Hier wird das notwendige Basiswissen über die eigenen Rechte und deren Durchsetzungsmöglichkeiten vermittelt - die wichtigste Voraussetzung, um sich gegen Ausbeutung zur Wehr setzen zu können. Ebenso möchte die UNDOK-Anlaufstelle die (Selbst-)Organisierung von undokumentiert Arbeitenden unterstützen. Denn deren Diskriminierung ist kein Einzelfall, sondern stellt eine systematische Ausbeutung dar, gegen die es kollektive Anstrengungen braucht.

Der UNDOK-Verband betreibt darüber hinaus Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit. Undokumentiert Arbeitende sind nicht nur der Willkür von Arbeitgeber_innen ausgesetzt - Aufenthaltsunsicherheit betrifft das ganze Leben. Ihre gesundheitliche Versorgung ist häufig ebenso prekär wie ihre Wohnsituation, von Bildungschancen ganz zu schweigen. Aus diesem Grund müssen weitere relevante Akteur_innen sowie öffentliche Stellen wie zum Beispiel die Stadt Wien erreicht und über die Situation von undokumentiert Arbeitenden informiert werden, um zur Verbesserung ihrer Situation beizutragen.

Inklusive Gewerkschaftspolitik

Gewerkschaften in Österreich haben - anders als etwa jene in Deutschland - in der Vergangenheit eine distanzierte bis ablehnende Haltung gegenüber migrantischen Arbeitnehmer_innen eingenommen. So musste zum Beispiel das passive Wahlrecht für Migrant_ innen bei Betriebsrats- und Arbeiterkammerwahlen in den 1990er Jahren gerichtlich erstritten werden, tatsächlich umgesetzt wurde es letztlich erst im Jahr 2006. Zum Vergleich: In Deutschland können Migrant_innen auf betrieblicher Ebene bereits seit Anfang der 1970er Jahre mitbestimmen.

Was undokumentierte Arbeit angeht, wurde in Österreich hauptsächlich auf Kontrollen und Bestrafung von Arbeitgeber_innen gesetzt, um die "Schwarzarbeit" zu bekämpfen. Mit der neu gegründeten UNDOK-Anlaufstelle geht ein Perspektivenwechsel einher: Menschen, die undokumentiert arbeiten, sollen dabei unterstützt werden, ihre Rechte einzufordern und durchzusetzen. Letztlich hat die Diskriminierung undokumentierter Kolleg_innen auch eine Schwächung aller Arbeitnehmer_innen zur Folge, denn Arbeitgeber_innen unterlaufen damit erkämpfte sozial- und kollektivvertragliche Standards. Mit dem Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetz existiert in Österreich zwar ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung betrügerischer Praktiken am Arbeitsmarkt. Ergänzend dazu ist jedoch die direkte Unterstützung der undokumentiert arbeitenden Kolleg_innen notwendig.

Andreas Huss, leitender Sekretär der Gewerkschaft Bau-Holz, formulierte es bei der Eröffnung der UNDOK-Anlaufstelle treffend: "Diese Beratungsstelle ist für mich eine ganz wichtige Einrichtung, eine fehlende Verbindung zwischen undokumentiert Arbeitenden und den Institutionen Arbeiterkammer und ÖGB. Ich hoffe, dass das nicht die einzige Einrichtung wird, sondern dass wir möglicherweise in Zukunft auch in anderen Bundesländern derartige Einrichtungen schaffen."


Beitrag aus migrazine.at, Ausgabe 2014/2.



Fußnote

[1] Fotos von der Eröffnung der UNDOK-Anlaufstelle hier.


Links

Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung UNDOKumentiert Arbeitender

Frequently Asked Questions (FAQs): Arbeitsmarktzugang für Asylwerber_innen

Rechtsbroschüre "Arbeit ohne Papiere ... aber nicht ohne Rechte!" (PDF-Download)

Sandra Sternist basisgewerkschaftliche und antirassistische Aktivistin. Zurzeit arbeitet sie in der UNDOK-Anlaufstelle und ist dort für Öffentlichkeitsarbeit, internationale Vernetzung und aufsuchende Arbeit zuständig.