fokus

Die nationale Roma-Strategie bis 2020

share on facebookprint/drucken
von Gilda-Nancy Horvath

Budapest, Februar 2011: Viviane Reeding präsentiert dem Publikum der "4th European Roma Platform" die Pläne der EU-Kommission zum Thema Roma. Die Pläne verpflichten alle EU-Mitgliedsländer, bis Ende des Jahres 2011 ihr "Roma-Strategiepapier" zu erstellen. Inhalt dieses Papiers sollen laut EU-Kommission Informationen zur aktuellen Situation der Roma im jeweiligen Land sein, auch konkrete Vorschläge für die Verbesserung der Situation der Roma werden verlangt: Maßnahmen-Vorschläge für Bereiche wie Bildung, Gesundheit und Arbeitsmarktpolitik bis zum Jahr 2020 sollen darin enthalten sein. Um die Partizipation der Roma zu gewährleisten, soll das Papier laut EU "in enger Zusammenarbeit mit Roma-Vereinen, Vertretern und der Community erarbeitet werden". So weit, so theoretisch.

Auch Österreich hat so ein Strategiepapier erarbeitet. Das zuständige Bundeskanzleramt (Volksgruppenabteilung) war offensichtlich etwas überfordert damit. Mehrere Roma-Vereine hingegen ergriffen die Initiative und präsentierten im Geiste der Beteiligung im Bundeskanzleramt (BKA) ihre Vorschläge. Die Vertreter_innen erkannten die Wichtigkeit des Dokuments als eine Art "Landkarte" für den Umgang mit Roma-Themen bis zum Jahr 2020 und brachten geduldig und konstruktiv ihre Ideen und Vorschläge für das "Roma-Strategiepapier" vor. Nichtsdestotrotz fehlen viele Inputs und Anregungen der Roma-Community im finalen Papier zur "Roma-Strategie bis 2020", das Mitte Januar 2012 vom BKA veröffentlicht wurde. Da im offiziellen Papier kein Platz gefunden wurde, werde ich diesen Artikel jenen Vorschlägen widmen, die es nur gekürzt oder gar nicht in das fertige Strategiepapier Österreichs geschafft haben.

Statistiken und Zahlen kritisch betrachten

Im Annex des Papiers "Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions. An EU Framework for National Roma Integration Strategies up to 2020" der Europäischen Kommission vom 5.4.2011 wird die Zahl der Roma in Österreich mit 25.000 vermerkt. Tatsächlich spricht man in Insider-Kreisen von ungefähr 100.000 Roma mit österreichischer Staatsbürgerschaft in Österreich, das bedeutet in weiterer Konsequenz, dass Projekte und Ideen bereits mit falschen Grundannahmen beginnen bzw. Statistiken ungenau und dadurch wertlos werden.

Vertrauen aufbauen - Partizipation fördern

Die wichtigste Voraussetzung für die funktionierende Umsetzung von Projekten und Maßnahmen ist das "Vertrauen" zwischen Roma und Institutionen der Mehrheitsgesellschaft. Ebenso wichtig ist die Förderung der aktiven Partizipation von Roma auf politischer und verwaltender Ebene. Mitunter ist dieser Vertrauensaufbau auch aus politischen Gründen überfällig: Die Auseinandersetzung mit der Rolle der Behörden im Holocaust und der daraus resultierenden Angst der Roma-Community ist bis heute ausgeblieben. Die Großmütter in den Familien haben aber das Schreckliche, das ihnen widerfuhr, nie vergessen. Sie entwickelten Strategien, um ihre Familien zu schützen. Einst von den offiziellen Stellen des Staates - den Meldeämtern, den Arbeitsagenturen, den Schulen, den Spitälern - verraten, wagten die Roma es lange nicht mehr, öffentlichen Institutionen zu vertrauen. Mit "vertrauensbildenden Maßnahmen" ließe sich daher in vielen Bereichen bedeutend mehr voranbringen als bisher mit "Top-Down"-Projekten, die ohne Community-Beteiligung konzipiert werden.

Erfolgskonzepte fördern - nicht abdrehen

Gerade im Bildungsbereich gibt es mehrere spannende und funktionierende Projekte, deren Existenz trotz ihres Erfolges nicht gesichert ist. Zum Beispiel die "Gratis-Nachhilfe von Roma für Roma" sowie das Projekt der "Schul-MediatorInnen" des Romano Centro und von engagierten Roma-Vereinen aus der migrantischen Roma-Community, die zwischen Lehrer_innen und Familien vermitteln, bewähren sich seit Jahren und können den bestehenden Bedarf bei weitem nicht decken. Diese Maßnahmen werden allerdings nur "unter Duldung" der Schulen durchgeführt, eine offizielle Formalisierung dieser sinnvollen Maßnahme wäre notwendig.

Medien, anyone?

Im Kampf gegen die allgegenwärtigen Vorurteile ist es für die Roma-Community an der Zeit, sich aktiv an der Berichterstattung über sich selbst zu beteiligen. Aktuell wimmelt es in den Medien nur so von Fehlern und diskriminierenden Bildern - auch aus Unwissenheit. Dagegen kämpft ein aktuell startendes Projekt: "Rommedia" soll jungen Roma die Möglichkeit einer akademischen Ausbildung im Journalismus schmackhaft machen. Die Idee hat Potential - sofern sich Projektpartner finden, die den Mut haben, das Projekt gemeinsam umzusetzen. Ein solches Projekt würde eine Bereicherung für die Medienlandschaft bringen und darüber hinaus Effekte im Kampf gegen Klischees erzeugen. Es mangelt in der Medienwelt an Fachwissen aus der/über die Community. Wenn wir außerdem schon beim Medienthema sind: Schulbücher gehören zu den wichtigsten Medien in einem Staat. In den meisten Geschichtsbüchern unserer Schulen wird man nichts über Roma finden. Eine Ergänzung wäre wohl notwendig, um Klischees gegenüber der Realität zu relativieren.

Alles gut?

Dies waren nur einige der Vorschläge und Maßnahmen, die direkt aus der Roma-Community kamen. Sie zeigen, dass die Roma heute eine moderne und aktive Community sind, mit der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Ob die Nationalstaaten ebenso bereit sind, ihre Verantwortung zu übernehmen, bleibt vorerst offen. Was nicht länger negiert werden kann, ist, dass in der EU insgesamt rund 14 Millionen Roma leben, die rassistischen Übergriffen und Handlungen ausgesetzt sind: Morde an Roma in Ungarn, Zwangssterilisationen in Tschechien, ethnische Zwangsregistrierung in Italien … und Millionen Staatsbürger (Roma), die keinen Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung oder einen Schlafplatz haben. Kann sich Österreich auf der Tatsache ausruhen, dass es Roma hier besser geht als in der Slowakei, in Rumänien oder Bulgarien? Ist die Situation allein deswegen schon "gut", weil es anderswo schlechter ist?

An den hier skizzierten Vorschlägen der Roma-Community kann man sehr wohl sehen, dass sowohl Bedarf an Veränderungen in der Mehrheitsgesellschaft wie auch Kompetenz in der Community vorhanden sind. Die Roma-Community arbeitet engagiert in den Bereichen Bildung (Romano Centro, migrantische Roma-Vereine), Gesundheit (Verein im Ausland), Arbeitsmarkt (Projekt "THARA"), Medien (Verein Lovara Österreich, Gipsy TV), in der historischen Aufarbeitung (Verein Roma-Service) und vielen anderen Bereichen. In diesem Sinne ist von Bedeutung, dass einigen der Ideen der Community hier Platz gewidmet wird, den sie andernorts nicht bekommen (haben). Allen Roma-Vereinen und Aktivist_innen wünsche ich viel Durchhaltevermögen, Mut und Hoffnung. Allen anderen wünsche ich den Mut, nicht immer nur ÜBER Roma, sondern auch einmal MIT ihnen zu sprechen.

Gilda-Nancy Horvath (28) ist in Wien geborene Lovara-Romni, seit 2005 als Journalistin in der ORF-Volksgruppenredaktion tätig und schreibt die Antirassismus-Kolummne des feministischen Magazins "an.schläge". Die Aktivistin, Autorin und Moderatorin studiert derzeit Journalismus und Medienmanagement in Wien.