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"People of Color" als solidarisches Bündnis

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von Kien Nghi Ha

Der "People of Color"-Begriff entstammt der Selbstbenennungspraxis rassistisch unterdrückter Menschen. Er wurde im Laufe der 1960er Jahre durch die "Black Power"-Bewegung in den USA als politischer Begriff geprägt, um die Gemeinsamkeiten zwischen Communitys mit unterschiedlichen kulturellen und historischen Hintergründen zu benennen. Dadurch sollte eine solidarische Perspektive quer zu den rassistischen Einteilungen in unterschiedliche Ethnien und "Rassen" eröffnet werden, die antirassistische Allianzen befördert.

Als gemeinsame Plattform für grenzüberschreitende Bündnisse wendet sich dieser Begriff gleichermaßen an alle Mitglieder rassifizierter und unterdrückter Communitys. People of Color bezieht sich auf alle rassifizierten Menschen, die in unterschiedlichen Anteilen über afrikanische, asiatische, lateinamerikanische, arabische, jüdische, indigene oder pazifische Herkünfte oder Hintergründe verfügen. Er verbindet diejenigen, die durch die Weiße Dominanzkultur marginalisiert sowie durch die Gewalt kolonialer Tradierungen und Präsenzen kollektiv abgewertet werden. Auf diese Weise kann ein analytischer wie politischer Rahmen geschaffen werden, in dem sich Unterschiede, Gemeinsamkeiten sowie Überlagerungen unterschiedlicher Unterdrückungsverhältnisse und Ausbeutungszusammenhänge von People of Color in einem postkolonialen Kontext thematisieren lassen. Dabei werden einerseits die (zugeschriebenen) ethnischen, geschlechtlichen, kulturellen und sexuellen Identitäten und Subjektpositionen berücksichtigt. Andererseits geht der People-of-Color-Ansatz bei der Aushandlung einer gemeinsamen Verortung über diese partikulären Zugehörigkeiten hinaus. Indem die kommunalen Grenzen marginalisierter Gruppen überschritten werden, finden eine Bündelung von Kräften und eine erweiterte Solidaritätspolitik statt. Dadurch wird die tradierte Weiße Dominanzstrategie des Teilens und Herrschens unterlaufen und die Effektivität antirassistischer Interventionen erhöht.

Identität ist für mich keine statische Größe, nichts Essenzielles, sondern entsteht permanent neu. Sie ist eingebunden und wird geformt durch die soziokulturellen und politischen Beziehungen, in der Subjekte momentan leben. Jede Identität entsteht in relationalen Verhältnissen und ist abhängig von dem jeweiligen soziokulturellen Umfeld mit ihren historischen Einschreibungen. Wenn ich mich etwa in Südostasien aufhalte, empfinde ich mich als "westlich", während ich in Deutschland meine chinesisch-vietnamesische Herkunft stark spüre. In der Gegenwart von Weißen Menschen sehe ich mich als People of Color. Unter People of Color finde ich es wichtig, interne Differenzen zu beachten, weil jede/r von uns mit anderen Geschichten verbunden ist. Alle Menschen leben mit vielen verschiedenen Identitäten gleichzeitig. Welche Identität in welchen Situationen relevant wird, ist eine politische Frage und nicht ausschließlich eine private.

Intersektionalität des Subjekts

People of Color werden in rassistisch strukturierten Gesellschaften durch Prozesse der Ethnisierung, die meist an historisch wirksame Muster der kolonialen Rassifizierung anknüpfen, und den damit einhergehenden soziokulturellen Fremdzuschreibungen positioniert. Dadurch werden People of Color im Rassismus als anders, fremd, nicht-zugehörig, meist auch als minderwertig fixiert. Rassifizierung bezeichnet einen Prozess der Rassenkonstruktion, die ein gesellschaftliches Machtverhältnis zwischen privilegierten und ausgegrenzten Gruppen etabliert und aufrecht hält. Meist geht dieser Prozess mit kultureller Abwertung, sozioökonomischer Diskriminierung und politisch-rechtlicher Benachteiligung einher.

Allerdings ist es wichtig, dabei von einem dynamischen, wandelbaren sowie letztlich auch umkämpften und widersprüchlichen Prozess der Festschreibung wie Selbstkonstruktion auszugehen. Das bedeutet, dass People of Color sich unabhängig von ihrem eigenen Selbstbild und ihrer eigenen Identitäts- und Zugehörigkeitsdefinitionen mit gesellschaftlich dominanten Formen der fremdbestimmten Zuschreibung auseinandersetzen müssen. People of Color können aber diese Fremdzuschreibung auch decodieren, verändern und ihr alternative Möglichkeiten der Vergesellschaftung entgegensetzen. Der Prozess der Positionierung befindet sich demnach in einem antagonistischen Verhältnis zwischen Selbst- und Fremdpositionierung, wobei beide Formen aktiv und passiv sein können bzw. dazwischen changieren.

Genauso ist es notwendig, die Überschneidungen, Spannungsverhältnisse und Widersprüche von Rassismus mit gegenderten, sexuell und sozioökonomisch bestimmten Machtformen zu beachten. Diese Kategorien wirken für sich genommen nicht per se gleich , sondern hängen stark von unterschiedlichen Faktoren ab: Von welchen Rassifizierungsprozessen sind Frauen/Queers betroffen? Verfügen sie über Migrationserfahrungen, und wenn ja, welche (z.B. europäisch/außereuropäisch, Stadt/Land, legal/illegalisiert etc.)? Welche Nationalität und welche historischen Hintergründe bringen sie mit? Welche kulturell-religiösen Zuschreibungen sind wirksam, und über welche Klassen- und Bildungshintergründe verfügen die Betroffenen? Daraus können sich sehr unterschiedliche Konstellationen ergeben: Eines von vielen Beispielen ist die illegalisierte lateinamerikanische Migrantin mit indigenem Background, die in einem bürgerlichen Haushalt die Reproduktionsarbeit leistet und der Weißen Powerfrau mit Migrationshintergrund oder der Schwarzen Akademikerin sowohl Familienleben als auch eine berufliche Karriere ermöglicht. Ein anderes Beispiel sind schwul-lesbische Paare mit kleinen oder auch extremen Statusunterschieden.

Ähnliches gilt für die Kategorie "race": In den USA zeigt sich sehr deutlich, dass People-of-Color-Konservative nur noch sehr beschränkt etwas mit sozial deklassierten People of Color gemein haben. Erstere sehen nicht selten ihre eigene bürgerliche Existenz als Beweis für die Wirkungslosigkeit von Rassismus an und predigen den neoliberalen Traum der Selbstverantwortung. Letztere teilen dagegen partiell mit Weißen ArbeiterInnen gemeinsame Interessen, die quer zur Rassifizierung verlaufen. Jedoch sind diese gemeinsamen Interessen begrenzt und müssen immer wieder überprüft, neu verhandelt und mit anderen Diskriminierungsformen verbunden werden.

Dominanz- und Abhängigkeitsverhältnisse sind praktisch in allen sozialen Kategorien zu finden. Sowohl Frauen, Queers, MigrantInnen als auch Schwarze Menschen und People of Color sind durch soziale, kulturelle und religiöse Differenzen, durch unterschiedliche politisch-rechtliche Statusunterschiede, aber auch durch konträre politisch-ideologische Perspektiven heterogen zusammengesetzt. Solidarität und politische Handlungsmächtigkeit lassen sich aufgrund dieser Unterschiede und ihrer Widersprüche nicht durch ein politisches Konstrukt herstellen. Daher kann keine singuläre und noch so ausdifferenzierte Identitätsform allumfassend und allgemein gültig sein. Bereits der Anspruch auf vollständige Repräsentation ist suspekt.

Fallstricke der Solidarität

Privilegierte wie subordinierte Subjekte befinden sich in einem wechselseitigen Verhältnis oder intersektionalen Prozess der Selbst- und Fremdvergesellschaftung. Während Privilegierte gut mit ihrer Positionierung leben können, ergibt sich für unterdrückte Subjekte die Frage der Selbst-Ermächtigung. D.h. wie können Unterdrückte individuell wie auch als Community, die sich aufgrund ähnlicher historischer, kultureller und sozialer Erfahrungen selbst organisieren, für sich selbst sprechen, eigene Identitäts-, Zugehörigkeits- und Lebensformen definieren und gesellschaftlich durchsetzen? Die Suche nach befreienden Praktiken und solidarischen Verhältnissen für alle kann aber nur erfolgreich sein, wenn nicht nur kulturellen, sondern auch politisch-rechtlichen und selbstverständlich auch sozialen Diskriminierungen entgegengetreten wird. Für Weiße wie Schwarze Subjekte mit relativ privilegierten Statuspositionen ergibt sich die Notwendigkeit, nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil der Lösung zu werden. Das bedeutet u.a., den eigenen Background selbstkritisch zu reflektieren, eigene Privilegien freiwillig aufzugeben, gesellschaftliche Diskriminierungen aktiv abzubauen, aber auch machtkritische Solidaritätsstrukturen aufzubauen.

Solidarität ist leichter gesagt als getan und viel schwerer lebbar, weil die gesellschaftlichen Machtverhältnisse auch auf kollektive wie individuelle Distinktionsgewinne und Konkurrenzvorteile basieren. Solidarität unter Marginalisierten, die auf knappe Ressourcen angewiesen sind und sich z.B. durch ihre Sozialsituation oftmals als vermeintliche Konkurrenz erleben, ist noch schwieriger herzustellen, obwohl sie sich gerade in schwierigen Situationen oft auch spontan und vollkommen unvermutet einstellt. Letztlich kann Solidarität nur durch systematische Aufklärungsarbeit und politische Rationalität erreicht werden. Widerstandsbewegungen können ein selbstkritisches politisches Bewusstsein nur durch kontinuierliche Bildung, Kulturarbeit, kritische Medien und politische Organisierung vermitteln. Nur mithilfe dieser Quellen sind wir in der Lage, unsere Alltagserfahrungen und die uns umgebenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu decodieren. Solange keine starke kulturpolitische Basis besteht, die kampffähig ist, bleiben antirassistische Erfolge ein Zufallsprodukt von unkoordinierten Entladungen, oder sie sind das Ergebnis einer Reform von oben, um die Gesellschaft zu modernisieren und unproduktive Konfliktpotenziale zu entschärfen.


Dieser Text erschien in einer leicht gekürzten Fassung im Ausstellungskatalog "Re/Positionierung — Critical Whiteness/Perspectives of Color" (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin Januar – Juni 2009) der Künstlergruppe metanationale.


Literaturtipp:
Kien Nghi Ha, Nicola Lauré al-Samarai, Sheila Mysorekar (Hg.Innen): re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland. Unrast Verlag: Münster 2007.

Kien Nghi HaKien Nghi Ha ist Politik- und Kulturwissenschaftler und arbeitet gegenwärtig als Postdoctoral Research Fellow zur Übersetzbarkeit von Asian American Studies und Asian German Studies an der Universität Heidelberg. Seine Dissertation "Unrein und vermischt. Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen 'Rassenbastarde'" erscheint im Frühjahr 2010 im transcript Verlag. Arbeitsschwerpunkte sind postkoloniale Kritik, Migration, Rassismus und Cultural Studies.